Einbahnstraße in die Katastrophe
20.6.2018, 12:00 UhrEignet sich ein Gerichtssaal als Theaterbühne? Warum nicht? Schließlich sind Staats- und Rechtsanwälte mit ihren Auftritten auf Wirkung und Überzeugung bedacht. Was nun 16- bis 17-jährige Jugendliche im Fürther Amtsgericht erleben durften, war zwar keine Gerichtsverhandlung, wohl aber eine Abrechnung und die strapaziöse Suche nach der Wahrheit mittels Aussagen und Indizien.
Die Hauptperson, der Schüler Lukas D., ist gar nicht anwesend, denn Lukas ist in den heiligen Krieg, den Dschihad, gezogen und gilt nun als vermisst. Seine Eltern geben eine Pressekonferenz, aber vorne am Richterpult steht nur der Schauspieler Philipp Brammer, der den entnervten Vater spielt. Dieser gibt nicht nur seine Ansichten zu Lukas und sein Unverständnis wider, sondern schlüpft auch gleich in die Rollen weiterer wichtiger Personen hinein und äfft diese nach.
So hören wir teilweise schreiend komische Parodien auf Pressesprecher, Mediatoren, Psychologen und Konfliktlöser, auf Kommissare und Religionslehrer, die sich allesamt in ihrem weichgespülten, auf Ausgleich bedachten Berufsjargon ausdrücken und den Vater damit zur Weißglut treiben. Der dagegen will Tacheles reden.
Weshalb radikalisiert sich ein junger Mensch und ist bereit, sich und ihm völlig unbekannte Menschen zu töten? Diese Frage bleibt trotz vieler Hinweise im Stück (unter anderem Filmsequenzen mit Spekulationen von Schülern) letztlich unbeantwortet. Und das ist gut so. Denn Bernd Plöger, der Autor und Regisseur von "Dschihad One-Way" sucht den Dialog mit den jugendlichen Zuschauern, weshalb die Nachbesprechung des Gesehenen nach kurzer Verschnaufpause unerlässlich ist.
Mit zur ärgsten Erkenntnis gehört, dass zahlreiche Statements von Lehrern, Mitschülern und Mediatoren nicht erfunden, sondern direkt übernommen worden sind. Vorbild für den fiktiven Lukas D. aus Ratingen ist ein Schüler aus dem idyllischen Allgäu. Und manche der Aussagen, die der frustrierte Vater parodistisch zitiert, hatte Plöger tatsächlich so gehört und notiert.
Das macht "Dschihad One-Way" zum Schultheater der besten Sorte: spannend, provozierend, zum Denken anregend. Große Klasse.
Starkes Stück
Ruhig, ohne viel Aufhebens verließen die Zuschauer am Montagabend das Stadttheater Fürth. Die Menschen verharrten in sich gekehrt. Das Stück wirkte nach, Büchners Woyzeck ist auch knapp 200 Jahre nach seiner Entstehung starker Tobak. Die Inszenierung von Martin Kindervater für das Würzburger Mainfrankentheater verschärft die im Stück angelegten Konflikte noch.
Zum Beispiel das Bühnenbild: Ein weißer Raum, in der Mitte hölzerne Säulen spitz zulaufend aufgestellt, am Rand zwei Stühle. Der Raum ist nur durch eine Bodenluke zu betreten. Hier werden menschliche Abgründe wie im Versuchslabor seziert. "Was ist das, was in uns lügt, hurt, mordet, stiehlt", fragt der Autor selbst. In der Würzburger Inszenierung ist dieser Mord an Marie, der Mutter von Woyzecks Kind, von einer Unausweichlichkeit, die einem den Atem raubt und durch die Inszenierung der Mordszene am Schluss noch verschärft wird.
Der Woyzeck (eindringlich: Hannes Berg), fahrig und erschöpft, ein Moralist ohne Halt, ein Suchender ohne Ziel, ist Spielball von Mächtigen, die sich anschließend gleich selbst als Würstchen entlarven: Der Hauptmann, der in dieser Version nicht rasiert wird, sondern, intimer und übergriffiger, sich vom kleinen Soldaten Woyzeck die Beine waxen lässt, macht seinem Knecht fortwährend Vorhaltungen: "Wie ein offenes Rasiermesser läuft er durch die Welt".
Der Doktor, hier eine Doktorin (Maria Brendel), nutzt ihn schamlos aus, um dann mit großer Geste kleine Belohnungen zu verteilen. Mit dem Hauptmann wetteifert sie darum, wer den Hilflosen findiger zu piesacken versteht. Marie (schmollmündig und ungerührt gespielt von Hannah Walther), erweckt permanent den Eindruck, ihr Schicksal kommen zu sehen. Das ändert nichts daran, dass ihr der Woyzeck längst als abgeschlossener Fall erscheint und der fesche Tambourmajor (Cedric von Borries, sehr viril in Jeans und Lederjacke) als logischer Fall einer besseren Partie.
Martin Kindervater lässt seine Protagonisten in schicken Anzügen (Doktor, Hauptmann), trendigen Freizeitlooks (Marie, Tambourmajor) und billigem Strickpulli (Woyzeck) antreten. Das Fragmentarische des Urtextes, Büchners sprunghafte Gesprächsführung, das alles ist werktreu und eindringlich inszeniert. Auf Gegenwartsanleihen wird gottlob verzichtet. Die harte, zeitlose Wahrheit des Büchnerstoffes reicht vollkommen aus.
Als Woyzeck und Marie eine riesige durchsichtige Folie ausbreiten, vermutet man kurz letzte Zärtlichkeit. Der Augenblick verrinnt, ein rascher, kühler Schnitt macht Marie ein Ende. Das Publikum trägt die Erschütterung mit in die Nacht.
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