Mission in der Kneipe
8.5.2013, 16:00 UhrDas Stadtwappen ist die erste Station, die Damen kennen sich aus und beziehen Stellung links von der Theke. Uta Müller-Rehkatsch hängt sich die Gitarre um, los geht’s: „Fürchtest du, dass dich besiegt das Feindesheer, wird es dunkler, immer dunkler um dich her“, singen die vier, „mache rein die Fenster, öffne weit die Tür, lass den Sonnenschein herein“. Das Lied ist der absolute Renner, sagt die Gitarristin, „die Leute lieben das, viele klatschen mit“. Der eingängige Refrain, die optimistische Grundstimmung – das öffnet auch die Herzen der sechs Herren, die in trauter Runde sitzen und jetzt nach den Geldbeuteln kramen.
Denn das ist unausweichlich, die Bitte um eine Spende. Brigitte Kloosterman stellt die Büchse gleich auf den Tisch, so dass sie das Magazin der Heilsarmee anbieten kann. „Moderne Helden“ heißt der Titel – und ein bisschen trifft das auf die vier Frauen zu, die sich mit Hingabe den antiquiert wirkenden Missionseinsätzen widmen.
Majorin Ursula Hartmann, 74, beispielsweise. Seit 1963 ist sie bei der Heilsarmee und seit zehn Jahren „eigentlich“ im Ruhestand, heute macht sie sich mit lädiertem Bein auf den Weg. Ihre herzliche Offenheit nimmt Menschen für sie ein, wie etwa die Küchenkraft aus dem Stadtwappen.
Die Majorin lehnt sich auf die Durchreiche, berührt die junge Frau traulich am Arm. „Ihre Heimat ist auch Vietnam?“, fragt sie und erzählt gleich von ihrer Adoptivtochter. So kommt sie ins Gespräch und gelegentlich wird daraus eine seelsorgerliche Unterhaltung. Sorgen und Nöte werden bei ihr abgeladen, oft folgt eine Einladung zum Frühstück im Saal der Heilsarmee in der Hirschenstraße.
Einmal allerdings, gesteht Ursula Hartmann, ging ihr während der Wirtschaftsmission der Mut verloren. Nicht einmal mehr eine Klinke konnte sie herunterdrücken. Als sie nach Hause kam, empfing sie ihr Mann: „Du willst doch dem Teufel nicht den Sieg überlassen!“ Und die Majorin machte sich wieder auf den Weg.
So wie heute, Freitagabend. Die Route führt aus der Bäumenstraße über den Obstmarkt in die Gustavstraße bis zum Grünen Markt, fast 20 Gaststätten besucht der kleine Trupp. Nächste Station ist das Ristorante La Galleria, um kurz nach sieben sitzt noch kein Gast darin. Aber Chefin Mariola umarmt die Majorin gleich, schenkt einen Saft aus. In der Schilderwach nickt Walter Ullmann, langjähriger Ober, zustimmend: Singen erlaubt. „Die Heilsarmee macht gute Arbeit, das muss man auch unterstützen.“
Nach einem Lied ist es genug, aufdringlich will das Quartett keinesfalls sein. „Das hat mir recht gut gefallen“, sagt Gitarristin Uta Müller-Rekatsch, 60. Seit sechs, sieben Jahren geht sie mit, weil ihr das Spielen und Singen große Freude bereitet. Ihr Ziel: das Instrument so gut zu beherrschen, dass sie ohne Noten jedes Lied begleiten kann. Gerade hat sie ihr Repertoire erweitert. „What if God was one of us“ – ein Nummer-eins-Hit von 1996, den viele noch im Ohr haben und der vor allem bei Jüngeren ankommt. In der Kupferpfanne freilich ist heute keine Musik erwünscht, im Goldfrosch lehnt der Wirt halb im Scherz ab. „Geht’ halt ins Stadion, da sind ein Haufen Leut’.“ Die Spielvereinigung tritt an, die Lokale sind spärlich besetzt.
Im Bistro Galerie ist die Stimmung dennoch gut. Angeregt diskutiert Brigitte Kloosterman, die lieber sammelt als singt, mit einigen Gästen über die Seelenrettung. Einer hatte sich erinnert: „Wenn das Geld im Kasten klingt…,wie hieß das noch?“ Die Seele aus dem Fegefeuer springt. Doch das ist lang her, der Satz geht auf den Ablassprediger Johann Tetzel zurück. Luther ärgerte sich – und dann kam die Reformation.
„Wir finden das mutig“
So pointiert muss die Soldatin aus der Armee des Herrn nicht argumentieren. Hauptsache, die Menschen sprechen mit ihr und reden über Gott. Simone Michelbach und Elke Wohlrab am Nebentisch greifen bereitwillig zum Kleingeld. „Wir finden das mutig, in der heutigen Zeit“, sagen die Freundinnen und wundern sich, wie freundlich Brigitte Kloosterman auf der Tour bleibt. „Ich mach’ es sehr gern. Ich finde es so toll, dass wir helfen dürfen“, sagt sie. Dabei hätte die 58-Jährige nie gedacht, dass sie einmal für die Heilsarmee missionieren würde. Die Tochter deutscher Auswanderer wuchs in Kanada auf, studierte Krankenpflege, bekam zwei Kinder. Zu Gott habe sie nach Eheproblemen und Scheidung gefunden: „In meiner Einsamkeit habe ich Gott gespürt.“
Dann verunglückte ihr Sohn tödlich mit dem Rad, im Jahr darauf starb ihre Mutter plötzlich, und die Tochter stürzte 2000 bei einem Ausflug in einen Wasserfall und ertrank. Ohne ihren Glauben, sagt Brigitte Kloosterman, hätte sie diese Schicksalsschläge nicht überstehen können. Sie beendete ein theologisches Studium, wurde 2008 von der Heilsarmee nach Litauen entsendet und kam im Juli 2010 nach Fürth.
Sie liebt die Seelsorge. „Für mich ist es ganz kostbar, dass sich Menschen mir anvertrauen.“ Menschen wie die Alkoholabhängige, deren Tochter nun Kloostermans Patenkind ist, und eine junge Pakistani, die sie „wie eine Mutter ansieht“.
Die Menschen, denen sie bei der Gaststättenmission begegnet, erleben eine zugewandte Frau. Eine, die im Alten Rentamt auf Kanadier trifft und mühelos ins Englische wechselt. Heimatgefühle, die auch noch mit klingender Münze belohnt werden. 200 bis 300 Euro kommen an einem Abend zusammen, sie fließen in soziale Projekte.
Natürlich wird auch im Rentamt gesungen, sogar im Nieselregen vor dem Lokal packt Uta Müller-Rehkatsch ihre Gitarre aus. „Hut ab, dass es sowas heutzutage noch gibt“, sagt eine Frau aus der Gruppe und stößt ihrem Begleiter in die Rippen. Die Männer applaudieren, rufen „bravo“ und „schäi woars!“
Martha Hartmann, 74, drängt zur Eile. Den Waagplatz und die gesamte Gustavstraße haben die Frauen von der Heilsarmee durchkämmt, die Majorin hat sich zwischendurch verabschiedet. Sie muss am nächsten Morgen um 7 Uhr mit den Vorbereitungen für das Tandem-Frühstück beginnen, zu dem regelmäßig mehr als 40 Gäste in die Hirschenstraße kommen.
Der Regen wird stärker, kalt ist es sowieso. „Hopp, geh’ mer!“ treibt Martha Hartmann an. Seit ihrem zehnten Lebensjahr ist sie für die Heilsarmee unterwegs, es geht auf 22 Uhr, für heute ist’s genug. Nur den Stubenhocker noch — und vielleicht die Kleine Welt?
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