Die Zauberei des Geigenspiels

5.8.2018, 20:34 Uhr
Die Zauberei des Geigenspiels

© Foto: Horst Linke

Solche schweißtreibenden Rahmenbedingungen schlagen sich auch in der Konzertbesuchslaune nieder, die auch beim zweiten Konzert mit rund 65 000 Besuchern unter der Sollstärke lag, die sich der Veranstalter für das größte Klassik-Open-Air-Konzert wünscht. Dabei macht es Paul Dukas "Zauberlehrling" unmissverständlich klar: Die Geister, die man zahlenmäßig ruft, wird man so schnell nicht los.

Dem neuen Chefdirigenten der Symphoniker, Kahchun Wong geht es bei seiner Nürnberg-Premiere sicherlich nicht um die organisationstheoretische Deutung der Goethe-Dichtung, sondern um die Farbigkeit dieser Musik, die nicht zu Unrecht auch in Walt Disneys Animationsfilm "Fantasia" Verwendung fand.

Wiedergeburt als Schmetterling

Nun ist er also angekommen, der hochtalentierte Mr. Wong, der diesem vielversprechenden Auftakt gleich einen musikalischen Gruß aus seiner asiatischen Heimat folgen ließ: "The Butterfly Lovers’ Violin Concerto" verfolgt den Romeo- und Julia-Topos, lässt es aber romantisch mit der Hoffnung der Wiedergeburt als Schmetterling enden. Das klingt so kitschig wie die Musik selbst in ihrer Harmoniesüchtigkeit, dass man die Bambusflöten selbst dort zu hören glaubt, wo sie gar nicht ertönen. Diese Zauberei verdankt sich dem fantastischen Geigenspiel der jungen Südkoreanerin Bomsori Kim, die keine Sekunde einen Zweifel aufkommen lässt, warum sie beim ARD-Musikwettbewerb vor wenigen Jahren reüssierte.

Noch stupender entfaltet sich ihre Spielkunst nach der Pause, als sie Franz Waxmans "Carmen Fantasie" im nun bordeauxfarbenen Kleid auslebt. Dass der im oberschlesischen Oppeln aufgewachsene Waxman nach seiner Emigration in die USA zu einem der führenden Filmkomponisten reifte, überrascht bei dieser halsbrecherischen Bearbeitung der Themen aus Bizets Oper nicht. Nicht nur das Publikum zeigt sich begeistert über solch eine makellose Performance, sondern auch Kahchun Wong, der sich beim Applaus zu einem Selfie mit der Geigerin hinreißen lässt.

Wong scheint den technischen Neuerungen nicht abgeneigt zu sein. Noch sind es wenige, die sich die Sound-Datei "Regenschauer aus Singapur" vorab aufs Smartphone heruntergeladen haben. Der Aufforderung Wongs, Regensounds durch differenziertes Klatschen nachzuahmen, folgen alle, um sich anschließend von einem Kinderchor aus Singapur und einem beschwingten Marsch überraschen zu lassen. In Singapur, so verrät das Programmheft, regnet es jeden Tag.

Nach dem obligaten Wunderkerzenmeer zu Mascagnis "Intermezzo sinfonico" locken zum Finale Bernsteins "Symphonische Tänze" aus der West Side Story: Ein Melodienreigen von hohem Wiedererkennungswert. Doch zugleich wird hörbar, was sich bei Prokofjews Ballettauszügen zu Romeo und Julia andeutete: Wong kann die Nürnberger Symphoniker zu einer für einen solchen Rahmen überraschenden klanglichen Differenzierung führen. Das hat Schwung, Ausdruckskraft und bleibt doch enorm transparent. Zum Zugabenteil gehörte auch die Titelmelodie aus dem Film Titanic: Das Streichorchesters, das beim Unterganges des Schiffes einfach seine Musik weiterspielt, wurde für Wong als Teenager zum prägenden Erlebnis, sich für den Beruf des Musikers zu entscheiden. Und erneut ergoss sich über den Luitpoldhain zu diesen Klängen ein Meer aus funkelnden Lichtern.

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