Stadtwerke Forchheim: War der Ausschluss eines FGL-Rats aus dem Aufsichtsrat rechtens?
19.8.2020, 08:00 UhrHerr Professor Schmolke, wann liegt aus juristischer Sicht ein Interessenkonflikt vor?
Auf eine allgemeingültige Definition hat sich die Rechtswissenschaft bislang nicht verständigt. Letztlich geht es hier – wie auch nach allgemeinem Sprachgebrauch – um Konstellationen, in denen eine Entscheidung oder ein Handeln gegenläufige Interessen berührt. Der "Konflikt" entsteht in der Person des Handelnden beziehungsweise Entscheidenden, weil er nicht nur zur Wahrung eines Interesses, sondern auch des gegenläufigen Interesses verpflichtet ist – oder er ein eigenes Interesse an der Entscheidung oder Handlung hat.
Was bedeutet das mit Blick auf den aktuellen Fall in Forchheim?
Hier geht es um den Konflikt der Pflicht zur Wahrung der Interessen des Arbeitgebers (N-Ergie AG) einerseits und der Stadtwerke Forchheim GmbH andererseits. Aus Sicht des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds prallen hier also zwei Fremdinteressen aufeinander. Konkret geht es um einen Interessenkonflikt aufgrund eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen den Stadtwerken und der N-Ergie auf dem Strom- und Energiemarkt.
Was sind die Konsequenzen eines solchen Interessenkonflikts?
Das kommt auf die Schwere und Dauerhaftigkeit des Konflikts an. Denn die Rechtsfolgen müssen verhältnismäßig sein. Die Pflicht des Aufsichtsratsmitglieds zur Amtsniederlegung oder eine mögliche Pflicht des Entsendungsberechtigten – also hier der Stadt – zur Abberufung besteht, wenn in der Person des Aufsichtsratsmitglieds ein "dauerhafter und gravierender Interessenkonflikt" vorliegt. Ein solcher wird insbesondere bejaht, wenn Aufsichtsratsmitglieder zugleich eine "Organmitgliedschaft" oder Leitungsfunktion in einem konkurrierenden Unternehmen haben, sprich: dort etwa Vorstand, Aufsichtsrat oder Geschäftsleiter sind.
Wäre also ein Rauswurf wegen der Beziehungen zu einem Wettbewerber gerechtfertigt?
Es entspricht der herrschenden, aber nicht unbestrittenen Anschauung, dass enge Beziehungen des (potenziellen) Aufsichtsratsmitglieds zu einem Wettbewerber im Nachhinein nicht gleich zur Amtsniederlegungspflicht oder Abberufung führen. Eine "einfache" Sachbearbeitertätigkeit im Konkurrenzunternehmen begründet daher in der Regel keinen hinreichend gravierenden Interessenkonflikt. Dabei ist auch zu bedenken, dass die Branchenkenntnis der Qualität der Beratung und Kontrolle durch das Aufsichtsratsmitglied förderlich ist. Maßgeblich ist aber letztlich, ob eine Anhäufung sensiblen Wissens stattfindet, welche die Gefahr der missbräuchlichen Nutzung für das Konkurrenzunternehmen begründet – und so die unvoreingenommene Wahrnehmung des Aufsichtsratsmandats unmöglich macht.
Welche Gesetze regeln solche Streitfragen?
Die Stadtwerke Forchheim sind als GmbH organisiert. Die Einrichtung eines Aufsichtsrats ist mitbestimmungsrechtlich nicht geboten, weil es nur 116 Mitarbeiter gibt. Die Bayerische Gemeindeordnung schreibt aber vor, dass ein gemeindliches Unternehmen in Privatrechtsform nur zulässig ist, wenn "die Gemeinde angemessenen Einfluss im Aufsichtsrat oder in einem entsprechenden Gremium erhält". Aufgrund dieser kommunalrechtlichen Vorgaben sieht die Satzung der Stadtwerke GmbH offenbar einen Aufsichtsrat vor. Wird ein solcher sogenannter fakultativer Aufsichtsrat eingerichtet, verweist wiederum das GmbH-Gesetz auf zahlreiche aktienrechtliche Regelungen.
Gibt es hier rechtliche Graubereiche?
Die Beschreibung "dauerhaft und gravierend" ist offensichtlich unbestimmt und bedarf einer Interpretation im konkreten Fall. Es ist eben keine exakte Wissenschaft, sondern ein wertender Vorgang. Insofern lässt sich in bestimmten Fällen sicher trefflich streiten. Dabei ist immer festzustellen, ob der Interessenkonflikt die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats so nachhaltig und schwerwiegend stört, dass nur ein Rückzug aus dem Amt in Betracht kommt.
Wie lautet also Ihre Einschätzung zum Streit in Forchheim?
Herr Müller-Eichtmayer ist kein Mitglied des Vorstands oder Aufsichtsrats der N-Ergie AG. Auch ist er dort nicht in einer Leitungsfunktion tätig. Nach allem, was bisher öffentlich bekannt wurde, ist er, um die NN zu zitieren, vielmehr "Sachbearbeiter […]im Team für den Stromeinkauf". Ob er hierbei sensibles Wissen erlangt, das ihm eine unvoreingenommene und unbelastete Tätigkeit für die Stadtwerke unmöglich macht, ist nicht ganz klar – aber jedenfalls nicht ohne Weiteres anzunehmen. Auch ließe sich daran denken, dass Herr Müller-Eichtmayer in Bezug auf Angelegenheiten des Stromeinkaufs die Aufsichtsratssitzungen verlässt oder zumindest nicht abstimmt. Kurzum: So wie sich der Sachverhalt aufgrund der bisherigen Berichterstattung darstellt, scheint die Tätigkeit bei N-Ergie keinen Interessenkonflikt von solcher Schwere zu begründen, dass ein Rückzug von Herrn Müller-Eichtmayer aus dem Aufsichtsrat zwingend erforderlich wäre.
Kommentar: Die Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds ist möglich, politisch aber schädlich.
Eine klare Sache also?
Nicht ganz, denn die Gemeinde kann aus gesellschaftsrechtlicher Sicht das Aufsichtsratsmitglied ohnehin jederzeit, und zwar auch ohne wichtigen Grund, abberufen. Es erscheint insofern durchaus legitim, wenn der Stadtrat Interessenkonflikte wegen der Tätigkeit in einem Konkurrenzunternehmen gänzlich – also nicht nur bei […]den genannten "gravierenden" Konflikten – [/…]ausschließen will.
Wie ist in diesem Zusammenhang die Androhung des OB einzuschätzen, den Stadtrat notfalls von der Polizei aus dem Gremium entfernen zu lassen?
Der Ausschluss eines Aufsichtsratsmitglieds von der Teilnahme an den Aufsichtsratssitzungen ist bei gravierenden und dauerhaften Interessenkonflikten als letztes Mittel durchaus möglich. Es entscheidet dann – wie hier geschehen – das Aufsichtsratsplenum. Dem betroffenen Aufsichtsratsmitglied ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu gegeben. Geht man jedoch davon aus, dass wegen der bloßen Sachbearbeitertätigkeit gar kein hinreichend schwerer Interessenkonflikt vorliegt, wäre der Ausschluss rechtswidrig gewesen. Angesichts der keineswegs klaren Situation hätte es nahegelegen, bis zur Befassung des Stadtrats mildere, weniger konfrontative Mittel einzusetzen – etwa einen Sitzungsausschluss nur für sensible Tagesordnungspunkte.
Hätte der geschasste Stadtrat im Zweifel die Möglichkeit gegen seinen Ausschluss zu klagen?
Hier ist zu unterscheiden: Will sich der Stadtrat als noch amtierendes Mitglied des Aufsichtsrats gegen den Sitzungsausschluss wenden, weil hierdurch sein Teilnahme-, Stimm- und Informationsrecht verletzt wird, dann muss er einen so genannten Organmitgliedschaftsstreit gegen die Gesellschaft, also die Stadtwerke GmbH, vor den ordentlichen Gerichten führen. Gegen einen Abberufungsbeschluss des Stadtrats könnte der Betroffene, aber unter Umständen auch seine Fraktion, zumindest theoretisch einen Kommunalverfassungsstreit vor dem Verwaltungsgericht führen.
Angenommen ein Interessenkonflikt würde rechtlich tatsächlich festgestellt, was wären dann die Konsequenzen?
Geht man von einem dauerhaften und gravierenden Interessenkonflikt aus, dann ist die Wahl zum Aufsichtsratsmitglied nach herrschender Meinung zwar nicht nichtig. Aber: Dann hätte Herr Müller-Eichtmayer das Mandat nicht annehmen dürfen. Nach der erfolgten Annahme des Amtes wäre er nunmehr gegenüber den Stadtwerken verpflichtet, sein Amt niederzulegen. Weil die Stadt Forchheim Alleingesellschafterin ist, wäre sie selbst zumindest zwar gesellschaftsrechtlich ausnahmsweise nicht verpflichtet, das Aufsichtsratsmitglied abzuberufen. Nach der bisherigen Berichterstattung sieht es aber nach einer Abberufung aus. Berechtigt hierzu ist die Gemeinde allemal. Hierfür braucht es keinen wichtigen Grund, es gilt der Grundsatz der freien Abberufbarkeit. Zu prüfen bliebe allerdings, inwieweit dieser Grundsatz kommunalrechtlich eingeschränkt ist. Doch scheint mir auch das zumindest dann wenig problematisch, wenn die Fraktion die Möglichkeit zur Nachbesetzung erhält.
Sind derartige Interessenkonflikte Einzelfälle?
Auseinandersetzungen wegen tatsächlicher oder angeblicher Interessenkonflikte von Aufsichtsratsmitgliedern in kommunalen Unternehmen gibt es immer wieder. Auch der Forchheimer causa ähnelnde Fälle hat es schon gegeben. So hat man andernorts die Tätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds der kommunalen Stadtwerke als Unternehmer in der Energiebranche letztlich für unbedenklich erachtet, weil problematische Interessenkollisionen nach Ansicht der Beteiligten nur in seltenen Einzelfällen zu erwarten seien. Für einen wirklich prominenten Fall aus der jüngeren Vergangenheit müssen wir in die Bankenbranche wechseln: Die Deutsche Bank berief im letzten Jahr Jürg Zeltner als neues Aufsichtsratsmitglied, der zugleich CEO einer Luxemburgischen Bank war. Die Bankenaufsicht drohte wegen dieses Interessenkonflikts ein Veto einzulegen. Daraufhin zog sich der inzwischen verstorbene Zeltner von seinem Amt bei der Deutschen Bank zurück. Und sein Nachfolger wurde bekanntlich Sigmar Gabriel...
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen