Experte erklärt: Wie sinnvoll ist eine Patientenverfügung?

7.11.2018, 11:47 Uhr
Experte erklärt: Wie sinnvoll ist eine Patientenverfügung?

Es ist eine Horrorvorstellung: Der todkranke Patient vegetiert vor sich hin, Maschinen erhalten ihn am Leben, er wird künstlich ernährt. Zusätzlich streiten die Angehörigen darüber, ob sie die Apparate abschalten sollen oder nicht.

Die Angst vor einer solchen Situation führt viele Höchstadter zur Beratung des Hospizvereins. "Früher hatten die Menschen Angst vorm Scheintod, heute vorm Scheinleben", sagt Hans-Joachim Laugwitz. Der 68-Jährige war 22 Jahre lang Chefarzt am Höchstadter Krankenhaus und hat Szenen mit streitenden Angehörigen wirklich erlebt. Seit 2014 ist Laugwitz im Ruhestand und hat jetzt mehr Zeit für sein Ehrenamt. Er ist Gründungsmitglied des Hospizvereins und kümmert sich dort um die Beratungsgespräche zur Patientenverfügung. In letzter Zeit hat er viel zu tun, denn immer mehr Menschen sorgen vor, für den Fall, dass sie nicht mehr selbst über ihr Leben bestimmen können.

Eineinhalb bis zwei Stunden Zeit nimmt sich Laugwitz für die Gespräche, die er mit den Betroffenen und oft auch mit ihren Angehörigen führt. "Erst mal besprechen wir die Lebens- oder — anders gesagt — die Sterbenseinstellung", so der Arzt. Er bemerkt einen Wandel in der Gesellschaft hin zu einer höheren Bereitschaft sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. "Der Umgang mit dem medizinischen Fortschritt ist ambivalent", meint Laugwitz. Auf der einen Seite forderten die Menschen inzwischen medizinische Maßnahmen, auch wenn sie nicht unbedingt angezeigt seien, auf der anderen Seite befürchten sie Übertherapie.

"89 Prozent der Deutschen", zitiert der Mediziner eine Studie, "haben Angst davor, auf der Intensivstation zu sterben — real passiert das nur wenigen." Meist steckt eine persönliche Geschichte dahinter, wenn die Leute zu Laugwitz in die Beratung kommen. Jüngst war zum Beispiel eine Frau da, der die Therapie-Maßnahmen an ihrem Partner viel zu weit gingen und die jetzt vorsorgen möchte, damit ihr das nicht passiert.

"Mediziner sind natürlich darauf ausgerichtet, Leben zu erhalten, Erfolg zu haben", sagt Lauwitz aus eigener Erfahrung. Die Frage "Wann ist die Medizin am Ende?" sei nicht immer eindeutig zu beantworten.

Die Patientenverfügung dient da als Leitschnur, an der Ärzte und Angehörige sich orientieren müssen, wenn der Betroffene beispielsweise im Koma liegt oder bedingt durch eine Demenzerkrankung keine eigenen Entscheidungen mehr treffen kann. Deshalb enthält die Verfügung ganz konkrete Vorgaben. Ein Beispiel: "Ich wünsche keine künstliche Ernährung (weder über Sonde durch den Mund, die Nase oder die Bauchdecke noch durch die Vene und keine Flüssigkeitsgabe (außer zur Beschwerdelinderung))".

Keine Entscheidungsgewalt

Fast die wichtigste Motivation für viele, die in die vertrauliche Beratung kommen: Sie möchten ihre Angehörigen von dem Zwang befreien, schwere Entscheidungen zu treffen.

Mit einer Patientenverfügung weiß die Verwandtschaft: Das hat sie oder er so gewollt. "Den Angehörigen bleibt vor allem haften, wie jemand gestorben ist", betont Hans-Joachim Laugwitz.

Und er verweist auf einen Irrglauben. Wenn rechtsverbindliche Erklärungen oder Entscheidungen gefordert sind, dürfen Ehepartner oder Kinder die Patienten nicht automatisch gesetzlich vertreten. Das geht bei Volljährigen nur auf Grundlage einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht oder als gerichtlich bestellter Betreuer. Die dazu nötigen Unterlagen kann Laugwitz im Beratungsgespräch ebenfalls bereitstellen.

28 Prozent der Deutschen haben inzwischen eine Patientenverfügung, bei den über 60-Jährigen ist es jede/r Zweite. Dass viele diese Entscheidung treffen, hat laut Laugwitz noch einen weiteren Grund. Sie befürchten, dass die Ärzte sie nicht sterben lassen, obwohl sie bereit dazu sind, indem sie zum Beispiel im Alter dafür entscheiden, irgendwann nicht mehr zu essen oder zu trinken.

"Mach mich nicht tot"

Künstliche Zwangsernährung und Übertherapie sind die eine Seite der Medaille – zu Laugwitz kommen aber auch Betroffene, die festschreiben lassen wollen, dass lebenserhaltende Maßnahmen durchgeführt werden. In Holland, erzählt der Mediziner, gehe diese "Gegenangst" sogar soweit, dass einige sogenannte Lebenskarten mit sich führen, auf denen steht: "Mach mich nicht tot, Doktor".

Angehörige seiner Patienten haben Hans-Joachim Laugwitz in seiner Laufbahn oft gebeten: "Rufen Sie mich an, wenn es zu Ende geht." Doch den genauen Sterbezeitpunkt könne kein Mediziner voraussagen, meint der 68-Jährige. "Den bestimmt der Betroffene selbst."

 

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