Dem Bauhausklassiker droht die Abrissbirne

26.9.2019, 14:35 Uhr
Wie eine abstrakte Skulptur präsentierte sich das Verwaltungsgebäude des FÜW bei seiner Vollendung 1931.

© unbekannt Wie eine abstrakte Skulptur präsentierte sich das Verwaltungsgebäude des FÜW bei seiner Vollendung 1931.

Hans Müller (1864–1951) war ein äußerst wandelbarer Architekt. Wer sein Sudhaus der Tucher-Brauerei an der Schillerstraße und das Verwaltungsgebäude des Fränkischen Überlandwerks (FÜW) in der Hainstraße 32/34 nebeneinander sieht, mag kaum glauben, dass die Bauten aus ein und derselben Feder stammen (obgleich am FÜW Hans Müllers Schwiegersohn Karl Kröck mitwirkte). Zeitlich trennen die beiden Gebäude gerade einmal gut drei Jahrzehnte – stilistisch liegen zwischen ihnen Welten.

1930 bis 1931 ließ das FÜW, damals führender Energieversorger Nordbayerns, seine neue Unternehmenszentrale errichten – und zwar dort, wo sie jeder sehen konnte, an einer der wichtigsten südlichen Einfallstraßen in die Nürnberger City. Die Lokalpresse, die bei funktionalistischen Neubauprojekten für gewöhnlich mit Lorbeeren sparte, frohlockte ob der "Bereicherung des Stadtbildes". Die illustrierte Beilage der NZ vom 26. November 1931 widmete dem Bauwerk gar die Titelseite und einen ausführlichen Bericht.

Dem Bauhausklassiker droht die Abrissbirne

© Boris Leuthold

Zu Recht, ersannen Müller und Kröck doch eine geniale Lösung, um den Koloss gewinnbringend in die bestehende Bebauung an der Hain- und der Baaderstraße im Südosten der Stadt einzufügen: An der Einbindung der beiden unterschiedlich hohen Flügel platzierten sie einen hochaufragenden Turm. Dieser enthielt nicht nur das repräsentativ gestaltete Hauptportal mit vorgelagerter Freitreppe, sondern verschaffte dem FÜW-Komplex überdies eine städtebauliche Dominante von großem Wiedererkennungswert.

Die Idee erinnert an Erich Mendelsohns ersten, nicht umgesetzten Entwurf für das Kaufhaus Schocken am Aufseßplatz von 1925. Die zur Straßenecke aufstrebenden Baumassen, der dynamische Schwung der Fassadenlinien und die Fensterbänder des Turms scheinen den Fortschritt, den die noch junge Errungenschaft der Elektrizität für die Menschen jener Zeit bedeutete, in die Sprache der Baukunst zu übersetzen.

Diesem Gedanken entspricht die funktionalistische Gestaltung des Gebäudes im Sinne der Bauhausbewegung. Von wenigen gliedernden Elementen – dem abgesetzten Kellersockel, den Fenstereinfassungen und dem skulptural gestalteten Portal – abgesehen, wirkt der Baukörper vornehmlich durch seine klaren, stereometrischen Formen und deren Verhältnis zueinander.

Am früheren Hauptportal mit seinem auffälligen Reliefschmuck und den originalen Schwingtüren scheint die Zeit stehengeblieben zu sein.

Am früheren Hauptportal mit seinem auffälligen Reliefschmuck und den originalen Schwingtüren scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. © Boris Leuthold

Nach dem Zweiten Weltkrieg erweiterte und modernisierte das Versorgungsunternehmen sein Verwaltungsgebäude, stockte auf, baute an. Und seit 1965 stiehlt das neu errichtete Hochhaus am Platz der Opfer des Faschismus dem Bauhausklassiker ein wenig die Show. Dennoch: Trotz aller Ergänzungen und Veränderungen ist der ursprüngliche Gestaltungsgedanke noch heute ablesbar.

Auch das vornehme Treppenhaus mit seiner Verkleidung aus Juramarmor, die Schwingtüren und die Muschelkalkreliefs des Bildhauers Johannes Müller neben dem Hauptportal, die die fliegende Personifikation der Elektrizität und drei muskulöse Werkarbeiter in heroischer Pose zeigen, blieben über all die Zeit unberührt.

Heuer feiert das Bauhaus seinen 100. Geburtstag. Während in ganz Europa private Bauherrn und Gemeinden ihre Schätze dieser einflussreichsten Architekturbewegung des 20. Jahrhunderts liebevoll restaurieren und stolz präsentieren, droht einem der letzten Bauhausklassiker in Nürnberg die unwürdige Entsorgung.

Das Meisterwerk soll Wohnbebauung weichen

Nachdem die N-Ergie, in der das FÜW im Jahr 2000 aufgegangen war, den Komplex an der Hainstraße an die KIB-Gruppe aus Mögeldorf verkauft hat, plant diese nun den Neubau einer Wohnanlage an seiner Stelle (die NZ berichtete). Dafür soll auch das Meisterwerk von Müller und Kröck verschwinden.

Nicht wenige denken, "Nürnberg, des Reiches Schatzkästlein", das gibt es nicht mehr. Die Wahrheit ist: Das Heilige Römische Reich ist untergegangen. Doch noch immer, selbst nach Bombenkrieg und Nachkriegszerstörung, hütet Nürnberg einen unermesslichen Schatz an Kunst und Baukultur. Allein, den muss man eben auch schätzen und bewahren. Denn wie pflegte der frühere Leiter des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege Egon Johannes Greipl zu sagen: "Was weg ist, ist weg."

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