Scharf bis zum Blackout: Gostenhof ist Nürnbergs Chili-Epizentrum

13.4.2021, 13:01 Uhr
Scharf bis zum Blackout: Gostenhof ist Nürnbergs Chili-Epizentrum

© Michael Matejka

Die Faszination fürs Scharfe war da, so lange Sacha Pitimson zurückdenken kann. "Als kleines Kind, ich war vielleicht sieben oder acht Jahre alt, verzog ich mich mit einem Glas voll Chilis vom Onkel", erzählt der Brite mit georgischen Wurzeln. "Meine Eltern fanden mich mit verheultem Gesicht, aber lachend."

Keine Frage: Schärfe kann glücklich machen. In seinem kleinen Laden im Nürnberger Szene-Stadtteil Gostenhof züchtet der 42-Jährige exquisite Chilischoten und verarbeitet sie. Möglich scheint fast alles von Schokolade und Marmelade über Aufstrich hin zu Eis. Stark sind vor allem seine selbstgemachten Hot Sauces in zum Teil abenteuerlichen Kombinationen. Absinth ist vergriffen und Marshmallow noch nicht abgefüllt, also nehmen wir bei unserem Besuch auf Tipp unseres Fotografen eine Tube Jack-Daniel's-Cola mit. Super.

Doch auch wenn in dem kleinen Ladengeschäft die Hülsenfrüchte unter Wärmelampen meterhoch wachsen und einen beträchtlichen Teil des Cafés in Beschlag nehmen – das eigentliche Thema ist ein ganz anderes. Sacha Pitimsons "The 4/20 Chilli Company" (Firmenslogan: "Wir brennen ein Lächeln in Dein Gesicht!") ist Nürnbergs erster und bislang einziger Jewish Deli – im klassischen New York Style. Und der hat mit scharfem Essen gar nichts am Hut.

Jewish Delis findet man in allen großen Städten, in denen einst Flüchtlinge aus Europa landeten – mit ihren alten Familienrezepten im Gepäck. Koscher hin oder her, schnell entbrannte unter den Einwanderern ein sportlicher Wettkampf, wer die besten Baguettes und Bagels machte. Ein paar Klassiker waren überall gleich: die berühmten Pastrami-Sandwiches mit saftigem Salt Beef etwa, oder Bagels, belegt mit zartem Lachs. Regionale und lokale Einflüsse sind immer Teil des Spiels, weshalb Sacha seinen Lachs-Bagel mit Meerrettich statt mit Frischkäse macht.


Im Z-Bau werden jetzt jüdische Delikatessen serviert


Doch nochmal zurück zu den scharfen Geschichten vom Anfang. Seiner Leidenschaft für Chilis geht Sacha Pitimson auch im Internet nach. "Experts & Idiots" heißt seine Reihe, in der er (als "Idiot") sich Gäste ("Experts") einlädt, mit denen er lustige Streiche treibt. Es wird mitgefilmt, die Mitschnitte landen auf den einschlägigen Social-Media-Plattformen.

Heute ist der Nürnberger Musiker und Lustigmacher El Mago Masin zu Gast. Den schätzt Sacha wegen vieler Dinge, vor allem aber wegen seiner "Gostenhof Hymne". Als er die vor Jahren hörte, war er sogleich verliebt. Denn Gostenhof ist ein großes Thema in der Welt des Briten, den es vor 14 Jahren über den Umweg Amsterdam nach Franken verschlug, genauer gesagt nach Erlangen. Als er dort spontan einen gutbezahlten Dozentenjob fand, ist er irgendwann einfach nicht mehr zurückgeflogen ins südenglische Seebad Brighton, wo sein Elternhaus steht.

Seit 2018 betreibt er seinen jüdischen Delikatessenladen in der Willstraße unter den Arkaden. "Gostenhof hat mein Leben gerettet", grinst Pitimson. "A love letter to Gostenhof" heißt folglich auch die "Experts & Idiots"-Folge mit El Mago Masin, in der der Musiker eine besonders fiese Schote verkostet und dann seine "Gostenhof Hymne" performt. Wie schlimm war es? "Am Abend ging es wieder", nickt der Barde trocken, dem nach dem Schlucken und der ersten Erleichterung ("ach, so scharf ist es gar nicht") dann tatsächlich doch ein paar Augenblicke fehlen. Kurzer Blackout – so schlimm verdrehte ihm die Messerspitze Pulver den Kreislauf.

Chili in allen Farben und Formen: Dem hat sich Sacha Pitimson verschrieben.

Chili in allen Farben und Formen: Dem hat sich Sacha Pitimson verschrieben. © Michael Matejka

Chilis wie das an El Mago verkostete "Psycho Serum" sind freilich blanker Schmerz und purer Sadismus. Zum Glück hält die "4/20 Chilli Lounge" mehr als nur Höllenqualen bereit. Fürs laufende Jahr hat sich Sacha Pitimson vorgenommen, mehr milde Chili-Saucen zu machen, wie die nach einem alten Paprika-Rezept aus dem viktorianischen England, 150 Jahre alt, bei dem er die Paprika einfach durch Chilis ersetzt.

Sein nächster Gast ist Jon Boutin, Sänger und Synchronsprecher vom Niederrhein und Trompeter unter anderem für die Düsseldorfer Punkband Broilers. Auch mit ihm zusammen wird Sacha Scharfes verkosten - und dann versuchen, Louis Armstrongs "Wonderful World" zum Besten zu geben. Es bleibt scharf, es bleibt spannend im Herzen von Gostenhof.

"El Mago Masin vs 6.4 million scoville Chilli extract" steht seit Montag, 19. April, auf dem YouTube-Channel @ the 4/20 Chilli Company und ab Mittwoch, 21. April, auf Facebook, Instagram und Twitter. Kontakt über die Webseite: the420chillicompany.com

Mehr Informationen über die "4/20 Chilli Company" in unserer Rubrik Essen und Trinken!

Verwandte Themen