Abenberg: Dienstantritt für den Turmschreiber

3.9.2020, 18:00 Uhr
Schon 2019 war Leonhard F. Seidl (Mi.) als künftiger Turmschreiber vorgestellt worden, vorgeschlagen unter anderem von zweien seiner Vorgänger, Gerd Scherm (li.), und Reinhardt Knodt (re.).

© Foto: Robert Gerner Schon 2019 war Leonhard F. Seidl (Mi.) als künftiger Turmschreiber vorgestellt worden, vorgeschlagen unter anderem von zweien seiner Vorgänger, Gerd Scherm (li.), und Reinhardt Knodt (re.).

Leonhard F. Seidl kommt gerade vom vielleicht extremsten Literaturstipendium der Welt, das er gewonnen hatte. Auf einer einsamen Hütte in den österreichischen Bergen, 15 Kilometer von der nächsten asphaltierten Straße und 30 Gehminuten vom nächsten Handyempfang entfernt, hat sich der 44-jährige Fürther zwei Wochen lang den Kopf durchpusten lassen. Doch die nächste Herausforderung wartet schon: Mit knapp halbjähriger Verspätung – die Coronapandemie lässt grüßen – tritt er seinen Job als Turmschreiber in Abenberg an. Ein Vorab-Gespräch am Telefon.

Hallo Herr Seidl, sind die Koffer schon gepackt?

Leonhard F. Seidl: Naja, Abenberg ist natürlich keine Weltreise für mich. Aber ich werde ja vier Wochen bleiben. Deshalb: Ja, ich habe meine Sachen weitgehend beisammen. Ich freue mich auf die Aufgabe.

 

Gibt es konkrete Pläne für Ihre Arbeit oder werden Sie sich eher treiben lassen und sehen, was auf Sie zukommt?

Seidl: Beides. Ich bin immer offen für Unvorhergesehenes. Aber um sich nur treiben zu lassen, dafür ist die Zeit zu kostbar. Ich habe den Kopf voller Ideen. Es gibt viel zu tun.

Spannen Sie uns doch nicht so auf die Folter.

Seidl: Also am Mittwoch um 19 Uhr stelle ich mich im neuen Bürgersaal in einer Einführungslesung vor. Dass Tanja Kinkel dabei sein wird, die vor zwei Jahren Turmschreiberin in Abenberg war, freut mich besonders. Am Donnerstag gibt es ein Krimipicknick in Roth. Danach hoffe ich, dass Schullesungen möglich sind. Es wäre sehr schade, wenn diese coronabedingt ausfallen müssten. Gerade mit jungen Menschen muss man sich zusammensetzen. Außerdem habe ich bei meinem ersten Besuch in Abenberg schon ein wenig recherchiert. Da sind zwei Texte entstanden, die ich noch überarbeiten und/oder ausbauen will.

Texte über Abenberg?

Seidl: Sagen wir: Texte aus der Region. Ich habe im Frühjahr am Igelsbachsee und am See in Dennenlohe einiges erlebt. Mehr will ich jetzt aber nicht verraten. Aber keine Bange. Auch mit Abenberger Themen werde ich mich beschäftigen.

Zum Beispiel?

Seidl: Zum Beispiel bin ich bei meinen Recherchen darauf gestoßen, dass Kurt Eisner, der erste Ministerpräsident des Freistaates Bayern, eine seiner ersten Reden in Abenberg vor Klöppnerinnen gehalten hat. Daraus lässt sich bestimmt etwas machen.

Werden Sie als Turmschreiber tatsächlich auf der Burg wohnen?

Seidl: Ich werde im Ostturm der Burg arbeiten und dort auch so etwas wie Literatursprechstunden anbieten. Übernachten werde ich jedoch im Künstlerhaus meines Schriftsteller-Kollegen Billy Wechsler. Also im Schatten der Burg.

Kürzlich haben Sie sich der Burg schon mal literarisch genähert. Im ars vivendi-Verlag haben Sie eine Sammlung von Kurzkrimis herausgegeben. Titel: "Tatort Fränkisches Seenland." Neun Autoren, neun Kurzgeschichten. Eine davon – "Drachen" – stammt von Ihnen und spielt auf Burg Abenberg.

Seidl: Wie hat sie Ihnen gefallen?

Normalerweise bin ich kein Krimifan. Aber hier muss man als Leser seine Sinne beisammen haben, weil es auf den 30 Seiten eine Geschichte und eine Geschichte in der Geschichte gibt. Gar nicht so einfach, hier den Durchblick zu behalten. Aber faszinierend.

Seidl: Ja, der Text funktioniert auf mehreren Ebenen. Das ist für mich Literatur.

In Ihrer Geschichte taucht auch ein Swimmingpool auf der Burg auf. Das klingt aus heutiger Sicht fast surreal. Aber den hat es tatsächlich mal gegeben.

Seidl: Ich bin bei meinen Abenberger Besuchen auf eine Postkarte gestoßen. Darauf war der Pool abgebildet. Das musste einfach in die Geschichte hinein. Aber in "Drachen" wollte ich darüber hinaus nicht die 1000. Leiche auf dem Marktplatz herbeischreiben. Ich bin eher unkonventionell herangegangen. Ich will mich als Schriftsteller ja auch weiterentwickeln. Deshalb das Hin- und Herspringen zwischen Realität und Fiktion. Ich mag es, wenn der Leser beim Lesen mitdenkt und nachdenkt.

Ihre Geschichte spielt in den 1980er-Jahren. Warum dieser Zeitsprung?

Seidl: Weil ein Freund von mir tatsächlich 1983 vorübergehend auf der Burg gewohnt hat. Wie gesagt: Realität und Fiktion.

Für das Buch haben Sie acht weitere Autoren gewinnen können, die Kurzkrimis beigesteuert haben. Wie funktioniert das?

Seidl: Indem ich sie angeschrieben habe. Das sind alles sehr renommierte Autorinnen und Autoren. Ich bin froh, dass sie mitgemacht haben.

Was erwarten Sie von Abenberg?

Seidl: Im Gegensatz zu meinem Extrem-Stipendium in Österreich habe ich zumindest fließend Wasser und Strom (lacht). Nein, ganz im Ernst: Ich hoffe auf viele spannende Begegnungen und neue Erfahrungen. Turmschreiber zu sein, das ist für mich schon eine Ehre.

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