Tödlicher Verkehrsunfall in Franken

Drama Theresa Stahl: Ankläger will fast zwei Jahre Jugendstrafe für den Fahrer

27.10.2021, 12:21 Uhr
Drama Theresa Stahl: Ankläger will  fast zwei Jahre Jugendstrafe für den Fahrer

© NEWS5 / Höfig

Es ist der Erziehungsgedanke, der im Jugendstrafrecht die Leitlinie bildet - und es sei zwingend, dass Jugendstrafrecht in diesem Fall angewendet wird, so der Staatsanwalt. Doch er bekennt auch: Geht es um Straftaten, die im Straßenverkehr begangen werden, hielte er es für wünschenswert, dass sich Jugendstrafrecht und Erwachsenenstrafrecht nähern.

Die Vollstreckung der Jugendstrafe, so der Ankläger, sei zur Bewährung auszusetzen. Als Bewährungsauflage fordert er Sozialstunden, bis der Angeklagte Niclas H. einen Arbeitsplatz gefunden hat. Die Fahrerlaubnis müsse ihm entzogen werden.

Der Berufungsprozess um den Unfalltod der 20-jährigen Theresa Stahl vor dem Würzburger Landgericht geht in die Zielgerade, am Mittwoch wird das Urteil erwartet,

Der Berufungsprozess um den Unfalltod der 20-jährigen Theresa Stahl vor dem Würzburger Landgericht geht in die Zielgerade, am Mittwoch wird das Urteil erwartet, © News5

Als Niclas H. im April 2017 Theresa Stahl aus dem Leben riss, war er 18 Jahre alt und Fahranfänger. Er hatte fast drei Promille, in einem ersten Verfahren vor dem Amtsgericht galt er als schuldunfähig und wurde deshalb wegen vorsätzlichem Vollrausch verurteilt. Der Richterspruch fiel mit 5000 Euro Geldstrafe und einem Jahr Fahrverbot milde aus - das Urteil sorgte für bundesweite Empörung.

Unverantwortlich und gewissenlos

Nach seiner Überzeugung, so sagt der Staatsanwalt heute, am Ende der Beweisaufnahme in der Berufungsverhandlung, sei dieses Ersturteil nicht zutreffend - weder in der rechtlichen Wertung noch im Strafmaß.


Freilich könne keine Strafe dieser Welt Theresa Stahl zurückbringen, doch Aufgabe der Justiz sei es, im Strafprozess der Wahrheit so nah wie möglich zu kommen. Und hier müsse man das völlig unverantwortliche und gewissenlose Verhalten des Angeklagten sehen – der betrunken in sein Auto stieg und nur deshalb ein Leben zerstörte.

"Ich geb´ Gas, ich will Spaß!"

Niclas H. hatte an jenem Abend auf dem Weinfest dem Alkohol stark zugesprochen, nach Hause wollte er nicht. Weit nach Mitternacht drehte er auf dem Parkplatz des Festgeländes „Donuts“, alles nach dem Motto „Ich geb` Gas, ich will Spaß!“ Schon diese Kunststücke seien gefährlich gewesen, kommentiert der Ankläger, schließlich seien auf dem Festgelände noch letzte Nachtschwärmer unterwegs gewesen.

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© www.gegen-alkohol-am-steuer.de, NNZ


Schließlich traten Niclas H. und seine drei Kumpels die Heimfahrt an. Was passierte dann? „Es gab und gibt viele Theorien, Gerüchte und ein vermutetes Komplott“, so der Staatsanwalt. Immer wieder wurde öffentlich der Verdacht laut, dass Niclas H. nicht selbst am Steuer saß.

Theorien, Gerüchte und ein vermutetes Komplott

Hatten seine drei Kumpels ein Komplott geschmiedet und ihn als den Betrunkensten von allen hinter das Steuer gesetzt? Nachdem es zu dem grässlichen Unfall kam, ging die Fahrt noch wenige Hundert Meter weiter. Als Niclas H. ohnmächtig wurde, sollen sie seinen Golf in einen Straßengraben geschoben haben, und liefen selbst davon.


Der Ankläger hält nach der Beweisaufnahme all dies für unzutreffend. Niclas H. sei der Fahrer gewesen - zu dem Unfall kam es infolge eines Fahrfehlers, vorsätzlich sei er nicht verursacht worden. Ausreichende Indizien für einen Mord hätten sich in der Beweisaufnahme nicht ergeben.


Doch bei der Polizei hatte sich eine Zeugin gemeldet, die über mehrere Ecken gehört hatte, dass über den tödlichen Unfall auf einer Party gesprochen wurde – demnach wäre Niclas H. in jener Nacht von seinem Beifahrer angestiftet worden, sein Auto gezielt auf Theresa Stahl zu steuern. Ein furchtbarer Gedanke, doch der Staatsanwalt bezweifelt auch hier den Wahrheitsgehalt. Nach den Aussagen mehrere Gäste der damaligen Feier bleiben zu viele Widersprüche, die Gerüchteküche erinnere ihn an das Spiel „Stille Post“.

Angeklagter trinkt seit seinem 11. Lebensjahr

Unzutreffend sei auch, dass Niclas H. zum Zeitpunkt des Unfalls so alkoholisiert war, dass er unfähig war, sich zu steuern – sprich schuldunfähig wäre.
Niclas H. sei an Alkohol gewöhnt, er trinke seit seinem 11. Lebensjahr. Zeugen hatten beschrieben, dass H. große Mengen Alkohol vertrage, dies sei allseits bekannt. Eine Freundin schilderte, H. sei nie länger als zwei Tage abstinent geblieben, selbst 15 Bier am Tag seien nicht so ungewöhnlich für ihn. Und der Staatsanwalt erinnert an die Kreise, die Niclas H. in seinem Golf vor Zeugen auf dem Parkplatz des Festgeländes ins Erdreich drehte – wie sollte er die Orientierung wenig später auf der Landstraße gänzlich verloren haben?

Und auch der Umstand, dass sich Niclas H. an das Unfallgeschehen nicht mehr erinnern könne, spreche nicht dafür, dass er sich nicht mehr steuern konnte. Diese Amnesie deute eher darauf hin, dass Niclas H. das Geschehen nicht wahrhaben wolle und verdränge.

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© Ulrike Löw, NNZ

Er wolle nicht den Täter zum Opfer machen, so der Ankläger. Niclas H. habe rücksichtslos und gewissenlos gehandelt, die junge Frau mit 80 km/h erfasst und einfach liegen lassen. Doch er sei auch "ein Opfer seine eigenen Tat". Zwei Suizid-Versuche liegen hinter Niclas H.


Am Ende der Beweisaufnahme hatte Niclas H. erstmals das Wort an die Familie Stahl gerichtet: Es wisse, dass es keine Entschuldigung gibt, es tut ihm unendlich leid.

"Wer im Namen des Volkes urteilt", so formuliert es Philipp Schulz-Merkel, "muss auch darauf achten, dass ein Urteil verstanden wird" – das milde Urteil des Amtsgerichts aus erster Instanz nennt er eine "Katastrophe". Und eine "Katastrophe" sei auch das Gutachten des Psychiaters gewesen. Schulz-Merkel tritt als Nebenklage-Anwalt für die Familie von Theresa Stahl auf.


"Leichtsinnig" und "fehlerhaft" nahm der Psychiater an, dass Niclas H. sich nicht steuern konnte, und ebenso "leichtsinnig" sei das Gericht dieser Einschätzung gefolgt. In zweiter Instanz hatte das Landgericht Würzburg ein neues Gutachten eingeholt, und dieser Experte geht davon aus, dass Niclas H. zum Tatzeitpunkt noch handlungsfähig war und auch Entscheidungsmöglichkeiten hatte. So erinnerte sich Niclas H. durchaus noch daran, dass er seine Kumpels nach Untereisenheim mitnehmen wollte.

Sanitäter warf betrunkenen Fahrer aus dem Fahrzeug


H. hatte drei Promille, doch nicht der hohe Wert allein sei entscheidend, sondern die Frage, ob er sich kontrollieren konnte – Niclas H. war vermindert schuldfähig. Und er agierte auch "rotzfrech", so Philipp Schulz-Merkel. Er erinnert daran, dass ein Notarzt und Rettungssanitäter Niclas H. aus dem Straßengraben zogen. H. habe sich im Rettungswagen so übel benommen, dass ihn der Rettungssanitäter aus dem Fahrzeug warf.


Doch die große Frage des Strafprozesses sei: Gab es die Aufforderung des Beifahrers Marius H. Theresa Stahl gezielt umzufahren? Der Nebenkläger ist überzeugt: "Wir konnten es nicht aufklären. Aber das heißt nicht, dass es nicht so passiert ist. Es gibt Indizien, aber wir wollen niemanden falsch verurteilen."


Der Nebenkläger spricht sich gegen eine Bewährungsstrafe aus – und auch gegen Jugendstrafrecht. Er fordert für fahrlässige Tötung, Trunkenheit im Verkehr und fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs und unerlaubtes Entfernen vom Unfallort zwei Jahre und zehn Monate Freiheitsstrafe.

Schulz-Merkel: "Die Schuld, die Niclas H. auf sich geladen hat, ist immens. Theresa Stahl hatte noch ihr ganzes Leben vor sich. Da ist es nur angemessen, wenn er auch einen Teil seines Lebens geben muss. Dass die Tötung fahrlässig war, ändert daran nichts. Niclas H. hat in bewusster Fahrlässigkeit gehandelt, er hat darauf vertraut, dass schon alles gut werden wird."

Auch die psychischen Folgen für den Fahrer sind gravierend

Verteidiger Hans Jochen Schrepfer spricht von einer spontanen Tat - die psychischen Folgen des Niclas H. seien gravierend. Er wollte nicht den Täter zum Opfer machen, doch zu sehen sei die echte Reue, die den Angeklagten plagt.

Zwei ernsthafte Suizid-Versuche liegen hinter ihm. Die Schuld drückt ihn schwer, er habe sich lange in psychiatrische Hilfe begeben, auch seinen Alkoholkonsum habe er über einen langen Zeitraum kontrollieren lassen. Vor dem Unfall stand Niclas H. in seiner Ausbildung gut da, doch er sei durch die Abschlussprüfung gefallen.


Auch der Mordvorwurf, der auf Niclas H. gelastet habe, sei zur unvorstellbaren Belastung geworden. Niclas H. könne nichts für den Party-Tratsch und die Gerüchte, doch da das Verfahren von großem medialen Interesse begleitet wird, habe er unter dem öffentlichen Verdacht sehr gelitten.


Der Verteidiger ist überzeugt: Niclas H. war nicht gleichgültig nach der Tat - er stand unter einem "Schockzustand und konnte nicht glauben, was da passiert ist. Er konnte es nicht begreifen."

Vielleicht "konnte und wollte er es nicht wahrhaben und daher auch die zwei Suizid-Versuche."

Der Verteidiger tritt für eine Jugendstrafe ein - und fordert 300 gemeinnützige Stunden Arbeit für Niclas H.. "Eine Geldstrafe funktioniert nicht mehr, mein Mandant hat keine Arbeit mehr". Eine Jugendstrafe hält er nicht für gerechtfertigt.

Ein Urteil soll heute noch gesprochen werden.

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