"Kennen die wirtschaftliche Struktur nicht"

Bayerns Kinos haben die Pandemie überlebt - kommt jetzt trotzdem das große Sterben?

24.10.2021, 05:55 Uhr
Kinos haben weiter eine Zukunft - wenn sie sich neu aufstellen. 

© Klaus-Dieter Schreiter, NN Kinos haben weiter eine Zukunft - wenn sie sich neu aufstellen. 

Die gute Nachricht ist: Der Patient Kino lebt, trotz Corona und Lockdown. Die andere, weniger gute Nachricht lautet: Wie lange noch, ist ungewiss. Denn fit, auch das steht fest, war er schon vor der Pandemie nicht wirklich. Vor allem die Streaming-Dienste setzen dem Kino weiter massiv zu.

Bayerns Digitalisierungsministerin Judith Gerlach (CSU) ist zuversichtlich, die meisten Kinobetreiber sind es auch. Christian Pfeil etwa, Vorstand der AG Kino Gilde Deutscher Filmkunsttheater, sieht zwar seine Branche noch nicht über den Berg. Aber "die Leute haben so Lust aufs Kino. Bis wir wirklich wieder rentabel werden, wird das noch eine Weile dauern." Für Judith Gerlach müssen sich dafür die Kinos allerdings, wenn schon nicht neu erfinden, so doch neu aufstellen.

Sechs geben auf

Bislang haben über den Lockdown hinweg im Freistaat lediglich sechs Kinos ihre Pforten geschlossen. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Aktuell zählt das Land 279 Spielstätten mit 845 Kinosälen in 167 Städten und Gemeinden. Bayern liegt bundesweit an der Spitze, selbst das bevölkerungsreichste Land Nordrhein-Westfalen kann nicht mithalten.

Blockbuster wie der neue James-Bond-Film oder die jüngste Folge der niederbayerischen Eberhofer-Krimis haben den meisten Kinos einen guten Start in die Nach-Lockdown-Zeit beschert. Wobei gerade die kleineren nicht profitieren. Matthias Damm etwa, der in Nürnberg das Casablanca betreibt, sagte der dpa, der Bond habe ihn "eher negativ getroffen", weil er die Aufmerksamkeit ablenke von den anspruchsvolleren Filmen.

Millionen geflossen

Dass die meisten Kinos die Krise zumindest vorerst überlebt haben, ist auch der Staatshilfe zu verdanken. 24 Millionen Euro hat das Land bereit gestellt, 15,5 Millionen bisher ausgezahlt. Das Geld sollte keine entgangenen Gewinne ausgleichen, sondern Finanzlücken überbrücken. Das hat seine Tücken. Kinos etwa, die den Zuschuss bekommen hatten und dann mit einem Preisgeld geehrt wurden, müssen einen Teil oder die ganze Hilfe zurück überweisen. Dass dies aktuell bei 56 der 276 Förderbescheide der Fall ist, findet die Landtags-SPD viel zu hoch. Gerlachs Ministerium verweist auf die Rechtslage.

Judith Gerlach bei der Premiere der zweiten Staffel der Amazon Prime Video Comedy-Gameshow "LOL: Last One Laughing".

Judith Gerlach bei der Premiere der zweiten Staffel der Amazon Prime Video Comedy-Gameshow "LOL: Last One Laughing". © Andreas Hübner/Future Image

Der SPD-Kulturpolitiker Volker Halbleib ist sich deshalb auch gar nicht sicher, ob die Krise die Kinos nicht noch einholen wird. "Wir kennen bei den meisten die wirtschaftliche Struktur nicht", sagt er. "Es kann gut sein, dass die Schäden erst noch entstehen." Zumal offen ist, wie sich der Markt weiter entwickeln wird.

Profiteure der Krise

Denn wenn jemand von der Pandemie profitiert hat, dann sind es Streamingdienste wie Amazon oder Netflix. "Das hat sich schon vor Corona angedeutet", sagt Ministerin Gerlach. "Jetzt hat sich das erheblich beschleunigt." Die Dienste, die Videos auf Wunsch, im Englischen Video on Demand (VoD), zur Verfügung stellen, konnten ihre Umsätze um mehr als drei Milliarden Euro steigern. Geld, das den Kinos fehlen wird.

Wollen die Lichtspielhäuser gegenhalten, brauchen sie neue Ansätze. Die Technik sei das eine, sagt Digitalisierungsministerin Judith Gerlach. So fördert der Freistaat ein Vorhaben, das eine LED-Leinwand nach US-Vorbild schaffen soll. Sie spielt mit ihren Milliarden LEDs bei Filmproduktionen jeden beliebigen Hintergrund ein, so real, dass die Zuschauer den Unterschied nicht mehr erkennen.

Zukunft als Eventort

Mindestens so wichtig sei aber, sagt Gerlach, "dass die Kinos wegkommen vom reinen Abspiel- hin zum Eventort". Wie das gehen könnte, haben deutsche und österreichische Kinos gezeigt, die mit Amazon kooperierten und die ersten Folgen der Amazon-Serie LOL exklusiv ausstrahlten. So könne die Zukunft aussehen, das glauben sie auch im Kulturausschuss des Landtags, dass Filme zunächst im Kino laufen, ehe sie bei den Streamingdiensten laden.

Vor allem die 18- bis 29-Jährigen nutzen VoD. Wer sie in die Kinos locken will, müsse ihnen Angebote machen, sagen die Fachleute. Die Kinos müssten sich dafür für die sozialen Medien öffnen, ​ihre Kunden digital erreichen, sich professionalisieren und austauschen, im Marketing wie bei den Veranstaltungsformen. Das Kino müsse "zum Gemeinschaftsevent werden", sagt Gerlach, damit die Menschen auch weiterhin acht Euro und mehr für eine Eintri​​​​​​ttskarte zahlen.

Berlin will dazu bis Ende des Jahres ein Förderprogramm auflegen. Wenn das steht, hat Gerlach angekündigt, werde Bayern seinerseits prüfen, wie es das Programm ergänzen und mit eigenen Mitteln erweitern könne. Vielleicht bekommt das Land dann auch ein Problem in den Griff, das vor allem die Franken im Ausschuss beschäftigt: An rund 4000 Tagen drehen die Filmproduktionen jedes Jahr im Freistaat. Doch nur an 120 davon in Franken.

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