Friedwald

Die letzte Ruhe unter einem Baum

3.11.2021, 11:42 Uhr
Die letzte Ruhe unter einem Baum

© Jan Stephan, NN

Es ist ein klarer Herbsttag. Das Wetter wie gemalt. Kühle Luft, blauer Himmel, ordentlich Sonne. Der Wald atmet feucht und riecht nach Nadeln, Erde und Nebel.

Er ist schön und sieht aus, wie ein Wald in Altmühlfranken eben aussieht. Nichts deutet darauf hin, dass hier mehr als 1000 Menschen ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Zwischen Fichten, Buchen und Jura-Kalkstein.

Erst wenn man genauer hinsieht, fallen einem die kleinen Blechschilder auf, die an manche Bäumen hängen und die bunten Bänder, die an andere geknotet sind. Die Schilder sind die Grabsteine des Friedwalds, die Bänder seine Preisliste.

Bestattungen im Wald? Verrückt!

Aber dazu später mehr, zunächst zu den Anfängen dieser Geschichte, ohne die es Schilder und Bänder nicht gäbe. Fast 15 Jahren ist es her, dass in der Altmühlstadt eine Anfrage der Friedwald GmbH auf den Tisch flatterte. Die Zeiten waren andere. Bestattungen im Wald galten mindestens als eigenwillig, wenn nicht verrückt.

Es gab deutschlandweit nur wenige Vorbilder und in Bayern war die Lage besonders kompliziert. Das Landesrecht schrieb vor, dass nur Kommunen oder Kirchengemeinden Träger eines Friedhofs sein dürfen.

Die Stadt sollte also mit der Friedwald GmbH kooperieren. Im Stadtrat wurde diskutiert, sich viel gesorgt und am Ende abgelehnt. Der Stadtrat sagt nein. Zu unklar sei, was passiere, wenn die GmbH pleite ginge.

Der Friedwald mache nur den bestehenden Friedhöfen „Konkurrenz“ und überhaupt, wolle man wirklich bekannt werden, als die Stadt in der man vielleicht nicht tot über‘m Zaun, aber begraben unter‘m Baum sein wolle?!

Die Menschen wollen diese letzte Ruhestätte

Das Thema schien erledigt. Hinter den Kulissen verhandelte die Friedwald GmbH aber mit der evangelischen Kirchengemeinde Pappenheim und stößt dort auf mehr Interesse. Bemerkenswert, immerhin lehnte die katholische Kirche Friedwälder zu diesem Zeitpunkt allgemein ab. Man befinde sich damit in der Nähe von naturreligiösen Bestattungsritualen, die mit christlichen Glaubensinhalten nicht zu vereinbaren seien, hieß es.

Die letzte Ruhe unter einem Baum

© Jan Stephan, NN

Bei den Protestanten sieht man es anders. Die Menschen wollen diese Bestattungsform, also sollten wir sehen, dass sie in einem kirchlichen Rahmen stattfinden kann, heißt es aus dem Kirchenvorstand.

Im Oktober 2013 eröffnet in Pappenheim schließlich der dritte Friedwald Bayerns. In einer Art verwaltungsrechtlicher Ménage-à-Trois. Die Kirchengemeinde ist Träger, die Pappenheimer Grafschaft stellt das Waldstück zur Verfügung und die Friedwald GmbH übernimmt den Betrieb.

Mehr schicksalhafte Todesfälle

„Das funktioniert reibungslos“, zieht Dekan Wolfgang Popp nach acht Jahren Probebetrieb ein zufriedenes Fazit und sieht sich auch insgesamt bestätigt: „Das war eine gute Entscheidung damals.“ Die Kirchengemeinde gehe mit schwarzen Zahlen aus der Kooperation hervor, werde aber nicht reich. Wichtig ist ihm aber ohnehin etwas anderes.

„Für mich sind solche Dinge wie die Weidenkirche oder der Friedwald ein bisschen die Kirche der Zukunft.“ Die christliche Seelsorge und Begleitung müsse zugänglicher werden, nicht mehr nur im traditionellen Gotteshaus stattfinden. Räume, die offener sind für kirchenferne Menschen, könnte da einen Beitrag leisten.

Seelsorgerische Begleitung ist im Friedwald durchaus nötig. Nicht immer und bei jedem, aber manchmal klingelt auch nachts das Telefon oder es steht weinend jemand vor der Tür. „Wir haben im Friedwald mehr unnormale Todesfälle als auf einem normalen Friedhof“, habe ich den Eindruck. „Mehr junge Menschen, mehr Unfälle, mehr Suizide, auch Sternenkinder ...“

Kaum Einheimische

Rund 20 Begräbnisse im Jahr führt er selbst im Friedwald durch. Von den einheimischen Mitgliedern seiner Gemeinde lässt sich kaum jemand im Wald begraben. Popp: „Wenn, dann sind es Menschen mit einem engen Bezug zum Wald. Schäfer oder Förster zum Beispiel.“ Ansonsten kommen die Menschen, die sich für einen Friedwald-Platz entscheiden meist aus einem Umkreis von etwa 100 Kilometern. „Aber auch bis aus München kommen die Leute.“

Die letzte Ruhe unter einem Baum

© Jan Stephan, NN

Popp erzählt von einem gehbehinderten Münchner Rentner, der erzählt, dass er mit seinem Auto bis zum Pappenheimer Friedwald fast genauso lang brauche, wie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum großen Münchner Friedhof. Nur, dass er in Pappenheim fast bis an den Baum fahren könne, an dem seine Frau begraben sei. Einmal in der Woche fährt er ins Altmühltal um seiner Frau zu erzählen, was die Woche über so passiert ist.

Mehrwert für die Region

Sicher ein Ausnahmefall, aber über die Jahre haben viele Menschen eine Verbindungen zu dem Ort aufgebaut, an dem ihre Lieben begraben sind und zu dem sie immer wieder zurückkehren. Das schöne Waldstück, das idyllische Altmühltal, das historische Pappenheim ...

Die Friedwald GmbH hatte schon vor Jahren erklärt, dass man sich vor allem wegen des perfekten Umfelds für dem Standort interessiere. Die Entfernung zu den nächsten Großstädten sei dagegen eigentlich fast zu weit.

Der Stadt bringe der Friedwald auch wirtschaftliche etwas, ist Dekan Popp überzeugt. „50 Prozent der Menschen, die den Friedwald besuchen, gehen hier in einem Umkreis von zehn Kilometern noch was Essen oder einen Kaffee trinken.“ Gastronomen aus Pappenheim hätten ihm bestätigt, dass sie häufig Friedwald-Besucher zu Gast hätten.

Die Nachfrage steigt

Derzeit werden pro Jahr etwa 200 Menschen im Pappenheimer Friedwald begraben. Popp: „Die Tendenz ist steigend.“ Deswegen erweiterte die Friedwald GmbH zuletzt das Gelände um 200 neue Grabbäume und einen zweiten Gedenkplatz.

Die letzte Ruhe unter einem Baum

© Archiv Weißenburger Tagblatt, NN

An Raum wird es auf absehbare im Pappenheimer Friedwald aber ohnehin nicht mangeln. Vielleicht ein Zehntel der genehmigten Fläche von 60 Hektar Fläche wird derzeit nur genutzt. Das Gesamtareal böte sicher über 10 000 Verstorbenen Platz.

Und der Pappenheimer Dekan glaubt, dass der Andrang auf absehbare Zeit nicht nachlässt. Für ihn ein Zeichen einer veränderten Welt. „Früher hat sich keiner groß Gedanken gemacht, wo man begraben sein will. Warum auch? Das war ja klar, auf dem Friedhof, in dem Dorf, wo man eben gelebt hat und wo die Familie war.“

Heute aber seien viele Senioren am Ende ihres Lebens allein, die Kinder über das Land verstreut ... Wer soll sich da um das Grab kümmern.

Für viele ist es ein gutes Gefühl

Und kümmern, das muss man sich auf dem Friedwald eben nicht, ja man darf es im Übrigen sogar kaum. Denn Grab- und Blumenschmuck sind verboten, immerhin soll der Wald als Naturgebiet nicht beeinträchtigt werden.

„Für viele Menschen ist es aber auch ein gutes Gefühl, zu Lebzeiten die letzten Dinge klären zu können“, weiß Popp. Wer sich heute einen Baum kauft, der hat immerhin bis ins Jahr 2111 einen Grabplatz garantiert. So lange läuft die Erbpacht zwischen der Grafschaft und der Kirchengemeinde.

Das ist nicht ganz die Ewigkeit, aber immerhin deutlich länger als auf einem normalen Friedhof.