Sorgenfalten bei Wettelsheimer Landwirten
04.09.2015, 06:05 Uhr
Stefan Föttinger und Markus Reißlein kennen sich seit der Grundschule. Sie sind zusammen aufgewachsen, teilen den Beruf und haben gerade zwei nagelneue Kuhställe am Wettelsheimer Ortsrand gebaut. Der von Stefan Föttinger ist schon in Betrieb, der von Markus Reißlein wird bald fertig.
Zur Landwirtschaft kamen die beiden jedoch auf unterschiedlichen Wegen. Während die Familie Reißlein ihren Betrieb mit derzeit rund 50 Milchkühen und 500 Mastschweinen seit Generationen im Vollerwerb betriebt, riet der Nebenerwerbslandwirt und ehemalige Wettelsheimer Ortssprecher Werner Föttinger seinem Sohn zunächst von dem Beruf ab. Stefan Föttinger machte eine Lehre zum Schmied, bevor er 1992 damit begann, den elterlichen Anbindestall in einen Laufstall für 16 Milchkühe umzubauen. 2011 war er bereits bei 40 Tieren, sodass der Hof im Dorf zu klein wurde.
Ein Jahr später bezog Föttinger den Neubau oberhalb der Staatsstraße Richtung Markt Berolzheim. Dort stehen derzeit 75 Kühe. Während andernorts immer mehr Bauern aufgeben, ist Föttinger nach eigenen Worten „die Rolle rückwärts“ aus dem Neben- in den Vollerwerb gelungen. Die Landwirtschaft ist für ihn „kein Beruf, sondern eine Lebenseinstellung“.
Trotzdem muss die Viehzucht für die fünfköpfige Familie auch genug zum Leben abwerfen. Und das tut sie seit dem jüngsten Preisverfall nicht mehr. „40 Cent pro Liter Milch wären okay“, meint Föttinger. Die aktuellen 28 Cent und weniger seien aber ruinös. „Wir wollen keine Millionäre werden, aber für unsere Arbeit anständig bezahlt werden“, betont der 44-Jährige.
Hauptgründe für den nach 2009 (21 Cent) und 2011 (30 Cent) erneuten Einbruch sind nach Ansicht der beiden Wettelsheimer das Embargo gegen Russland und die Wirtschaftskrise in China. Denn nicht der Frühstücksmilchkonsum der Deutschen diktiert die Preise, sondern der Weltmarkt und Massenprodukte wie Milchpulver. Dazu kommt, dass die EU die Milchquote in den vergangenen Jahren schrittweise aufgeweicht hat. „Damals hieß es, der Milchhunger in Fernost sei gar nicht zu stillen“, erinnert sich Markus Reißlein. „Jetzt sind bei den Russen die Regale leer, und die Chinesen kaufen wieder Reis statt Milch und Fleisch.“
„Sinnvoll wäre es sicher, die Mengen zu senken“, denkt Stefan Föttinger weiter. „Aber erklären Sie mal meinen Kühen, dass sie nur noch 70 Prozent Milch geben sollen.“ Auch eine Zwischenlagerung sei wegen der Verderblichkeit nur kurzfristig möglich und überschwemme dann den Markt. Außerdem verkaufe sich gerade das billige Milchpulver aktuell besonders schlecht, weil „die Händler darauf spekulieren, dass es noch günstiger wird“.
Weder den Molkereien noch dem Einzelhandel machen die beiden Landwirte daraus einen Vorwurf. „Die Discounter nutzen die Situation zwar gnadenlos, aber das ist eben der freie Markt“, meint Stefan Föttinger. „Nur Menge und Preis zählen. Und wir können gar nicht anders, als mitzuhalten.“ Schließlich habe er sich für den Bau des neuen Stalls verschuldet und staatliche Zuschüsse erhalten, die an eine 20-jährige Produktionsgarantie geknüpft sind.
Am Gewinn der deutschen Milchviehhalter nagen aber auch die Produktionskosten und die strengen Auflagen. Zu Buche schlagen Tierarztkosten, Wasser- und Energiepreis, aber auch der „Kampf um die Fläche“, wie Markus Reißlein erklärt. „Der Hektar Acker kostet uns derzeit 350 bis 400 Euro. Die Betreiber von Biogasanlagen zahlen aber schon um die 600.“ Das sorgt in den Dörfern für Konflikte. „Dazu kommen sieben Prozent der Fläche, die wir fürs ,Greening‘ freihalten müssen“, so der 44-Jährige. „Wenn das so weiter geht, reichen bald auch 40 Cent pro Liter Milch nicht mehr.“

Teure „Wohlfühlställe“
Kosten verursacht laut Stefan Föttinger darüber hinaus die Größe der neuen „Wohlfühlställe“ und deren mittlerweile unverzichtbare Ausstattung mit Melkroboter, Freilauf, Belüftung, Überwachungskameras und automatischer Fellbürste. Jede Kuh hat heute rund dreimal so viel Platz wie vor 30 Jahren. Dabei leiden die Tiere keineswegs unter der viel gescholtenen „Industrialisierung“ der Landwirtschaft. Im Gegenteil: „Die Kühe lieben den Melkroboter“, ist Föttinger beispielsweise überzeugt. Massenhaltung sei nicht per se schlecht, es komme vielmehr auf die Art der Haltung an.
„Da haben wir Landwirte verschlafen, die Bevölkerung mitzunehmen“, sind sich die beiden Wettelsheimer bewusst. „Wenn Großstädter zu uns kommen, merken wir, wie weit weg die von der Realität sind. Die haben noch das Bild vom Bauern mit Gummistiefeln und Mistgabel im Kopf, der morgens die Kühe von Hand melkt. Ähnlich wie der Strom aus der Steckdose, kommt für die die Milch aus dem Tetrapack.“
Das hat Folgen für die Wertschätzung von Lebensmitteln und damit für den Preis, den die Konsumenten bereit sind zu zahlen. „Die billige Milch ist ja nicht schlechter als teuere“, räumt Markus Reißlein ein. „Und was an Aufwand dahinter steckt, sehen die Kunden im Discounter nicht. Meine polnischen Arbeiter am neuen Stall kaufen sogar hier bei uns Lebensmittel ein, bevor sie zurück nach Polen fahren. So billig ist das Essen in Deutschland.“
Der Kostendruck führt dazu, dass Reißlein mit dem Einzug in den neuen Stall auch seine gentechnikfreie Produktion aufgeben muss. „Das bringt nur einen Cent mehr pro Liter, und allein das Futter kostet drei Cent mehr“, erklärt er. Bei einem Milchpreis von 40 Cent könne er das „mit Idealismus“ noch machen, nicht aber bei unter 30 Cent. Gleiches gelte für Bio-Milch, bei der der Markt zwar boome, aber immer noch ein Nischenmarkt sei. „Bio wird immer gefordert, aber nicht bezahlt“, so Reißlein. Eine Chance sei hingegen vielleicht „mehr Regionalität“, meint Stefan Föttinger.
Letztlich sind sich die beiden Milchbauern einig, dass sich „die Politik bewegen muss und das Thema nicht aussitzen darf“. Bei all den anderen aktuellen Krisen hätten es die Milchbauern jedoch schwer, sich Gehör zu verschaffen. Und die wichtigen Entscheidungen für die Landwirtschaft würden ohnehin nicht mehr in München oder Berlin gefällt, sondern in Brüssel. „Da findet der wahre Kuhhandel statt“, so Markus Reißlein.
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