Ortstermin in München

Es gibt starke Gründe, warum die Isarphilharmonie auch Nürnberger Konzertsaal-Träume erfüllen könnte

9.11.2021, 06:01 Uhr
Die Beleuchtungsmöglichkeiten in der Isarphilharmonie lassen eine angenehme Atmosphäre entstehen.

© Tobias Hase / mphil Die Beleuchtungsmöglichkeiten in der Isarphilharmonie lassen eine angenehme Atmosphäre entstehen.

Schlicht und funktional: Die Isarphilharmonie in der Außenansicht.   

Schlicht und funktional: Die Isarphilharmonie in der Außenansicht.   © Foto: Thomas Heinold

Die Rahmendaten sind sportlich: Binnen drei Jahren Planung, davon eineinhalb Jahren Bauzeit, haben die Münchner als Ausweichquartier für den sanierungsbedürftigen Gasteig einen neuen Konzertsaal für nur 43 Millionen Euro bekommen.

Da mag sich mancher Nürnberger Musikfreund verwundert die Augen reiben. Liegt ihm doch das Aus oder der Aufschub – das letzte Wort ist hier hoffentlich noch nicht gesprochen – für einen neuen, ungefähr 200 Millionen teuren, fertig geplanten Konzertsaal neben der Meistersingerhalle an der Münchner Straße schwer im Magen.

Es gibt starke Gründe, warum die Isarphilharmonie auch Nürnberger Konzertsaal-Träume erfüllen könnte

© Foto: Thomas Heinold

Wie kriegen die Münchner das hin?, mag man grübeln, aber noch viel wichtiger ist die Antwort auf die Fragen: „Wie klingt sie denn nun, die neue Isarphilharmonie? Und wie fühlt es sich an, dort ein Konzert zu besuchen?

Die Isarphilharmonie bietet ein stimmungsvolles Konzerterlebnis mit sehr guter Akustik.

Die Isarphilharmonie bietet ein stimmungsvolles Konzerterlebnis mit sehr guter Akustik. © Peter Kneffel, NN

Am Samstag war Ortstermin: Die Münchner Philharmoniker spielten Tschaikowskys 2. Klavierkonzert und Bruckners 6. Sinfonie - zwei Werke, die geeignet sind, die Akustik und das Konzerterlebnis in diesem Provisorium auf die Probe zu stellen.

Betritt man durch das alte, denkmalgeschützte Foyer einer ehemaligen Trafohalle den von Architekt Stephan Schütz (Partner gmp Architekten) entworfenen Konzertsaal, ist der erste Eindruck deutlich anders, als die Fotos vermitteln. Auf Bildern wirkt der dunkle Raum, zumindest wenn er leer ist, sehr weitläufig, groß, etwas kalt. Tatsächlich schaffen die schwarz lasierten Holzwände, die aus großen, kreuzweise verleimten, bis zu 20 Zentimeter dicken Fichtenlamellen bestehen, aber eine sehr wohlige, ja intime Atmosphäre. Und das bei einem schlichten, unsichtbar bleibenden Stahlrahmen, in dem diese Elemente eingehängt wurden. Sollte die Isarphilharmonie wirklich ein Provisorium bleiben, könnte man den Saal danach ab- und an anderer Stelle wieder aufbauen.

Es gibt starke Gründe, warum die Isarphilharmonie auch Nürnberger Konzertsaal-Träume erfüllen könnte

© Foto: Thomas Heinold

Auch die schwarzen Sitze tragen zur angenehmen Atmosphäre bei. Hell sind in diesem Saal nur der Parkettboden und das Orchesterpodium, was insgesamt ein sehr stimmiges Farberlebnis vermittelt. Die rund 1900 Plätze verteilen sich auf ein sanft ansteigendes Parkett und zwei Ränge, wobei die Sitze im ersten Rang umlaufend angeordnet sind, also dort auch hinter dem Orchester Zuschauer sitzen. Insgesamt ist kein Stuhl weiter als 33 Meter von der Bühne entfernt. Da die Rangplätze mit einer durchsichtigen Stahlnetzbespannung abgeschlossen sind, kann man die Menschen, die dort sitzen, sehen.

Trotzdem lenkt dieser Saal die Konzentration auf die künstlerische Aktion. Musiker und Zuschauer sind eng beieinander, man hat das Gefühl, in Reihe 20 viel näher am Geschehen zu sein, als in Reihe 10 der Meistersingerhalle. Oder, um einen Vergleich aus dem Sport zu wählen: Was Nähe und die dadurch geschaffene konzentrierte, ja mitreißende Atmosphäre angeht, verhält sich die Meistersingerhalle zur Isarphilharmonie wie das Münchner Olympiastadion zur Allianz Arena.

Der offizielle Name der Isarphilharmonie: Gasteig HP8.

Der offizielle Name der Isarphilharmonie: Gasteig HP8. © Foto: Thomas Heinold

Zentral für die hervorragende Sicht in der Isarphilharmonie ist die als Halbrund angeordnete Bühne mit ihren flexiblen Hubpodien. Selbst wenn die Münchner Philharmoniker bei Bruckner in großer romantischer Besetzung spielen, sind die einzelnen Musikerinnen und Musiker dank der geschickten Staffelung sehr gut zu erkennen. Bei solistischen Passagen hört man die jeweiligen Instrumentalisten nicht nur, man sieht sie auch genauso gut.

Der offizielle Name Gasteig HP8 leitet sich von der Anschrift des Gebäudes ab: Hans-Preißinger-Straße 8.

Der offizielle Name Gasteig HP8 leitet sich von der Anschrift des Gebäudes ab: Hans-Preißinger-Straße 8. © Foto: Thomas Heinold

Auch das von der Decke und von Einzelspots kommende, dimmbare Licht trägt viel zum angenehmen, manchmal fast magisch wirkenden und tatsächlich so etwas wie Geborgenheit vermittelnden Raumeindruck bei. Für Kammermusik, Zeitgenössisches oder Musik anderer Stile und Gattungen – die Isarphilharmonie wird ja sehr flexibel genutzt – kann die Bühne in Anordnung und Größe verändert werden und damit für jeden Format optimale Raumbedingungen bieten. Genau das ist es, was ein moderner Konzertsaal der Gegenwart bieten und können muss.

Publikum und Musiker sind in der Isarphilharmonie nahe beieinander, das steigert die Intensität.

Publikum und Musiker sind in der Isarphilharmonie nahe beieinander, das steigert die Intensität. © Tobias Hase / mphil

Und der Klang, die Akustik, mithin das Herz eines jeden Konzerterlebnisses? Romantisches Schwelgen, mit flächigen, seidig glänzenden Streichern und warm tönenden Holzbläsern funktioniert schon einmal sehr gut. So geht, bei aller Rücksicht auf musikalische Details, Chefdirigent Valery Gergiev mit den Münchner Philharmonikern Tschaikowskys 2. Klavierkonzert an. Dieser Mischklang wirkt bedeutend organischer als zum Beispiel die hyperanalytische Akustik der Hamburger Elbphilharmonie, in der man selbst im Orchestertutti jedes einzelne Instrument herauszuhören meint.

Auch die Richtung des Klangs im Raum und die Position der Hörenden sind in München stimmig, das liegt an der optimalen Schuhschachtelform des Saals. Dagegen kann es in der trichterförmig steil konzipierten Elbphilharmonie passieren, dass man gefühlt vier Stockwerke über der Klangquelle sitzt, was es herausfordernd macht, Hör- und Seherlebnisse zu koordinieren.

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© Foto: Thomas Heinold

In der Isarphilharmonie können sich leise und solistische Töne, etwa die Violine oder das Cello in Tschaikowskys Andante, mit Leichtigkeit sehr farbig und füllig im Raum entfalten. Das gilt auch für den Klang des Steinways, an dem der erst 24-jährige Franzose Alexandre Kantorow, seit Gewinn des Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerbs 2019 mit exponentiell verlaufender Karriere, fantastisch aufspielt. Seine Finger tanzen und rasen über die Tasten, doch das virtuose Feuer brennt nicht zum Selbstzweck, es speist sich aus einem tiefen emotionalen Fundament und ist stets offen für überraschende, das Spiel dramatisch strukturierende Momente.

Es gibt starke Gründe, warum die Isarphilharmonie auch Nürnberger Konzertsaal-Träume erfüllen könnte

© Foto: Thomas Heinold

Und wie kommt die Isarphilharmonie mit der Klangwucht eines Brucknerschen Orchesters klar, mit viel schwerem Blech, mit mächtigen Crescendi und Finaltutti – also quasi dem maximalen Gegensatz zu Lyrik, Kammermusik und Soloklavier? Gergiev und die Münchner Philharmoniker, die bereits eine Gesamteinspielung der Brucknerschen Sinfonien veröffentlicht haben, sind hier in ihrem Element. Die Isarphilharmonie auch: In den großen, vom Orchester ausdrucksstark und organisch musizierten Steigerungen von Kopf- und Finalsatz hat die Musik immer genug Luft, wirkt nie gepresst oder gar so, als würde sie gegen die Wände knallen.

Es gibt starke Gründe, warum die Isarphilharmonie auch Nürnberger Konzertsaal-Träume erfüllen könnte

© Foto: Thomas Heinold

Stattdessen entsteht der Eindruck eines die Zuhörer einbeziehenden, umfassenden Surround-Klangs, die Musik bleibt klar, präsent und nimmt dabei das Publikum in vielschichtiger Weise mit. Fazit: Die Akustik dieses nicht sehr teuren und schnell gebauten Konzertsaals hält höchsten Erwartungen stand und kann voll überzeugen.

Der Flair des Münchner Südens: So wirbt die neue Isarphilharmonie.

Der Flair des Münchner Südens: So wirbt die neue Isarphilharmonie. © Foto: Thomas Heinold

Muss sie auch: Zwar ist der „HP8 Gasteig“, so der offizielle Name des Quartiers an der Hans-Preißinger-Straße, nur als Interim, als Provisorium konzipiert, aber er beherbergt mit den Münchner Philharmonikern immerhin ein europäisches Spitzenorchester.

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© Foto: Thomas Heinold

Und das mindestens ebenso renommierte BR-Symphonieorchester war inzwischen auch schon zu Gast. Das ist ebenfalls auf der Suche nach einer zeitgemäßen, gut klingenden Behausung, steckt es doch mit dem vom Freistaat geplanten, mindestens 700 Millionen teuren Konzerthaus auf dem Pfanni-Gelände hinterm Münchner Ostbahnhof mitten in einer anderen, viel komplexeren und noch längst nicht erfolgsgewissen Baugeschichte.

Der raue Charme des Münchner Stadtteil Sendlings. Die Isarphilharmonie liegt nicht nur an der Isar, sondern auch am Mittleren Ring und neben einem Heizkraftwerk.

Der raue Charme des Münchner Stadtteil Sendlings. Die Isarphilharmonie liegt nicht nur an der Isar, sondern auch am Mittleren Ring und neben einem Heizkraftwerk. © Foto: Thomas Heinold

Vier Wochen sind seit der Eröffnung der Isarphilharmonie nun vergangen. Die Münchner sind, wie man den Medienberichten, aber auch den Stimmen vor Ort entnehmen kann, regelrecht bezaubert von ihrem neuen Konzertsaal, durchleben quasi musikalische Flitterwochen. Manche Orchestermusiker sagen, die Akustik des neuen Saal sei so gut, dass man da gar nicht mehr weg wolle. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter prophezeite bei seiner Eröffnungsrede am 8. Oktober augenzwinkernd, dass dieses Provisorium sehr lange Bestand haben werde.

Im Gasteig-Ausweichquartier haben verschiedene Kultur- und Bildungsinstitutionen Münchens ihren Platz.

Im Gasteig-Ausweichquartier haben verschiedene Kultur- und Bildungsinstitutionen Münchens ihren Platz. © Foto: Thomas Heinold

Das liegt auch an der stimmigen Gesamtkonzeption des neuen Gasteig-Areals. Einerseits befindet sich es unmittelbar am Großen Stadtbach des Isar-Flauchers, einem wichtigen Naherholungsgebiet mit viel Grün. Andererseits liegt es direkt am Mittleren Ring und den Automassen der Brudermühlstraße, den Blick auf ein großes Heizkraftwerk inklusive. Der Stadtteil Sendling ist von Industrie und Handwerk geprägt, hat einen rauen Charme - ebenso wie die ehemalige Trafohalle, die für den neuen Konzertsaal als Foyer und Pausenraum dient und viel Stahl, nüchterne Wände und rohes Mauerwerk zeigt.

Es gibt starke Gründe, warum die Isarphilharmonie auch Nürnberger Konzertsaal-Träume erfüllen könnte

© Foto: Thomas Heinold

Ein eigenes Foyer müsste beim Bau eines mit der Isarphilharmonie vergleichbaren Saals an anderer Stelle vermutlich zusätzlich errichtet werden und damit entsprechende Kosten verursachen. Doch der Raum wäre von großer Wichtigkeit für das Ankommen, die Abendkasse, die Garderoben, Toiletten, Gastronomie - und für den Aufenthalt in den Pausen. Alles sehr wichtige Faktoren, um den Zuschauern ein gelungenes Konzerterlebnis zu vermitteln.

Das Foyer der Isarphilharmonie gibt den Blick auf rohe Ziegelwände frei.

Das Foyer der Isarphilharmonie gibt den Blick auf rohe Ziegelwände frei. © Foto: Thomas Heinold

In München hat das unprätentiöse Umfeld der Isarphilharmonie das Zeug dazu, das klassische Konzerterlebnis wieder mitten in der urbanen Gegenwart zu verorten. Zumal hinter den umlaufenden, schmalen Gängen der oberen Stockwerke nun die Münchner Stadtbibliothek untergebracht ist, was die angenehme Folge hat, dass in dem Gebäude den ganzen Tag Betrieb ist.

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© Foto: Thomas Heinold

Gleich neben dem Konzertsaal wird an den Neubauten für die Münchner Volkshochschule und die Musikhochschule gearbeitet, auch Künstlerateliers und Werkstätten gibt es. Als Gesamtentwurf überzeugt der Übergangs-Gasteig als sehr stimmiges, heutiges, gut geerdetes städtisches Kultur- und Bildungszentrum.

Es gibt starke Gründe, warum die Isarphilharmonie auch Nürnberger Konzertsaal-Träume erfüllen könnte

© Foto: Thomas Heinold

Solche speziellen Gegebenheiten eines Geländes lassen sich aber nicht transplantieren. Für die Nürnberger und fränkischen Musikfreunde, die sehnsüchtig die neben der Meistersingerhalle vorerst unbebaut bleibende Münchner Straße in Richtung Süden blicken, ist das aber auch nicht entscheidend. Sondern, dass die Isarphilharmonie akustisch, architektonisch und in puncto Konzerterlebnis als Solitär bestehen könnte. Auch auf einem anderen Gelände - und in einer Stadt wie Nürnberg.

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