Eine Idee von 1862 wird Wirklichkeit

9.5.2006, 00:00 Uhr
Eine Idee von 1862 wird Wirklichkeit

Die jüngste und mit der Westerwald-Trasse Köln—Frankfurt zugleich schnellste Hochgeschwindigkeits-Bahnlinie Deutschlands wird am Samstag, 13. Mai, feierlich eröffnet. Mit der ICE-Neubaustrecke (NBS) Nürnberg-Ingolstadt und der Ausbaustrecke (ABS) Ingolstadt—München geht für die Deutsche Bahn (DB) AG ein Traum in Erfüllung, für manchen Anrainer aber auch ein Albtraum. Bayerns Super-Renn-Bahn hat gut 20 Jahre Verspätung, wie ein Blick in die Archive zeigt.

Begonnen hatte es Anfang der 1980er Jahre mit den Plänen der Deutschen Bundesbahn, ihre Züge aus/in Richtung München im Nürnberger Hauptbahnhof endlich ohne Lokwechsel durchfahren zu lassen, um Zeit und Kosten zu sparen. Dazu wird die Fernbahntrasse als klassische Schienenstrecke über den Rangierbahnhof durch den Reichswald bis nach Roth geplant und 1985 als Trassenvariante A 3 von der Regierung von Mittelfranken per Planfeststellungsbeschluss «abgesegnet“.

Weil massive Bürgerproteste die Umsetzung verhindern, bleibt Zeit, den technischen Fortschritt zu berücksichtigen: 1986 kommen Überlegungen auf, Nürnberg und München mit einer Neubaustrecke für Hochgeschwindigkeitszüge ähnlich der geplanten Trasse Köln-Frankfurt zu verbinden. Damit knüpfen die modernen Bahn-Planer an die frühesten Pläne für den Bahnbau in Bayern überhaupt an: Im November 1862 hatte der königlich-bayrische Verkehrsminister Ludwig von Brück in seiner Verkehrswegeplanung die Verbindung der Residenzstadt München über die Festung Ingolstadt nach Nürnberg in direkter Linie als «das erste Bedürfniß“ bezeichnet. Wiederentdeckt und in einem seiner Bücher wiedergegeben hat dieses Konzept Horst Weigelt, Präsident der damaligen Bahndirektion Nürnberg.

Das moderne Konzept der Verkehrswege-Bündelung entlang der Autobahn A 9 ist damit zwar «salonfähig“, aber keineswegs unumstritten: 1987 kommt erstmals der Streit um die Linienführung der Renn-Bahn über Augsburg (also Ausbau der bestehenden Trasse) oder Ingolstadt (und damit kompletter Neubau) auf. Der damalige bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß lässt «Bedenken“ bei Ingolstadt erkennen und macht sich für Augsburg stark.

Die Städte Nürnberg, Fürth, Erlangen, Schwabach und Ingolstadt halten dagegen und fordern die neue Linienführung. Mitte 1987 schließlich fällt eine erste Vorentscheidung: Auf der Basis eines Gutachtens der DB wird die Ingolstadt-Trasse bei Mehrkosten von geschätzten 700 Millionen D-Mark zur ersten Wahl erkoren. Acht Industrie- und Handelskammern appellieren an die Ministerpräsidenten der Länder Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern, die Bahnmagistrale Dortmund-München über Nürnberg und Ingolstadt für hohes Tempo auszubauen.

Weitere Scharmützel machen das Thema zum Dauerbrenner. Die Stadt Augsburg und die Industrie- und Handelskammer für Schwaben werden nicht müde, auf falsche Zahlen und zu hohe Kosten zu verweisen, der Bund Naturschutz zerpflückt die vorliegenden Gutachten und selbst kleine Städte entlang der Ingolstadt-Trasse begehren auf: Im Oktober 1987 lehnt etwa der Stadtrat von Greding die Pläne wegen Lärm und Landverbrauchs ab — dort haben die Bürger schon von der Autobahn genug.

Um den Streit zu schlichten, beruft Wirtschafts- und Verkehrsminister Anton Jaumann — selbst Schwabe — eine Experteanhörung ein. Am 2. und 3. Mai 1988 geht es im großen Sitzungssaal des Ministeriums hoch her, am Schluss sind die Fronten verhärteter als zuvor und der «schwarze Peter“, der damalige Umweltminister Gauweiler, hat die Ätsch-Karte: Ein Raumordnungsverfahren unter Führung seiner Behörde soll den verfahrenen Konflikt lösen.

Im Juli 1989 spricht sich das bayerische Kabinett für die Ingolstadt-Trasse aus, doch erst ein Jahr später kommt Bewegung in die Sache: Im Juli 1989 beantragt die Bundesbahn bei der Staatsregierung ein Raumordnungsverfahren für beide Trassen — ein raffinierter Trick, wie sich zeigt, denn schon im August zieht sie die Augsburg-Variante zurück. Fortan setzt die Bahn ganz auf die Ingolstadt-Trasse: 171 Kilometer für 2,6 Milliarden D-Mark.

Noch ehe das Raumordnungsverfahren Mitte November abgeschlossen ist, spielt die Weltgeschichte Schicksal: Wende im Ostblock und deutsche Wiedervereinigung sorgen dafür, dass die innerdeutsche Bahnlinie zur transeuropäischen Magistrale mutiert: Zwischen Rom und Kopenhagen liegen jetzt plötzlich so bedeutende Stationen wie Ingolstadt, Nürnberg — und völlig neu — Erfurt, Halle und Leipzig.

Ein Schelm, wer da anderes erwartet hätte, als die Schlagzeile von Mitte Juni 1991: Das Umweltministerium beendet das Raumordnungsverfahren zur Ingolstadt-Trasse mit dem Beschluss, diese sei mit den Grundsätzen von Raumordnung und Landesplanung vereinbar, wenn die Bahn als Bauherr gewisse Vorgaben einhält. Die ließ sich nicht lumpen und veranstaltete im Nürnberger Stadtteil Fischbach am 15. Juli 1994 gerne eine große Spatenstichfeier — es war ja Bundestags-Wahljahr . . .

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