Alter Freund: Auch Hunde können Demenz haben

4.11.2019, 06:46 Uhr
Der kleine Mischlingshund Casper ist 16 Jahre alt, taub und dement.

© Kathrin Walther Der kleine Mischlingshund Casper ist 16 Jahre alt, taub und dement.

Langsam wird sein Kopf schwer auf meiner Hand. Und sein Grunzen lauter. Casper ist eingeschlafen, endlich.

Es ist drei Uhr in der Früh. Vielleicht auch halb vier. Über eine Stunde lang war mein Hund auf Wanderschaft und ich mit ihm wach. Vom Wohnzimmer lief er in die Küche, von der Küche ins Esszimmer, und wieder zurück. Dann mal raus in den Garten, zwischendurch hat er sich hingelegt und hektisch gehechelt. Und immer, immer, immer wieder drehte er sich im Kreis, rundherum, fast exzessiv. Ich saß bei ihm, streichelte ihn. Er wurde kurz ruhiger, dann rappelte er sich mühsam wieder hoch. Und weiter ging‘s.

Arthrose und Demenz

Mein Hund ist ein kleiner Mischling, blond und wuschelig-weich. Erinnern Sie sich an die Kindersendung "Boomer der Streuner" aus den 1980ern? So ein Typ Hund ist das. Fremde Menschen auf der Straße sind immer noch entzückt, wenn sie ihn sehen. Streicheln lassen mag er sich aber nicht.  Casperle ist 16 Jahre alt. Wenn er dann seinen Kopf auf meine Hand legt, bin auch ich entzückt. Und vergesse die Strapazen, die es mit sich bringt, sich um einen alten Hund zu kümmern.

Casper hat Arthrose. Er ist taub. Und er hat – vermutlich – Demenz. Vermutlich? Demenz? Ein Hund? Kann das denn sein? Haben unsere Haustiere die gleichen Gebrechen wie wir Menschen?

Ich telefoniere mit Dr. Karl Eckart, er ist Präsident der Bayerischen Landestierärztekammer. "So, wie die Leute älter werden, werden auch Tiere älter", sagt er. "Zwei bis drei Jahre auf jeden Fall. Das liegt an der besseren medizinischen Versorgung und am besseren Futter. Mit dem Älterwerden kommen aber die Krankheiten. Herz- oder Organprobleme, Arthrose, verminderter Hör-, Seh-, Geruchssinn. Und, ja, auch die Demenz. Früher sind sie einfach vorher gestorben." Kognitives Dysfunktionssyndrom lautet der Fachbegriff, kurz CDS.

Plötzlich stiert das Tier ins Leere

Allerdings, und an dieser Stelle wird die Frage nach dem "vermutlich" beantwortet, allerdings ist die eindeutige Diagnose schwer. Tests wie beim Menschen kann man schließlich nicht machen. Zuerst ist es der Halter, dem Veränderungen auffallen. Plötzlich wird das Tier – Katzen können genauso betroffen sein – unrein; sein Schlaf-Wach-Rhythmus verändert sich; es hat Unruhezustände; bellt oder jault aus dem Nichts ins Nichts, stiert ins Leere.

"Mein alter Hund", sagt Karl Eckart, "hat immer gerne Ball gespielt. Plötzlich wusste er nicht mehr, was er mit dem runden Ding anfangen soll." Dann ist die Ausschlussdiagnostik der Veterinärmedizin gefragt. Was sagen die Blutwerte? Hat er Schmerzen? Sind die Organe okay? Hat er vielleicht sogar einen Gehirntumor?


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Das sagte Caspers Tierärztin bei unserem letzten Besuch. Auch in der Praxis kreiselte er unruhig rundherum. "Das hat meiner am Schluss auch gemacht. Ob es wirklich ein Tumor war, weiß ich nicht. Das kann man nur über ein MRT feststellen. Aber das wollen wir Casper jetzt nicht mehr antun." Denn es bedeutet: erst Stress, dann Vollnarkose. Hohe Kosten, natürlich. Und am Ende eine Gewissheit – Verkalkung oder Tumor oder beides? – die Casper nicht weiterhilft.

Seit er nichts mehr hört, bellt er nicht mehr

Warum ich um drei Uhr morgens weiß, dass mein Hund wandert, liegt an seinem Urschrei. So nenne ich das jetzt einfach mal. Seit er nichts mehr hört, bellt er auch nicht mehr. Dadurch ist sein Lautklang verkümmert, und wenn da jetzt was rauskommt, klingt es einfach nur schrill und schräg. Eine ziemlich verquere Mischung aus Tier und Baby und vollkommen eingerosteter Türangel. Auch bei dementen Menschen ist das herzzerreißende Schreien eine Begleiterscheinung. Es erinnert manchmal sogar an Tierlaute.

Als wir Caspers Tierlaut zum ersten Mal hörten, standen mein Mann und ich senkrecht im Bett. Und spurteten zwei Stockwerke runter ins Wohnzimmer. Wir dachten an Höllenschmerzen. Oder tierischen Drang. Aber Casper lag einfach in seinem Körbchen und schaute uns an. Vor ein paar Wochen, die Kinder waren über Nacht bei Freunden und wir gingen ins Kino, meldete meine Nachbarin via Messenger "Euer Hund schreit!" Casper hat viele Macken, aber das Nicht-Allein-Sein-Können zählte bislang nicht dazu.

Wir müssen jetzt keine kleinen Kinder mehr versorgen. Dafür aber einen pflegebedürftigen Hund. Wir haben Hundewindeln, diverse Spezialreinigungsmittel und ein dreifaches Mehr an Tierarztbesuchen und -rechnungen.

Auch die letzte Lebensphase ist ein Prozess

Seit 14 Jahren gehört Casper zu uns, und ich habe mir nie einen Kopf über sein Lebensende gemacht. Durchaus über den Moment des Abschiednehmens, aber nur in Form eines fixen Zeitpunkts, der kommt, furchtbar ist, und wieder geht. Wie eine Geburt. Ich habe nicht im Ansatz daran gedacht, dass auch die letzte Lebensphase ein Prozess ist, wie der Geburt die Schwangerschaft vorausgeht. Nur umgekehrt eben, mit all den Altersleiden und Gebrechen, mit denen auch wir Menschen uns plagen müssen.

Woher weiß ich, wann sein Lebensende gekommen ist? Was, wenn er nicht friedlich einschläft und einfach nicht mehr aufwacht, wie wir es uns wünschen? Einfach einschläfern, weil ein Tier unbequem geworden ist? "Das dürfen wir gar nicht", sagt Tierarzt Karl Eckart. "Wir sind der Anwalt des Tieres." Ich rede mit Caspers Tierärztin. "Wie kann ich erkennen, dass da mehr Leid als Lebensfreude ist?" Frisst er gerne? Ja. Geht er gerne raus und schnüffelt noch rum? Ja. Nimmt er uns wahr? Ja. Sie schaut in seine Augen. "Er hat noch nicht abgeschlossen", sagt sie.

Gegen die Rastlosigkeit probiere ich es jetzt mit CBD-Öl, es enthält den Wirkstoff von Hanfpflanzen, natürlich nicht psychoaktiv, also "high" kann er davon nicht werden. Den Rat bekam ich auf einen Post in der Facebook-Gruppe Hundefreunde in Franken.

Gassigehen bedeutet jetzt Entschleunigung

Vorgestern auf unserem abendlichen Schleichspaziergang. Früher gingen wir gerne im Stechschritt große Runden, das war mein Workout. Jetzt seh ich im Gassigehen eine Übung zur Entschleunigung. Zulassen, annehmen, durchatmen. Wir begegnen einer Dackelhündin. Sie ist läufig. Es dauert ein wenig, dann reagiert mein Hund.

Nein, Casper hat noch nicht abgeschlossen.


Hundefreunde aufgepasst: In unserer Facebook-Gruppe "Hundefreunde in Franken" können Sie über Ihre Vierbeiner diskutieren, philosophieren und Gassigeh-Termine vereinbaren. Unter diesem Link können Sie beitreten.

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