Die Sprach-Prügler

14.1.2017, 08:00 Uhr
Die Sprach-Prügler

© Foto: Marius Becker / dpa

"Völkisch“. Ein Begriff, der aus unserem Sprachgebrauch verschwunden war. Neuerdings taucht er wieder auf. Frauke Petry. will „völkisch“ sogar „positiv besetzen“. Doch nicht nur die Vorsitzende der rechtspopulistischen AfD greift ganz ungeniert auf kontaminierte Vokabeln zurück. Auch die in München geborene CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla hat ganz offenbar keinerlei Problem mit derartigen Begriffen: Sie schrieb kürzlich von einer „Umvolkung“, die den Deutschen durch die vielen Zuwanderer drohe.

Kein Wunder, dass der Begriff „Volksverräter“ vor wenigen Tagen zum Unwort des Jahres gekürt worden ist. Denn der Befund ist eindeutig: Unsere Sprache verändert sich, sie schöpft aus längst trockengelegt geglaubten Quellen. Der Rechtsruck der Gesellschaft macht sich nicht mehr nur in Wahlergebnissen, sondern auch in den Worten, die benutzt werden, bemerkbar.
Zum Entsetzen fachkundiger Beobachter: „Völkisch, das ist ein Begriff aus dem 19. Jahrhundert, der zu den ganz klar nationalistischen und rassistischen Denkstrukturen gehört, die in den Nationalsozialismus mündeten“, analysiert Professor Magnus Brechtken, stellvertretender Leiter des Münchener Instituts für Zeitgeschichte (IfZ).

Brechtken hat sich entschieden, nicht länger zur sprachlichen Radikalisierung zu schweigen. Als Historiker will er sich einmischen. Indem er Klartext spricht über bestimmte Begriffe, die fröhliche Urständ feiern — wie eben das Völkische. „Wenn dann in der Gegenwart Argumente aufkommen, wonach ,völkisch‘, nur eine Art von Jugendwandertag in den 20er Jahren ist, dann muss man deutlich sagen: Das ist nicht nur falsch, sondern irreführend.“ Weil versucht wird, einen historisch eindeutig belegten Begriff umzudeuten und somit die Bevölkerung über die wahre Bedeutung zu täuschen.
Ein gefährliches Unterfangen, meint auch die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS). Die Experten dort beobachten eine „Rechtsradikalisierung des gegenwärtigen Sprachgebrauchs“ durch rechte politische Eliten und Milieus und warnen vor einer „Aushöhlung der liberalen, freiheitlichen Gesellschaftsordnung“.
 

 „Die Zerstörung der politischen Kultur“
 

Ist Sprache als Wegbereiter späterer Wahlerfolge rechtsradikaler und rechtspopulistischer Gruppen denkbar? Zumindest können Wörter bestimmte Themen auf die Tagesordnung setzen, die vollkommen zu Recht über einen langen Zeitraum außerhalb unserer Sprach- und Diskussionskultur waren.

Dresden, 3. Oktober 2016, Tag der Deutschen Einheit: Die versammelte Staatsspitze muss bei der zentralen Einheits-Feier eine Art verbalen Spießrutenlauf über sich ergehen lassen. Kanzlerin Angela Merkel wird als „Volksverräterin“ beschimpft (siehe dazu unten stehendes Glossar), das Entsetzen steht den Spitzen der Verfassungsorgane der Bundesrepublik buchstäblich ins Gesicht geschrieben. „Das ist eine Zerstörung der politischen Kultur an den Wurzeln“, zeigt sich auch der Zeithistoriker Brechtken betroffen.
„Den Radikalisierungstendenzen entgegenzuwirken, ist ebenso schwierig wie notwendig“, heißt es nüchtern von Seiten der GfdS. Deutlicher fällt da der Appell des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, aus: „Wir müssen klare Kante zeigen gegenüber allen Versuchen, völkisches Gedankengut und rechtsextremistische Kampfrhetorik in unserem Land wieder salonfähig zu machen.“

Warum? Weil verbale Aggressivität in körperliche Auseinandersetzung münden kann: „Gewalt in der Sprache ist oft eine Vorstufe von Gewalt in der Wirklichkeit. Das ist etwas, was wir auch aus der Geschichte lernen können, etwa aus der Weimarer Republik“, warnt der NS-Kenner Brechtken eindringlich. „Wenn der Respekt vor dem politischen Gegner nicht mehr akzeptiert wird, ist das ein erster Schritt zur Gefährdung unseres Miteinanders.“
Brechtken hat sich eingehend mit der Vorgeschichte der Nazi-Diktatur befasst und zieht Parallelen zur Gegenwart: „Es ist eben nicht gleichgültig, welche Wörter man benutzt.“ Deshalb sei Vorsicht angebracht. Zumal in Zeiten, in denen in sozialen Netzwerken in sich geschlossene Weltbilder entstehen, die wiederum Wahlkämpfe beeinflussen können. Die USA haben das jüngst gezeigt.


Dieses Szenario haben auch die Sprachforscher des GfdS vor Augen: Denn es bestehe durchaus „die Gefahr einer schrittweisen Erosion der Gesellschaft und eines ideologisch-propagandistischen Erfolgs, der darin besteht, die potenziellen Anhänger rechtsradikaler und -populärer Gruppierungen sehen und glauben zu lassen, was sie zu sehen und glauben wünschen.“

Zurück zum Begriff „völkisch“, den die AfD-Chefin salonfähig machen möchte: „Frauke Petry müsste eigentlich wissen, was sie da tut“, meint Brechtken und vermutet dahinter „eine zynische Haltung zum gesamten Prozess des Politischen, wie wir sie in der Weimarer Republik erlebt haben“. Letztlich gehe es darum, bestimmte Grundregeln des politischen Systems zu zerstören.
Bleibt die Frage, wer für die Sprache im öffentlichen Raum zuständig ist: Manche Politiker prangern verbale Entgleisungen der Rechten zwar an. Prominentestes Beispiel ist wohl Sigmar Gabriel. Der SPD-Chef zeigte in Salzgitter pöbelnden Demonstranten den Mittelfinger, nachdem sie ihn als „Volksverräter“ tituliert hatten. Gabriel war es auch, der Pegida-Anhänger als „Pack“ bezeichnet hat.
Sonderlich hilfreich, das betont die Gesellschaft für deutsche Sprache, sind derlei Attacken aber nicht: „In die Emotionalisierungs- und Diskriminierungsspirale einzusteigen, ist der in der Situation verständliche, aber hilflose, gar kontraproduktive Versuch, der radikalisierten Sprache, den Bildern und Gesten entgegenzuwirken.“

Den Mund zu halten sei aber ebenso wenig zu akzeptieren, darauf wies Justizminister Heiko Maas (SPD) gegenüber Zeit Online hin: Denn „wenn die schweigende Mehrheit weiter schweigt, dann wird in den sozialen Medien und auf der Straße immer mehr der Eindruck erweckt, dass es mehr Rechtspopulisten und Rechtsextreme gibt, als das in Wirklichkeit der Fall ist.“ Einmischen ist also wichtig.
 

„Nötig sind Anstand und gegenseitiger Respekt“
 

Das ist ganz im Sinn des Historikers Brechtken: „Wir sind alle dafür zuständig und müssen in unserem Alltag deutlich machen, dass wir bestimmte Grenzen des Umgangs miteinander haben. Wir tolerieren ja nicht, wenn jemand prügelnd durch die Straßen geht. Und wenn jemand mit Worten prügelnd durch die Straßen zieht, sollten wir auch sagen, das ist eine Art von Umgang, den wir nicht akzeptieren.“ Einer sich derzeit abzeichnenden Verrohung der Sprache muss entgegengewirkt werden. Anstand und gegenseitiger Respekt seien gefragt.

Würde er noch leben, könnte Victor Klemperer bezeugen, wie sehr Wörter sich wie ein Schleier über die Realität legen können. Der Dresdner Jude und Romanistikprofessor (1881-1960) hat die Sprache der Nazis genau beleuchtet. In seinem 1947 erschienenen Buch „Lingua Tertii Imperii“ (Die Sprache des Dritten Reichs) spürte er der durch die Nazi-Propaganda gesteuerten schrittweisen Veränderung hinterher.
1935 notierte er in seinem Tagebuch: „Gestern charakteristische Szene: Verkehrsstockung in der Prager Straße, Knäuel von Menschen, Wagen. Ein junger Mensch, blass, starr, wahnsinnig im Aussehen, brüllt immerfort auf einen anderen ein, den ich nicht gesehen habe: 'Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter!'“
Der Begriff „Volk“, so Klemperer, „wird jetzt beim Reden und Schreiben verwandt wie Salz beim Essen, an alles gibt man eine Prise Volk: Volksfest, Volksgenosse, Volksgemeinschaft, volksnahe, volksfremd, volksentstammt“. Sätze, die gute Argumente gegen alles „Völkische“ liefern.

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