Die Urkunde, die die Wiesen fruchtbar macht

25.8.2017, 18:31 Uhr
Die Urkunde, die die Wiesen fruchtbar macht

Es fing an mit einem Krach zwischen dem Nürnberger Bürger Hans Umbhaw und den Gebrüdern Waldstromer. Umbhaw ärgerte sich darüber, dass die Waldstromer das Rednitzwasser mittels eines Baches abgezweigt hatten und so zu wenig auf seine Mühle und Hammerwerk floss.

Wie im Jahr 1520 üblich, wurde unter tätiger Mithilfe der Patrizier Sigmund Fürer, Wilhelm Derrer und Linhart Bomer über den Streit verhandelt und am Ende einigten sich die Streithähne über eine gütliche Nutzung. In diesem "Wässerbrief", unterzeichnet am 11. Juli 1520, heißt es: "unsere beidseitige Meinung ist in der verflossenen Zeit mit längeren Worten durchgesprochen worden".

Und dann folgt die genaue Berechnung, wer wann wie viel Wasser aus der Rednitz entnehmen darf. Vom ersten Samstag nach Georgi, also dem 23. April, bis Michaelis, dem 29. September ,wird seit fast 500 Jahren in genau festgelegten Rhythmen gewässert.

"Das ist für uns die Grundlage, um unsere Felder zu bewirtschaften", macht Heinz Lämmermann deutlich. Der Landwirt spricht vom sandigen Boden, der nur wenig Humusoberfläche hat und deshalb schnell trocken wird. "Eine künstliche Bewässerung wäre völlig unrentabel, wir sind auf das Wässerrecht angewiesen!"

Großen Respekt hat auch Umweltreferent Peter Pluschke vor der jahrhundertealten Tradition: "Das Wasserrecht ist das älteste Umweltrecht, das es überhaupt gibt. Früher gab es diese Systeme der Wässerwiesen weiträumig an vielen Orten in Bayern, heute sind wir fast die Einzigen, in Möhrendorf gibt es noch ein Gebiet. Unseres funktioniert so gut, weil sich die Landwirte seit Generationen darum gekümmert haben und es pflegen."

Die Urkunde, die die Wiesen fruchtbar macht

Damit es funktioniert, müssen Wässermeister sich darum kümmern, die kleinen Schleusen und Schützen genannten Wehre rechtzeitig zu öffnen und zu schließen. Die Arbeit der Wässermeister beschreibt Pluschke so: "Die haben Kenntnis über die Abläufe, haben ihre Regeln, Erfahrung und Wissen, das seit Generationen weitergegeben wird." Die Stadt ist froh, dass es die Bauern gibt, die das System weiterbetreiben, denn damit wird der Wuchs von Futtermitteln gewährleistet. In anderen Regionen sind diese Wiesen längst trockengefallen, eine Wiederbelebung ist nicht denkbar.

Durch das Rednitzwasser aus dem Grabensystem sind pro Jahr bis zu fünf Schnitte Gras möglich, ohne das zusätzliche Wasser wären es wohl maximal drei. Je nach Wetterlage im Jahr. Und um seines und das der anderen Bauern Recht jederzeit beweisen zu können, verwahrt Heinz Lämmermann die Urkunde sorgsam in einer fein geschnitzten Holzkiste bei sich auf dem Hof. Die Kiste mit der Urkunde wird von Generation zu Generation weitergereicht. "Das System der Gräben selbst dürfte noch älter sein als die Urkunde", glaubt er.

Denn schon vor der urkundlich belegten Streiterei nutzten die Adligen die Gewässer südlich von Nürnberg vermutlich für das Vergnügen der Fischerei. "Die Gräben wurden damals gegraben, damit man sich zum Fischen hinsetzen konnte", glaubt Heinz Lämmermann. Doch erst seit 1520 war genau festgeschrieben, wer alles ans Wasser herankam und wie viel entnommen werden durfte.

Und da sich das Ganze bewährte und offensichtlich jeder genug Wasser abbekam, wurde im Jahr 1547 die Wasserordnung ergänzt und für alle nachkommenden Erben und Inhaber der "Wiesmahden" in einer langen Liste festgesetzt. Die alten Bezeichnungen für die Tage, Mengen und Zeiten wurden schon vor Jahrzehnten vom Staatsarchiv in neue Messeinheiten übertragen.

Ab 1855 gab es dann einen neuen Wässerbrief, der den Bauern erlaubte, ihre Wiesen alle 14 Tage zu wässern, ohne dass Stadt oder Mühlenbesitzer Einwände erheben konnten. Dabei ist auch festgeschrieben, wie hoch der Schieber am Wehr geöffnet werden darf, damit ja kein Tropfen zu viel auf die Wiesen fließt. Diverse Gerichtsurteile bezeugen, dass andere Nutzer auf das Recht geschielt hatten und versuchten, es zu kippen. Doch bisher war es stets gerichtsfest.

Seniorbauer Georg Lämmermann kennt beim Gang über die Felder alle Wasseranlagen und Kreuzungen auswendig. Jede einzelne Schütze, wie die kleinen hölzernen Wehre auf den Feldern heißen, weiß er zu bedienen. "Die werden der Reihe nach versetzt und geöffnet, dann flutet das Wasser dort in den Graben und überschwemmt das Feld", erklärt er mit Blick auf die etwa einen knappen Meter breiten Wassergräben. Rund eine Woche lang dauert die Bewässerung maximal.

Knapp 50 Hektar werden bewässert, das Rednitzwasser reicht immer, das Grabensystem ist mit Wehrmauern bebaut und ausgeklügelt. "Wir bewässern nur, wenn es notwendig ist", betont er dabei. "Nur weil wir dürfen, machen wir das doch nicht, der Aufwand ist immens." Die Pflege der Gräben erfordert auch Feingefühl, sie müssen regelmäßig gereinigt und überprüft werden, damit sie nicht irgendwann einmal zuwachsen. Doch etliche Spaziergänger und Hundehalter machen Probleme, indem sie ohne Rücksicht über die Wiesen laufen und Gras niedertrampeln.

Die Urkunde, die die Wiesen fruchtbar macht

In regelmäßigen Abständen in den Gräben sind die Holzschützen eingebaut, alles funktioniert so seit fast einem halben Jahrtausend. Mit einer großen Welle kann der Durchlauf reguliert werden. "Einmal wollte ein anderer Nutzer, dass wir die Wässerzeit verändern. Da haben wir einen Versuch gemacht, er hat dann gesehen, dass das ganze Feld überflutet war – und dass es keinen Sinn hat, die alte Ordnung zu ändern", erinnert sich der Altbauer.

Die Bedienung der Schützen erfordert viel Wissen, Erfahrung und auch Gefühl. "Je nach Trockenheit muss man den Abschnitt eben ein bisschen länger oder kürzer bewässern." Und genaue Kenntnis darüber, wie viel Wasser erlaubt ist. Jeder Wässermeister gibt seine Erfahrungen an den nächsten weiter, seit einem halben Jahrtausend.

Und wenn es nach den Bauern im Rednitzgrund geht, dann soll das auch die nächsten Jahrhunderte so weitergehen. Denn man könnte es heutzutage mit aller modernen Technik nicht besser erfinden, da sind sie sich alle einig.

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