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Bolano, Nesbo & Co.: Unsere Buchtipps für den Dezember

28.12.2021, 11:31 Uhr
Eifersucht ist eine Sucht, die schmerzt. Für die Literatur von Jo Nesbo gilt ähnliches. Weil seine Thriller süchtig machen. Häufig hart. In seiner Storysammlung "Eifersucht" (Ullstein, 22,99 Euro) zwischen den Zeilen auch zart. Vom Anbandeln mit einer Lebensmüden beim Transatlantikflug über die starke Inselgeschichte von Kalymnos bis zu den Migrantinnen-Gedanken über Warteschlangen zählt hier jede Seite. Christian Mückl
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Eifersucht ist eine Sucht, die schmerzt. Für die Literatur von Jo Nesbo gilt ähnliches. Weil seine Thriller süchtig machen. Häufig hart. In seiner Storysammlung "Eifersucht" (Ullstein, 22,99 Euro) zwischen den Zeilen auch zart. Vom Anbandeln mit einer Lebensmüden beim Transatlantikflug über die starke Inselgeschichte von Kalymnos bis zu den Migrantinnen-Gedanken über Warteschlangen zählt hier jede Seite. Christian Mückl © Ullstein Verlag/Montage: Sabine Schmid

Wir denken, wir führen aktuelle Debatten? Von wegen. Die Geschichte lehrt uns eines Besseren: Das Thema Transgender beschäftige unsere Vorfahren auch schon. Die deutsch-amerikanische Schriftstellerin Irene Dische hat den Chevalier d'Eon entdeckt, der im 18. Jahrhundert als Mann und als Frau gelebt hat – im Einklang mit sich selbst und dem Rest der Welt. "Die Militante Madonna" nennt Dische ihre Geschichte über diese schillernde historische Figur, die sie mit leichter Feder, Tiefgang und Humor erzählt.  (Hofmann und Campe, 22 Euro) Gabi Eisenack
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Wir denken, wir führen aktuelle Debatten? Von wegen. Die Geschichte lehrt uns eines Besseren: Das Thema Transgender beschäftige unsere Vorfahren auch schon. Die deutsch-amerikanische Schriftstellerin Irene Dische hat den Chevalier d'Eon entdeckt, der im 18. Jahrhundert als Mann und als Frau gelebt hat – im Einklang mit sich selbst und dem Rest der Welt. "Die Militante Madonna" nennt Dische ihre Geschichte über diese schillernde historische Figur, die sie mit leichter Feder, Tiefgang und Humor erzählt.  (Hofmann und Campe, 22 Euro) Gabi Eisenack © Hoffmann und Campe/Montage: Sabine Schmid

Faszinierend, auch weil rätselhaft bis zum Schluss ist der neue Roman der Wahl-Engländerin Rachel Cusk: eine der spitzesten Federn der Insel! Denn worum, zum Teufel, geht es eigentlich in "Der andere Ort", in dem ein bekannter Maler von einer Frau und langen Bewunderin ans Meer eingeladen wird, auf den Familensitz in der Marsch? Um Macht, Verführung, männliche Dominanz im Kreativen? Oder um eine sexuell unerfüllte, leicht hysterische Gattin, die sich alles schönredet und dann ein Disaster erlebt, weil der Künstler sie ignoriert? Gleich am Anfang sah sie leibhaftig den Teufel, darf man ihr also vertrauen? Man fühlt sich wie bei Henry James, virtuos verunsichert (Suhrkamp, 23 Euro). Wolf Ebersberger
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Faszinierend, auch weil rätselhaft bis zum Schluss ist der neue Roman der Wahl-Engländerin Rachel Cusk: eine der spitzesten Federn der Insel! Denn worum, zum Teufel, geht es eigentlich in "Der andere Ort", in dem ein bekannter Maler von einer Frau und langen Bewunderin ans Meer eingeladen wird, auf den Familensitz in der Marsch? Um Macht, Verführung, männliche Dominanz im Kreativen? Oder um eine sexuell unerfüllte, leicht hysterische Gattin, die sich alles schönredet und dann ein Disaster erlebt, weil der Künstler sie ignoriert? Gleich am Anfang sah sie leibhaftig den Teufel, darf man ihr also vertrauen? Man fühlt sich wie bei Henry James, virtuos verunsichert (Suhrkamp, 23 Euro). Wolf Ebersberger © Suhrkamp Verlag/Montage: Sabine Schmid

Es beginnt wie ein alter Chabrol-Film und bald fühlt man sich versetzt in eine brüchige Bürgerwelt, in der Tode irgendwo in der Provinz und verschlüsselte Vergangenheiten wichtige Rollen spielten. Bei der französischen Erfolgsschriftstellerin Marie NDiaye geht es in "In die Rache ist mein" (Suhrkamp, 22 Euro) um eine junge Anwältin in Bordeaux, die eine Mutter verteidigen soll, die ihre drei Kinder umgebracht hat. Die grausame Tat selber tritt fast in den Hintergrund, wenn NDiaye geschickt ihre Erzählung in andere, unvermutete Bahnen lenkt. Mit Thrillerelementen gespickt, kreist der Roman der Goncourt-Preisträgerin um falsche Gewissheiten, um das Zweifeln an der eigenen Biografie, um eine Schuld, die niemand annehmen will. Bernd Noack          
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Es beginnt wie ein alter Chabrol-Film und bald fühlt man sich versetzt in eine brüchige Bürgerwelt, in der Tode irgendwo in der Provinz und verschlüsselte Vergangenheiten wichtige Rollen spielten. Bei der französischen Erfolgsschriftstellerin Marie NDiaye geht es in "In die Rache ist mein" (Suhrkamp, 22 Euro) um eine junge Anwältin in Bordeaux, die eine Mutter verteidigen soll, die ihre drei Kinder umgebracht hat. Die grausame Tat selber tritt fast in den Hintergrund, wenn NDiaye geschickt ihre Erzählung in andere, unvermutete Bahnen lenkt. Mit Thrillerelementen gespickt, kreist der Roman der Goncourt-Preisträgerin um falsche Gewissheiten, um das Zweifeln an der eigenen Biografie, um eine Schuld, die niemand annehmen will. Bernd Noack           © Suhrkamp Verlag/Montage: Sabine Schmid

Es macht schon einen Unterschied: "Die Freiheit einer Frau" nennt sich etwas pauschal der neue Roman von Edouard Louis auf Deutsch, während das französische Original sehr gewählt die "Kämpfe und Verwandlungen einer Frau" würdigt. Die Frau, das ist die Mutter des Autors, und wie er selbst, den seine Homosexualität sehr früh aus dem kalten Norden Frankreichs in die rettende Hauptstadt getrieben hat, weg von Vater, Alkohol und Aggression, schafft auch sie den Sprung aus der Misere. Dafür liebt sie ihr Sohn und schreibt ihr diesen auch den Leser berührenden Brief (S. Fischer, 17 Euro) Wolf Ebersberger
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Es macht schon einen Unterschied: "Die Freiheit einer Frau" nennt sich etwas pauschal der neue Roman von Edouard Louis auf Deutsch, während das französische Original sehr gewählt die "Kämpfe und Verwandlungen einer Frau" würdigt. Die Frau, das ist die Mutter des Autors, und wie er selbst, den seine Homosexualität sehr früh aus dem kalten Norden Frankreichs in die rettende Hauptstadt getrieben hat, weg von Vater, Alkohol und Aggression, schafft auch sie den Sprung aus der Misere. Dafür liebt sie ihr Sohn und schreibt ihr diesen auch den Leser berührenden Brief (S. Fischer, 17 Euro) Wolf Ebersberger © S. Fischer Verlag/Montage: Sabine Schmid

Hammer und Nägel, Fuchsschwänze und Türspione: Sie gehören alle zum Sortiment der Firma "Kramp", das der mühselig  durch die Provinz tingelnde Vertreter im Roman von Maria Jose Ferrada anzubieten hat. Er tut dies, clever wie er ist (und ganz wie sein Vorbild Ryan O'Neill im Film "Paper Moon") mit seiner kleinen Tochter an der Seite, die schon mit 7 Jahren für ihn Schule schwänzen muss. Und die auch die Erzählerin dieses launigen Experiments ist, in dem das Pinochet-Chile der 80er Jahre den Hintergrund bildet, weshalb der Vater prompt in Gefahr gerät... (Berenberg, 22 Euro) Wolf Ebersberger
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Hammer und Nägel, Fuchsschwänze und Türspione: Sie gehören alle zum Sortiment der Firma "Kramp", das der mühselig  durch die Provinz tingelnde Vertreter im Roman von Maria Jose Ferrada anzubieten hat. Er tut dies, clever wie er ist (und ganz wie sein Vorbild Ryan O'Neill im Film "Paper Moon") mit seiner kleinen Tochter an der Seite, die schon mit 7 Jahren für ihn Schule schwänzen muss. Und die auch die Erzählerin dieses launigen Experiments ist, in dem das Pinochet-Chile der 80er Jahre den Hintergrund bildet, weshalb der Vater prompt in Gefahr gerät... (Berenberg, 22 Euro) Wolf Ebersberger © Berenberg Verlag/Montage: Sabine Schmid

Der früh verstorbene Chilene Roberto Bolano schrieb über "Mörderische Huren", "Die Nöte des wahren Polizisten" und im Hauptwerk "2666" über durchgeknallte Germanisten auf der Jagd nach einem Literaten. Jetzt liegt mit "Die Eisbahn" (S. Fischer, 24 Euro) sein Romandebüt vor, von ihm noch als Campingplatz-Nachtwächter verfasst. Ein Outlaw-Buch über gegensätzliche Männer, eine Eisballerina und die Gesetzlosigkeit der Nacht.  Christian Mückl
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Der früh verstorbene Chilene Roberto Bolano schrieb über "Mörderische Huren", "Die Nöte des wahren Polizisten" und im Hauptwerk "2666" über durchgeknallte Germanisten auf der Jagd nach einem Literaten. Jetzt liegt mit "Die Eisbahn" (S. Fischer, 24 Euro) sein Romandebüt vor, von ihm noch als Campingplatz-Nachtwächter verfasst. Ein Outlaw-Buch über gegensätzliche Männer, eine Eisballerina und die Gesetzlosigkeit der Nacht.  Christian Mückl © S. Fischer Verlag/Montage: Sabine Schmid

"Mein Großvater hatte das Land genau wegen dieser Angst verlassen, in einem Kaff an der Wolga ausgepeitscht zu werden, was auch der Grund dafür war, warum wir in Kanada lebten." Dieser Satz erklärt den Ausgangspunkt aller Erzählungen und Romane des 2001 verstorbenen jüdisch-kanadischen Autors Mordecai Richler. Er selber kam 1931 schon in Montreal zur Welt, aber die Gedanken und Gefühle seine Vorfahren aus Rumänien oder Polen, die flüchten mussten über den großen Teich, sind die Basis seiner faszinierenden Literatur. In "Eine Straße in Montreal" (ars vivendi, 20 Euro) beschreibt er sein Aufwachsen in den ärmlichen Gegenden der Stadt in schnoddrig-witzigem, melancholisch-wehmütigem Ton. Seine Freunde und er behaupten sich frech und mutig gegen die Fremde in den 40er und 50er Jahren und gegen die festgewachsenen Erinnerungen ihrer Mischpoche, sie entscheiden sich für das Eintauchen ins Abenteuer, das in den schmutzigen Gassen der Metropole lockt. Bernd Noack     
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"Mein Großvater hatte das Land genau wegen dieser Angst verlassen, in einem Kaff an der Wolga ausgepeitscht zu werden, was auch der Grund dafür war, warum wir in Kanada lebten." Dieser Satz erklärt den Ausgangspunkt aller Erzählungen und Romane des 2001 verstorbenen jüdisch-kanadischen Autors Mordecai Richler. Er selber kam 1931 schon in Montreal zur Welt, aber die Gedanken und Gefühle seine Vorfahren aus Rumänien oder Polen, die flüchten mussten über den großen Teich, sind die Basis seiner faszinierenden Literatur. In "Eine Straße in Montreal" (ars vivendi, 20 Euro) beschreibt er sein Aufwachsen in den ärmlichen Gegenden der Stadt in schnoddrig-witzigem, melancholisch-wehmütigem Ton. Seine Freunde und er behaupten sich frech und mutig gegen die Fremde in den 40er und 50er Jahren und gegen die festgewachsenen Erinnerungen ihrer Mischpoche, sie entscheiden sich für das Eintauchen ins Abenteuer, das in den schmutzigen Gassen der Metropole lockt. Bernd Noack      © Ars Vivendi Verlag/Montage: Sabine Schmid

Man weiß ja: Oscar Wilde hatte einen ganz einfachen Geschmack - er nahm einfach immer das Beste, will sagen Teuerste! "I am always satisfied with the Best" nennt sich nun ein neuer kleiner Band der Inselbücherei, der die berühmtesten Zitate des irischen Dandys und Dramatikers im englischen Original auflistet: unbestechlich klar und elegant. Auf Deutsch leistet weiterhin "Denken mit Oscar Wilde", bei Diogenes neu aufgelegt, seine Dienste... (15 Euro) Wolf Ebersberger
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Man weiß ja: Oscar Wilde hatte einen ganz einfachen Geschmack - er nahm einfach immer das Beste, will sagen Teuerste! "I am always satisfied with the Best" nennt sich nun ein neuer kleiner Band der Inselbücherei, der die berühmtesten Zitate des irischen Dandys und Dramatikers im englischen Original auflistet: unbestechlich klar und elegant. Auf Deutsch leistet weiterhin "Denken mit Oscar Wilde", bei Diogenes neu aufgelegt, seine Dienste... (15 Euro) Wolf Ebersberger © Suhrkamp Verlag/Montage: Sabine Schmid

Aus Gerichtsberichten glaubt man so einen Menschen irgendwoher zu kennen: eine Angestellte, Anfang 50, Familie, alles so normal – aber eines Tages dreht sie durch und bedroht ihren Chef mit einem Messer. Natürlich nicht ohne Grund. Die Französin Nina Bouraoui hat (2016, noch vor "#MeToo") den kurzen Roman "Geiseln" über die lebenslange Verletzlichkeit einer Frau geschrieben. Ein starker, klar aufgebauter Monolog, der soziale Ursachen für weibliche Unfreiheit ganz ohne Haudrauf-Reflexe zur Debatte stellt. (Elster, 19 Euro) Isabel lauer
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Aus Gerichtsberichten glaubt man so einen Menschen irgendwoher zu kennen: eine Angestellte, Anfang 50, Familie, alles so normal – aber eines Tages dreht sie durch und bedroht ihren Chef mit einem Messer. Natürlich nicht ohne Grund. Die Französin Nina Bouraoui hat (2016, noch vor "#MeToo") den kurzen Roman "Geiseln" über die lebenslange Verletzlichkeit einer Frau geschrieben. Ein starker, klar aufgebauter Monolog, der soziale Ursachen für weibliche Unfreiheit ganz ohne Haudrauf-Reflexe zur Debatte stellt. (Elster, 19 Euro) Isabel lauer © Elster Verlag/Montage: Sabine Schmid

Den alten Goethe mochte er nicht besonders. "Sah ein Greis ein Mädchen gehn, zart und doch so wohlig, lief er schnell, es nah zu sehn, oh wie war er drollig", spottete der junge Heinrich Böll 1937 - natürlich in Anlehnung an das allzu oft abgezupfte Heideröslein sowie die Seniorenerotik des Geheimrats. In dem Bändchen "Ein Jahr und keine Zeit" sind erstmals alle Gedichte Bölls vereint und kommentiert: Schreibübungen, wie er selbst sagte, und doch stets Aussagen eines streitbaren Geistes (Kiepenheuer & Witsch, 20 Euro). Wolf Ebersberger
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Den alten Goethe mochte er nicht besonders. "Sah ein Greis ein Mädchen gehn, zart und doch so wohlig, lief er schnell, es nah zu sehn, oh wie war er drollig", spottete der junge Heinrich Böll 1937 - natürlich in Anlehnung an das allzu oft abgezupfte Heideröslein sowie die Seniorenerotik des Geheimrats. In dem Bändchen "Ein Jahr und keine Zeit" sind erstmals alle Gedichte Bölls vereint und kommentiert: Schreibübungen, wie er selbst sagte, und doch stets Aussagen eines streitbaren Geistes (Kiepenheuer & Witsch, 20 Euro). Wolf Ebersberger © Kiepenheuer & Witsch Verlag/Montage: Sabine Schmid

Ein bisschen Schmidt geht immer. Gemeint ist natürlich Arno, an dessen monumentalem "Zettel's Traum" man gut und sehr gerne ein Leben lang zu knabbern hat. Ein anderes, ähnlich in Typoskript-Form gestaltetes Werk blieb Fragment: "Julia, oder die Gemälde". Der Autor ließ einige fertige Seiten im Großformat zurück, als er 1979 starb – und seine berühmten Kästen, bestückt mit 13 339 Zetteln. Wie wäre das Buch geworden? Susanne Fischer forscht in den akribisch geordneten Notizen nach, kommt auf Spuren, stellt Vermutungen an. In ihrem Buch "Julia, laß das!" (Suhrkamp, 30 Euro) sind über 400 faksimilierte Zettel abgebildet, dazu Fotos aus Schmidts Bargfelder Umfeld: ein spannender Werkstatt-Einblick. Bernd Noack
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Ein bisschen Schmidt geht immer. Gemeint ist natürlich Arno, an dessen monumentalem "Zettel's Traum" man gut und sehr gerne ein Leben lang zu knabbern hat. Ein anderes, ähnlich in Typoskript-Form gestaltetes Werk blieb Fragment: "Julia, oder die Gemälde". Der Autor ließ einige fertige Seiten im Großformat zurück, als er 1979 starb – und seine berühmten Kästen, bestückt mit 13 339 Zetteln. Wie wäre das Buch geworden? Susanne Fischer forscht in den akribisch geordneten Notizen nach, kommt auf Spuren, stellt Vermutungen an. In ihrem Buch "Julia, laß das!" (Suhrkamp, 30 Euro) sind über 400 faksimilierte Zettel abgebildet, dazu Fotos aus Schmidts Bargfelder Umfeld: ein spannender Werkstatt-Einblick. Bernd Noack © Suhrkamp Verlag/Montage: Sabine Schmid

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