Wer hier arbeitet, der darf auch naschen

19.10.2012, 00:00 Uhr
Wer hier arbeitet, der darf auch naschen

© Roland Fengler

„Lebkuchen sind ein toller Artikel“, sagt Henriette Schmidt-Burkhardt, „sie machen den Menschen so viel Freude.“ Die 86-Jährige mit den wachen blauen Augen erzählt gern von Briefen aus der ganzen Welt, in denen sich deutsche Auswanderer für die Lebkuchen bedanken. „Schon bei dem Geruch erinnern sich die Menschen an früher, als sie in Deutschland bei den Großeltern Lebkuchen gegessen haben“, sagt sie.

Dabei ist es manchmal gar nicht so einfach, die Süßigkeiten auf der ganzen Welt zu verbreiten. So müssen zum Beispiel die Brasilianer auf Schokolebkuchen verzichten. „Einmal wollten wir eine Ladung nach Los Angeles schicken“, sagt Schmidt-Burkhardt, „durch den Panama-Kanal haben sie im Kühlcontainer auch gut gehalten. Bei der restlichen Reise im Sattelzug ist die Kuvertüre jedoch weiß geworden.“ Verdorben sind die Lebkuchen dabei nicht, Zucker und Honig konservieren schließlich, „aber anbieten kann man die nicht mehr“.

Wer hier arbeitet, der darf auch naschen

© Roland Fengler

Schmidt-Burkhardt lässt es sich nicht nehmen, täglich in ihrem Büro zu sitzen. „Wir besprechen uns jeden Tag mindestens eine Stunde lang“, sagt Thomas Wrede, die rechte Hand der Chefin. „Hier läuft vieles anders als in den meisten Unternehmen“, sagt er. „Einige Mitarbeiter sind schon seit Jahrzehnten im Betrieb, selbst die Saisonkräfte kommen immer wieder.“ „Wir sind eine fröhliche Fabrik“, sagt Schmidt-Burkhardt, „bei uns is einfach schee.“

Auch wenn das Geschäft manchmal schwierig sei, schließlich werden die Zutaten immer teurer. Einige Unternehmen mussten Anfang des Jahres sogar Aufträge ablehnen – die Lieferanten konnten nicht genug Zucker beschaffen. „Bei uns war der Zucker noch nie knapp“, sagt Schmidt-Burkhardt. Zum Glück, schließlich laufen in der Großbäckerei in der Zollhausstraße täglich drei Millionen Lebkuchen vom Band. Dazu kommen noch Unmengen von Zimtsternen, Vanillekipferl und Co. Zwischen 1000 und 1200 Tonnen Nüsse werden jede Saison verarbeitet. Das ist so viel wie in 40 Lkws passt. Die Haselnüsse kommen im Ganzen aus Anatolien. „Wir mahlen sie aber nicht so fein“, sagt Schmidt-Burkhardt, „man muss die Nüsse spüren können, wenn man in die Lebkuchen beißt.“

Sie selbst nascht am liebsten Elisenlebkuchen ohne Mehl. „Aber davon darf man nicht zu viele essen, die machen dick“, sagt Schmidt-Burkhardt, die sich mit täglicher Gymnastik fit hält. In die Backstube geht sie auch heute noch etwa zweimal in der Woche. „Da ist sowieso immer alles in Ordnung.“ Teig nascht sie dabei nicht, „ich mag die Lebkuchen lieber gebacken.“

Dabei darf es gern auch Fremdware sein. Jedes Jahr schenkt ihr Petra Maly, die Frau des Oberbürgermeisters, selbst gebackene Lebkuchen. Ob die besser schmecken als die firmeneigenen? „Wir streiten uns im Spaß, aber die Frau kann das schon.“

Die 86-Jährige ist in der Stadt nicht nur für ihre Lebkuchen, sondern auch als Mäzenin bekannt. Sie gehört zu den Initiatoren des Klassik Open Airs. Außerdem hat sie den Bau des Konzertsaals für die Symphoniker gesponsert. Reinreden lassen wollte sie sich bei dem Projekt nicht, „wenn es ein paar Mark mehr kostet, macht das nichts, habe ich immer gesagt.“ Auf das Ergebnis ist sie stolz, „der is schee“, sagt sie, wie so oft im Gespräch mit der NZ.

Ob sie auch schon daran gedacht hat, dem Nürnberger Lebkuchen ein Museum zu widmen? „Ja, aber den Gedanken haben wir bald wieder verworfen. Unter dem Jahr ist der Lebkuchen ja ein gestorbener Artikel.“

Wer hier arbeitet, der darf auch naschen

© Roland Fengler

Harald Witte steht jeden Tag selbst in seiner Backstube in der Schmalau im Nürnberger Norden. Für das Gespräch mit der NZ macht der Bäckermeister eine Pause.

„Momentan flacht die Lebkuchensaison ein klein wenig ab“, sagt er. Mitte August beginnt er jedes Jahr mit der Produktion, dann stockt er sein Personal von sechs auf 25 bis 30 Kräfte auf. „Die Leute sind ganz heiß auf Lebkuchen, wenn es eigentlich noch keine gibt“, sagt er. Wenn der erste Heißhunger dann gestillt ist, machen sie eine Pause – aber nicht lange. „Ende Oktober geht es richtig los“, sagt Witte. Über eine Million Lebkuchen stellt er jede Saison her. Das klingt nach einer Menge, ist aber gerade ein Drittel dessen, was Lebkuchen Schmidt täglich schafft.

Ein steigender Zuckerpreis schmerzt ihn deshalb auch nicht so sehr. „Unsere Kalkulation ist ganz anders aufgebaut“, so Witte. Bei ihm ist es nicht der Zucker, der die Backwaren teuer macht, sondern es sind die Nüsse. Sparen will Witte dabei nicht. „In unsere Elisenlebkuchen kommen nur Haselnüsse“, sagt er, „und davon mehr als gewöhnlich – der Kernanteil liegt bei unseren Lebkuchen bei 40 Prozent.“ Gute Lebkuchen erkennt man deshalb am besten am Gewicht. „Je höher der Nussanteil ist, desto schwerer sind sie“, so Witte. Wie Lebkuchen Schmidt lässt auch er ganze Nüsse aus der Türkei liefern, röstet und mahlt selbst. Momentan denkt er darüber nach, einen fränkischen Lebkuchen zu kreieren. Ganz mit regionalen Zutaten geht das zwar schon wegen der Gewürze nicht, aber zumindest die fränkische Haselnuss wäre eine Option. Den Honig bekommt er schon jetzt von Imkern aus der Region geliefert, er stammt von Bienenvölkern aus der Hersbrucker Gegend und der Oberpfalz.

Neben Nüssen und Honig treibt vor allem die viele Handarbeit den Preis nach oben. Kein Wunder, wie man beim Rundgang durch die Backstube merkt. Der Teig wird freilich nicht einzeln per Hand auf die Oblaten gegeben – das übernehmen auch im Handwerksbetrieb Maschinen. Aber jede einzelne Süßigkeit wird bei jedem Arbeitsschritt genau angesehen und kontrolliert. Würde ein Brösel die Schokolierstation verstopfen, so bekämen die Lebkuchen schließlich keinen perfekten Überzug. Überhaupt ist es keine einfache Kuvertüre, die das Weihnachtsgebäck so schokoladig macht. Witte schwört auf belgische Schokolade. Die kostet zwar mehr als das Doppelte, enthält dafür aber auch viel mehr Kakao.

Am meisten Arbeit bereiten die Plätzchen – vor allem die gefüllten. Die werden schließlich per Hand gemacht und zusammengesetzt.

Im Lager türmen sich die Köstlichkeiten in kleinen Kisten, bevor sie für den Verkauf verpackt werden – auch das geschieht per Hand. Bei so viel Grand-Marnier-Tropfen, Apfel-Calvados-Lebkuchen-Konfekt und Nougatplätzchen kommt man schnell in Versuchung. „Wer bei uns arbeitet, darf natürlich auch essen“, sagt Witte.

Wie viele Lebkuchen der Bäckermeister jede Saison nascht? „Außer zu Weihnachten gar nicht viele“, sagt Witte und lacht, „dafür probier’ ich in der Backstube gern den Teig.“

Mehr Informationen in unserer Rubrik Essen und Trinken!

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