Der Zauber minimaler Intervalle

10.8.2020, 18:27 Uhr
Der Zauber minimaler Intervalle

© Foto: Hans von Draminski

In normalen Zeiten wäre das Konzert am Burgberg eine Sache für das große Glas-Ensemble gewesen, während der Pandemie reicht Bassmann Glas sein mit Hubert Winter am Sopransax und Gilbert Yammine an der orientalischen Kastenzither Kanun hochkarätig besetztes Trio.

Komprimiert auf eine Stunde

Komprimiert auf eine Stunde gibt es eine Reihe von intelligenten Bogenschlägen zwischen Ost und West, gerne auch verschmolzen, zu einem untrennbaren Globalganzen fusioniert.

Das Kanun dominiert

Es dominiert wie zu erwarten das Kanun, von Gilbert Yammine in der türkischen Ausführung gespielt, die sich vor allem dadurch von der arabischen Variante unterscheidet, dass jeder Halbton in sechs noch kleinere Intervalle aufgeteilt werden kann. In der arabischen Musik ist Vierteltönigkeit weit verbreitet, in der Türkei dürfen es gerne noch feinere Stufen sein. "Das klingt dann, als ob ich unsauber spiele", grinst Yammine und demonstriert die Möglichkeiten seines Instruments mit dem bekannten "Bruder-Jakob"-Thema: Auf die Dur-Version des Volksliedes folgt Gustav Mahlers düsterer Moll-Trauermarsch aus der Ersten Symphonie und dann eine Yammine-Improvisation in Mikrotönigkeit – spannende Spurensuche für fortgeschrittene Weltmusik-Querhörer.

Klassik und Soul

Man ist vom ersten Ton an "Mystified", wie es das Einstiegsstück aus Gilbert Yammines Feder auch nahelegt. Da verbinden sich Klassik-Zitate mit Souk-Impressionen, Hubert Winters federnd flexibler Saxofonton bringt leise Klezmer-Anklänge ins Spiel und Rainer Glas gibt den Groove-Meister mit absolut hypnotischen, manchmal maschinengleich präzisen, manchmal völlig unegalen E-Bassläufen.

Anspruchsvolle Aufgaben

Dass hier nicht auf zwei und vier geklatscht oder mit dem Fuß gewippt werden kann, dürfte freilich nur blutige Jazz-Laien irritieren. Wer in der Welt der Blauen Noten daheim ist, kommt auch mit anspruchsvolleren Aufgaben wie dem Zehnachtel-Takt zurecht, den Yammine und Co. mit atemberaubender Lässigkeit in den Skulpturengarten zaubern.

Meditative Miniatur

Still wird es, wenn der Libanese Gilbert Yammine seiner kürzlich in Beirut ums Leben gekommenen Landsleute gedenkt und ihnen die meditative Miniatur "Farewell" widmet – in anderem Zusammenhang entstanden, aber in dieser schweren Zeit durchaus passend. Dass Erwartungshaltungen da sind, um sie artifiziell zu enttäuschen, zeigt "Grandpa’s Dance", eine knochenharte Jazzfunk-Nummer: Gilbert Yammines Opa kann im Kopf maximal 20 sein. Stark.

 

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