Eine Idee, die Kriege und Krisen überdauert hat

23.3.2018, 19:43 Uhr
Eine Idee, die Kriege und Krisen überdauert hat

© alle Fotos: Universa

Georg Heine war ein Pionier. Der Fabrikarbeiter, von dem kaum mehr überliefert ist als sein Name, gründete am 5. März 1843 gemeinsam mit zahlreichen Kollegen den "Krankenunterstützungsverein für Tabakfabrikmitarbeiter". Ohne es zu ahnen, gaben Heine und seine Mitstreiter damit den Startschuss für einen bedeutenden Zweig der sozialen Sicherung in Deutschland – die private Krankenversicherung. Für einen geringen Beitrag konnten sich Mitglieder in Heines Krankenunterstützungsverein versichern.

Eine Idee, die Kriege und Krisen überdauert hat

Im Krankheitsfall sprang der Verein ein und zahlte dem erkrankten Arbeiter weiter einen Teil seines Lohnes. "Vorher sind die Arbeiter einfach verarmt, wenn sie länger krank wurden. Wer nicht arbeitete, bekam kein Geld", erklärt Michael Baulig. Er ist Vorstandsvorsitzender der Universa Versicherung, die im Laufe der Geschichte aus der Selbsthilfeinitiative der Tabakfabrikarbeiter hervorging. Ganze 175 Jahre ist deren Gründung her. Damit ist die Universa die älteste private Krankenversicherung in Deutschland. "Das hat eine sehr hohe Bedeutung für uns", betont Baulig. Anfang des Monats habe man das Jubiläum mit einem großen Festakt im Germanischen Nationalmuseum gefeiert.

Keine Chance für wilde Trunkenbolde

Bemerkenswert ist nicht nur, dass der kleine Verein der Tabakmitarbeiter die Umbrüche und Wirren zweier Weltkriege überlebt hat und zu einem stattlichen Unternehmen herangewachsen ist. Erstaunlich ist auch die Professionalität und Weitsichtigkeit mit dem die Arbeiter ihre kleine Versicherung führten. So gab es – je nach Geldbeutel – drei verschiedene "Klassen", die an das heute übliche Tarifsystem erinnern und zu unterschiedlich hohen Leistungsansprüchen führten. Versicherte der Klasse eins mussten sich im Krankheitsfall mit einem Gulden pro Woche begnügen, während Versicherte der Klasse drei bis zu vier Gulden pro Woche ausgezahlt bekamen. Darüber hinaus existierten bereits klare Aufnahmekriterien. Arbeiter, die über 50 Jahre alt waren, hatten keine Chance mehr auf eine Mitgliedschaft. Ausgeschlossen waren außerdem "Personen, die ein chronisches oder anderes Übel an sich haben" und "Personen, die dem Trunke, der Rauferei oder Ausschweifungen ergeben sind".

An Menschen, die ein hohes Krankheitsrisiko in sich trugen, hatte man schon damals kein Interesse. Wer die Versicherung über bestehende Vorerkrankungen getäuscht hatte, verlor alle Leistungsansprüche. Auch diese Praxis hat sich durchgesetzt – und führt noch heute immer wieder zu Konflikten zwischen Versicherern und Leistungsempfängern. "Im Grunde gilt das, was die Aufnahmekriterien anbelangt, heute noch", erkennt Michael Baulig die Pionierleistung an.

Eine Idee, die Kriege und Krisen überdauert hat

Manches hat sich aber dann doch geändert. Georg Heine und seine Vorstandskollegen ließen es sich nicht nehmen, jeden Arbeiter zu Hause zu besuchen, um sich persönlich von dessen Arbeitsunfähigkeit zu überzeugen. Angesichts der heute knapp 500 000 Versicherten der Universa-Gruppe dürfte Baulig froh sein, dass sich diese Tradition nicht bis ins 21. Jahrhundert fortgesetzt hat. Es ist wohl kein Zufall, dass die Wurzeln der privaten Krankenversicherung gerade in Nürnberg liegen. Der Gedanke des gegenseitigen Einstehens füreinander war schließlich schon im Handwerk verbreitet, das das mittelalterliche Stadtbild prägte. Ebenso erklärbar ist auch, dass es gerade die Arbeiter in einer Tabakfabrik waren, die sich schon früh Gedanken um sozialpolitische Fragen machten. Die Arbeit dort war vergleichsweise geräuscharm und bot den Arbeitern die Möglichkeit, sich rege zu unterhalten. Nicht selten lasen sich die Arbeiter gegenseitig aus Büchern vor und wurden so zu einer außergewöhnlich gebildeten Arbeiterklasse. Dass Heine und seine Kollegen mit der Gründung des Krankenunterstützungsvereins einen Nerv getroffen hatten, zeigte sich schon bald. Immer mehr Menschen wollten Mitglied des Vereins werden, ab 1850 konnten sich alle Berufstätigen mit Wohnsitz in Nürnberg dort versichern. Seitdem hat sich vieles verändert. Längst bietet das Unternehmen praktisch alle gängigen Versicherungen an. Fast 700 Millionen Euro an Beiträgen nimmt die Universa Versicherung heute jährlich ein. Ein Volumen, das den Gründungsvätern sicher unvorstellbar erschienen wäre – obwohl das Nürnberger Unternehmen mit seinen rund 850 Mitarbeitern nach heutigen Maßstäben eher zu den Kleinen der Branche gehört. Eine Branche, die sich im Umbruch befindet.

Eine Idee, die Kriege und Krisen überdauert hat

Die Digitalisierung macht auch vor den Versicherern nicht Halt. Baulig ist es aber wichtig "alle Kunden mitzunehmen, nicht nur die Generation Y". Deswegen setzt die Universa auch auf zusätzliche Dienstleistungen. "Wir sehen uns nicht als reiner Kostenerstatter, sondern zunehmend als Gesundheitsdienstleister", erklärt der Vorstandsvorsitzende eine Entwicklung, die für die gesamte Branche gilt.

"Bei uns gibt es keine Warteschleife an deren Ende die Versicherten von irgendwelchen Leuten mit Halbwissen abgespeist werden."

Gemeinsam mit einem Kooperationspartner bietet die Universa chronisch kranken Patienten Gesundheitsberatung per Telefon an. "Das rechnet sich", ist Michael Baulig überzeugt, "schließlich entstehen 30 Prozent der Krankheitskosten aufgrund mangelnder Compliance." Auch an die regelmäßige Einnahme ihrer Medikamente könne man Patienten per Telefon erinnern. Kundennähe liegt Baulig am Herzen. "Bei uns gibt es keine Warteschleife an deren Ende die Versicherten von irgendwelchen Leuten mit Halbwissen abgespeist werden." Womöglich ist das einer der Gründe dafür, dass sich die Universa bis heute ihre Eigenständigkeit bewahrt hat. "Auch unsere Rechtsform kommt uns da natürlich entgegen", spricht der Unternehmenschef einen weiteren Faktor an. Im Gegensatz zu vielen anderen Versicherern ist die Universa keine Aktiengesellschaft, sondern ein sogenannter Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Das bedeutet: Versicherte sind nicht nur Kunden, sondern auch Mitglieder des Unternehmens und können über dessen Politik mitbestimmen. "Uns kann man nicht einfach kaufen – ohne die Zustimmung der Mitglieder geht nichts", macht Baulig deutlich.

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Allerdings entfällt für diese Rechtsform die Möglichkeit, sich am Kapitalmarkt frisches Geld zu beschaffen. Für Baulig kein Problem: "Wir haben achtmal so viel Eigenmittel als der Gesetzgeber von uns verlangt."

Das helfe auch, den Anstieg der Beiträge im Alter zu dämpfen. Die hohen Belastungen für Versicherte im Alter sind ein häufig geäußerter Kritikpunkt gegenüber der privaten Krankenversicherung. Kunden der Universa dürften mit ihrer Krankenversicherung aber weitgehend zufrieden sein. Das jedenfalls legt eine Analyse der unabhängigen Hamburger Ratingagentur Morgen und Morgen nahe. Die Tarife der Universa Krankenversicherung verortet die Untersuchung im soliden Mittelfeld. "Wäre die Eigenkapitalquote stärker berücksichtigt worden, wäre unser Ergebnis noch deutlich besser", ist der Vorstandsvorsitzende überzeugt. Noch besser werden; das ist sicher auch ein Ziel für die nächsten 175 Jahre.

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