Der Bier-Restaurator gab "Grüner" eine Chance

4.11.2014, 12:06 Uhr
Der Bier-Restaurator gab

© Foto: Sebastian Linstädt

Fred Höfler verfügt über eine Eigenschaft, die bei Chefs nicht häufig anzutreffen ist: Er gibt Fehleinschätzungen offen zu. Und freut sich mitunter sogar darüber, sich getäuscht zu haben: „Ich hätte niemals gedacht, dass für das ,Grüner‘ überhaupt noch ein Markt existiert“, erklärt der Mann, der seit 1993 an der Spitze der Tucher Bräu GmbH steht.

Er selbst habe im Jahr 2000 dem Grüner-Bier den (vermeintlichen) Todesstoß versetzt, führt Höfler weiter aus. Damals sei die Marke allerdings schon praktisch nicht mehr existent gewesen. „Das war unter anderem die Folge einer Politik, die bei der Patrizier-Bräu betrieben wurde“, sagt Höfler – und macht abermals keinen Hehl daraus, dass er auch die Konzentration auf die Marke Patrizier, die ab 1972 forciert wurde und in der neben Grüner auch Marken wie Lederer, Humbser oder Geismann aufgingen, rückblickend für einen schwerwiegenden Fehler hält.

Früher zählte allein die Größe

„Das war eine andere Zeit: Deutsche Biere beherrschten den Markt, Biervielfalt zählte nicht, allein Größe war gewünscht“, erinnert sich Höfler, der ab 1994 in Personalunion auch die Patrizier Bräu verantwortete. „Ich habe die wenig geliebte Patrizier von Anfang an mit viel Geld und Aufwand wieder aus der Bierlandschaft entfernt“, erklärt Höfler offen. „Lederer“ und „Zirndorfer“ hießen die Hausmarken, die in dieser Zeit neben den klassischen Tuchersorten wie „Urbräu Hell“, „Übersee Export“ oder „Urfränkisch Dunkel“ etabliert wurden. Doch für „Grüner“ schien es schon zu spät. Nach der Einstellung im Jahr 2000 krähte zunächst auch kein Hahn mehr nach der 1709 gegründeten Fürther Marke mit dem einst
formidablen Ruf.

„Als wir 2009 in Folge des Umzugs der Verwaltung aus dem Humbser-
Areal in die Tucherstraße dort aufräumten, kamen einige unglaubliche Dinge zu Tage“, berichtet Höfler und die Augen beginnen zu leuchten. Damals wurden Bierkeller und Gewölbe leergeräumt, in denen Brauer Generationen lang lieb gewonnene Andenken und skurrile Erinnerungsstücke eingelagert hatten. Unter anderem tauchten einige in Kalbsleder gebundene, handschriftliche Bücher älteren Datums auf – Originalrezepturen der in Tucher aufgegangenen Marken, darunter auch die von Grüner Hell.

Dennoch bedurfte es noch der Hartnäckigkeit eines Fürther Originals, bis Höfler sich schließlich erweichen ließ, einen Testlauf mit dem alten Rezept zu starten: „Mit Helmut Ell hatte ich im Kontext der Eröffnung des in Fürth zu tun – und er ließ einfach nicht locker“, sagt Höfler, seufzt und lächelt. Schließlich gab der Tucher-Chef doch einen Grüner-Sud in Auftrag: „Und das war gar nicht so einfach, weil wir ja nicht einfach mal so eine Kleinstmenge brauen können!“ Im Jahr 2011 fand also eine Blindverkostung mit weitreichenden Folgen statt: „Ich habe Helmut Ell zugesagt, das Bier in geringen Mengen zu produzieren, wenn er es aus
zehn verschiedenen Bieren herausschmeckt“, sagt Höfler und hält inne: „Aus der Tatsache, dass wir mit Grüner wieder am Markt sind, lässt sich herauslesen, wie die Geschichte ausging!“

Mittlerweile verzeichnet das Grüner-Bier das stärkste Wachstum aller Tucher-Produkte. Seit dem offiziellen Startschuss zur Michaeliskärwa 2011 hat das Bier innerhalb kürzester Zeit rund fünf Prozent Marktanteil in Mittelfranken erkämpft – teilweise auch zu Lasten der Tucher-Stammprodukte. So war etwa der Ausstoß von Zirndorfer Landbier laut Höfler 2012 kurzfristig rückläufig. Wie verkauft man so ein Phänomen intern?

Höfler lehnt sich zurück, denkt einen Moment nach – und sagt: „Ich sehe mich selbst ein wenig als Restaurator der Biergeschichte. Ich möchte einen Teil dazu beitragen, dass einige Dinge, die unter Patrizier damals
zerstört wurden, weiterhin Bestand haben.“ Dazu zähle auch das Engagement mit Grüner, das eben nicht nur in der Fürther Gastronomie gut laufe, sondern auch in den Getränkemärkten in Norddeutschland. „Wir bekommen Anfragen, das Bier doch per Paketdienst zu schicken – was natürlich Nonsens ist“, sagt Höfler.

Über die Hälfte des Ausstoßes der Tucher-Bräu geht laut Höfler in den Handel, rund acht Prozent zusätzlich in den Export – unter anderem nach Italien, China und in die USA. Die verbleibenden 35 Prozent der Bierproduktion werden in die Gastronomie geliefert, schwerpunktmäßig hier in den Großraum Nürnberg und nach Nordbayern. Diese Biermenge sichere Tucher nach wie vor den größten Marktanteil – etwa 30 Prozent – in
der lokalen Gastronomie und damit eine komfortable Ausgangsposition, ist Höfler überzeugt: „Warum sollte ich mich also etwa den Bestrebungen eines Berthold Zeltner, seinem ,Zeltner Hell‘ wieder etwas mehr Eigenständigkeit zu verleihen, entgegenstellen?“

Die Brauerei Zeltner befindet sich seit dem Zweiten Weltkrieg in einem Partnerschaftsvertrag mit der Tucher Bräu, die dem nach wie vor eigenständigen Unternehmen Dienstleistungen beim Brauen und in der Logistik zur Verfügung stellt (die NZ berichtete). In dieser Hinsicht kann sich Höfler noch viel mehr Kooperationen mit den zahlreichen kleinen Brauereien in Franken vorstellen: „Wir haben nicht das Interesse, als aggressive Gegner aufzutreten, sondern setzen lieber auf Partnerschaft.“

Andererseits sieht der Tucherchef in der Grüner-Erfolgsgeschichte auch kein Patentrezept, das beliebig oft wiederholbar ist: „Natürlich gibt es immer wieder die Diskussion, warum wir jetzt nicht noch mehr unserer Traditionsmarken wieder aufleben lassen.“ Doch damit, glaubt Höfler,
würde man den Erfolg des Grüner und die starke Identifikation gerade der Fürther mit der Marke verwässern. „Deswegen werde ich auch meinen
Amtsnachfolgern raten, mit der Neuauflage von Marken vorsichtig zu sein.“

Ist es nicht trotzdem an der Zeit, als Brauerei mit dem wohl einzigen Zwei-Städte-Sudhaus der Welt, auch für die Nürnberger Bier-Gemeinde wieder etwas zu tun? Höfler wiegt den Kopf: „Das tun wir ja bereits, auch wenn viele das nicht wissen. Wenn ich zum Beispiel an das Tucher Urbräu Hell denke: Das brauen wir nach dem über hundert Jahre alten Originalrezept und halten damit die Nürnberger Brautradition hoch.“

Auch auf dem Nürnberger Tucher-Areal tut sich etwas

Doch für die Zukunft gebe es konkrete Planungen: „Wir wollen auf dem Tucher-Areal am Nürnberger Schillerplatz wieder eine Brauerei eröffnen, die ausschließlich auf unser Spezial-Weizen ,Sebaldus‘ ausgerichtet sein soll.“ Hier schlösse sich auch deswegen ein Kreis, weil die Tradition der Tucher-Bräu ursprünglich ja im 1672 eröffneten „Königlich-bayerischen Weizenbräuhaus“ begründet liegt.

„Die Idee hinter dem Sebaldus-Weizen war es, mit einer etwas anderen Rezeptur auf diese Wurzeln zu verweisen“, sagt Höfler – der persönlich eher ein hopfiges Pils bevorzugt. Die Nachfrage nach dem im vergangenen Jahr aus der Taufe gehobenen Produkt – das ursprünglich gar nicht in der Region in den Handel gehen sollte – gibt Tucher beim jüngsten Spross recht.

Vor Ort am Schillerplatz soll nach der Vorstellung von Höfler Bierbrauen zum Anfassen stattfinden. „Wir wollen hier keine neue Gastronomie etablieren, sondern denken eher an eine Versammlungsstätte für festliche Anlässe“, lässt Höfler durchblicken. Selbstverständlich soll es möglich sein, die obergärige Spezialität frisch vom überschäumenden Bottich zu kosten – in Form eines frisch gezwickelten Bieres.

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