Die Kunst der Reduktion

20.10.2019, 18:54 Uhr
Die Kunst der Reduktion

© Repro: Hans-Joachim Winckler

Wie entsteht ein Bild? Vielleicht gar ein Bild, das Figur und Bewegung zusammenbringt, etwa das Motiv einer Tänzerin? Nun, da geht der Maler in einen Ballettsaal, weidet sich an graziler Schönheit und fertigt jede Menge Skizzen an. Vielleicht muss eine Tänzerin minutenlang mit gestrecktem Bein in Positur verharren.

Im Atelier werden dann die Skizzen miteinander verglichen, komplettiert, und dann beginnt die Übertragung auf die Leinwand. Hier kommt noch etwas dazu, und da ein Detail. Ist das Tutu auch durchsichtig? Und dann haben wir ein schönes Gemälde von einer Primaballerina beim Bade im "Schwanensee".

Christian Haberland geht den umgekehrten Weg. Auch er setzt sich in den Ballettsaal, beobachtet die Tänzer und fertigt Skizzen an. Im Atelier aber kommt nichts hinzu. Da wird reduziert, demontiert, weggelassen. Alles Überflüssige muss weg, die Plastik des Körpers löst sich auf in pure zweidimensionale Grafik, in Linienführung. Am Ende besteht so ein Körper gerade mal aus vier Tuschestrichen auf weißem Papier.

Freilich ist das kein Strichmännchen, wie es Erstklässler hinkritzeln. Sondern die Kontur eines linken Oberarms, eines rechten Beins, einer Schulter und der Umriss eines Kopfes. Das Auge des Betrachters wandert leicht irritiert über die Linien, und das Assoziationszentrum im Großhirn läuft auf Hochtouren.

Doch, ja, das dürfte eine sich drehende Figur, von hinten gesehen, darstellen. Und hier schlägt eine Figur Rad oder Kapriolen. Eine Tänzerin. Schließlich befinden wir uns hier in der Tanzzentrale.

Was aber ist dies? Ein chinesisches Schriftzeichen? Oder vielleicht doch eine Figur, die auf einem Bein steht, die das andere vor dem Schoß anwinkelt und nun eine Pirouette dreht?

In solchen Tuschezeichnungen hat Christian Haberland seine Kunst der Reduktion und der Andeutung zur Perfektion entwickelt. Kaum ein Künstler lässt dem Betrachter so viele Freiheiten, so viel Spielraum zur Vervollständigung.

Freilich balancieren seine "Danseuses" auch an der äußersten Grenze der Darstellbarkeit. Noch eine Linie weniger, und die Zeichnung fiele in sich zusammen, wäre nichts weiter als eine Ansammlung von kalligrafischen Kürzeln. Andererseits verwendet Haberland durchaus Darstellungen mit mehr als vier bis sechs Strichen. Etwa in einer Zeichnung dreier Ballerinen, die sich offenbar die Schuhe binden. Hier erweisen sich die Gliedmaßen als ein Gewusel barocker Schnörkel, wie die Seriphen der Rokoko-Kalligrafie.

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