Neubeginn und Wiederfinden
29.9.2014, 16:20 UhrIst dies vielleicht das berühmte Bild aus Yasmina Rezas Theaterknüller „Kunst“? Jenes Bild ganz in Weiß, das bei genauerem Hinsehen fein nuancierte Schattierungen von Weiß und Alabaster bis Schneeweiß aufweist? Das Bild, wofür ein gutsituierter Arzt ein Vermögen ausgibt und sich darüber mit seinen Freunden verkracht?
Wahrscheinlich nicht. Aber möglich wäre es. Thomas Gleb entwickelte in den Sechziger Jahren die Kunst der Pafilage. Soll heißen, er schöpfte eigenhändig Büttenpapier, zerriss es und fügte die Stücke mit Bedacht so übereinander, dass sich verschiedene Weißtöne voneinander abgrenzen. Wobei die Risse durch eine kunstvolle Ausfaserung der Risskanten bestechen. Solche Pafilagen stehen und fallen allerdings mit einer ausgefeilten Beleuchtung.
Bis dahin war es ein weiter ästhetischer Weg. 1912 in Lodz geboren, zog Thomas Gleb mit 20 Jahren nach Paris, wo er alle künstlerischen Strömungen in sich aufsog. In den Fünfziger Jahren genoss er zwar ein Dasein als hofierter polnischer Staatskünstler, litt jedoch unter den Restriktionen des sozialistischen Realismus mit markanten Arbeitern und Hammer, Sichel und Schraubenschüssel in der Faust. 1959 nutzte Gleb eine Auslandsreise und setzte sich nach Paris ab.
Nun begann seine künstlerische (Wieder-)Geburt. Das Thema der Geburt, des Anfangs und Neubeginns bleibt zentral in seinem Schaffen. Orientierte Gleb sich anfangs in seinen Zeichnungen noch an Paul Klee, so drang er immer weiter in die Freiheiten der informellen Kunst vor. Also in die Kunst, Formen zu kreieren, die den Betrachter an nichts Bekanntes erinnern sollen und dennoch eine eigene geometrische Ästhetik in Gang setzen.
Das klingt wie die Neuerfindung des Rades. Mit seinen Pafilagen kreierte Gleb Konstruktionen aus über- und nebeneinander lagernden Papierschichten. Meist kontrastieren Weiß und Schwarz miteinander, doch ab und zu lugt ein tiefes Rot durch einen Schlitz, oder Gold legt sich wie ein Mantel darüber. Assoziationen an sakrales Ornat stellen sich ein. Risse und Löcher erscheinen nicht als Beschädigung, sondern als Fenster, Durchbruch und Ausblick.
Aus den Pafilagen entwickelte Thomas Gleb Tapisserien, also Wandvorhänge aus Wolle, die das ästhetische Spiel weitertreiben. Hier gesellen sich nun Buchstaben aus dem hebräischen Alphabet hinzu, der erste Buchstabe Aleph (der den Angang markiert) oder die Kürzel für den unaussprechlichen Namen Gottes tauchen immer wieder auf. Auch hier arbeitet Gleb mit Schlitzen, Rissen und Lücken, sorgt die wechselnde Haptik des Materials für optische Irritationen.
Christian Fritsche hat den größten Teil der Tapisserien und Pafilagen aus den Museen und Depots in Glebs Heimatstadt Angers geholt, wo der Künstler 1991 gestorben ist. Desgleichen hat er Glebs lyrisches Werk übersetzt und publiziert. Es handelt sich dabei um kurze Gedichte, die fast nur aus Halbsätzen oder hingeworfenen Begriffen bestehen und meist um die Begriffe Beginn, Wahrnehmung und Wiederfinden kreisen. Eine Vitrine mit „objets trouvees“, vorgefundenen und bearbeiteten Objekten, rundet den Gesamteindruck ab. Erscheinen die Pafilagen als äußerst fragil, die Tapisserien als schillernd zwischen neutraler Farbgebung und warmer Haptik, so wirken die Fundstücke archaisch wie Jahrtausende alte Idole.
Bis 30. November in der Auferstehungskirche (täglich 10-18 Uhr), bis 22. Dezember in der Galerie in der Promenade (Hornschuchpromenade 17), nach Vereinbarung unter Tel. 70 66 60. Katalog und Lyrikband „Das Buch der Geburten“ bei Edition Promenade, 15 bzw. 16,80 Euro.
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