Audi e-tron Sportback: Der schräge Bruder

6.5.2020, 19:28 Uhr
Audi e-tron Sportback: Der schräge Bruder

© Hersteller

99 Cent weist die Tankstelle am Wegesrand für den Liter Diesel aus, eines der wundersamen Dinge, welche man noch vor wenigen Wochen für völlig abstrus gehalten hätte, die in den merkwürdigen Zeiten von Corona aber passieren.

Keine guten Startbedingungen für ein Elektroauto, möchte man meinen. Und doch stellt Audi dieser Tage dem e-tron einen Bruder zur Seite. Der e-tron Sportback folgt einem Trend, der in der SUV-Szene quer durch alle Größenklassen allgegenwärtig ist. Viele Hersteller leiten von ihren SUVs coupéhafte Derivate ab, den BMW X3 flankiert beispielsweise der X4, den Mercedes GLC das GLC Coupé, den Audi Q3 der Q3 Sportback.

Schräger heißt schöner

Meist heißt schräger dann schöner. Auch der e-tron Sportback wirkt eleganter, sportlicher, weniger wuchtig als das Ausgangsmodell. Dabei ist er mit 4,90 Metern genauso lang und mit 1,94 Metern genauso breit. Aber: Seine Dachlinie verläuft um 13 Zentimeter niedriger und senkt sich zum Heck hin dekorativ ab, ein designtechnischer Kunstgriff, der tatsächlich einen schickeren Auftritt befördert. Ganz nebenbei verbessert sich die Aerodynamik, bei einem Elektroauto – Stichwort Reichweite – von nicht unerheblicher Bedeutung. Ablesen lässt sich das am cw-Wert, der speziell beim S-Line-Modell von 0,27 auf 0,25 sinkt.

Am Platzangebot knabbert die filigranere Optik nicht. Der Radstand ist mit 2,93 Metern unverändert geblieben, man sitzt also komfortabel im e-tron Sportback, auch im dreisitzigen Fond herrscht Raumfülle im Business-Class-Format vor, die um zwei Zentimeter eingedampfte Kopffreiheit dürften nur ausgesprochene Sitzriesen spüren.

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Zweiter Gepäckraum

Etwas kleiner wird indes der Kofferraum, statt 660 Litern stehen beim Sportback nur 615 Liter zur Verfügung, was aber noch immer respektable Dimensionen sind, zumal sich nach Umklappen der Rücksitzlehnen 1655 Liter ergeben. Das angegebene Volumen umfasst allerdings auch das kleine 60-l-Gepäckfach unter der Fronthaube, in dem sich Bordwerkzeug und Ladekabel unterbringen lassen. Das Beladen macht der e-tron im Übrigen leicht, die Heckklappe öffnet und schließt elektrisch und auch – sofern man die entsprechende Option zieht – per Fußgeste.

Keine Unterschiede zeigen sich bei der Innenrichtung. Heißt: Auch der Sportback bedient sich des supermodernen e-tron-Cockpits mit bis zu drei Bildschirmen. "Virtual Cockpit" heißt bei Audi das frei konfigurierbare Instrumentendisplay hinterm Lenkrad, das von zwei weiteren Monitoren mit beeindruckend brillanter Darstellung ergänzt wird. Der großformatige obere 12,1-Zoll-Touchscreen dient der Ansteuerung von Infotainment, Navi oder der e-tron-spezifischen Einstellungen, über den unteren mit 8,6 Zoll regelt der Fahrer die Komfortfunktionen und die Klimatisierung, auch handschriftliche Texteingabe ist möglich. Zudem fährt Amazons Sprachassistentin Alexa mit.

Üppige Akkukapazität

Für erste Probefahrten stand uns der e-tron Sportback 55 quattro mit üppigem 95-kWh-Akku zur Verfügung. An Vorder- und Hinterachse sitzt jeweils ein Elektromotor, Allradantrieb also. Insgesamt ergibt sich eine opulente Leistung von 265 kW/360 PS und ein nicht minder sattes Drehmoment von 561 Newtonmetern.

Wir stoßen aus der Parklücke zurück und stellen fest, dass die Übersicht nach hinten ziemlich spekulativ ausfällt, dankbar nehmen wir die Hilfe der 360-Grad-Umgebungskamera in Anspruch. Wie der klassische e-tron bietet auch der Sportback optional virtuelle Außenspiegel, bei denen Kameras die Bilder der Außenwelt auf zwei OLED-Displays in den Türen übertragen. So ganz hat sich uns die Sinnhaftigkeit nicht erschlossen. Klar, durch den Wegfall konventioneller Spiegel verbessert sich die Aerodynamik, und spannend ist solch eine Hightech-Lösung allemal. Doch die Displays sitzen recht tief, und so wandert unser Blick immer noch zu den Seitenscheiben hinaus, wenn reaktionsschnelles Handeln gefragt ist, kann das kritisch werden. Außerdem tut man sich schwer damit, die Geschwindigkeit der von hinten herannahenden Fahrzeuge richtig einzuschätzen. Kann sein, dass irgendwann ein Gewöhnungseffekt einsetzt, uns erscheinen die 1540 Euro Aufpreis jedoch verzichtbar.

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Einmal mehr führt der Umgang mit dem e-tron Sportback zu der Erkenntnis, wie wunderbar elektrisches Fahren ist. Die Wehmut, mit der unsere Augen den verlockend günstigen Diesel-Preis streifen, währt nur kurz. Wir genießen das flüsterleise Vorankommen und die schiere Power des Antriebs, ganz ohne schlechtes Umweltgewissen cruisen wir durch das oberpfälzische Lauterachtal, sonnengelbe Rapsfelder rechts, Wachholderheiden links, zumindest lokal emissionsfrei sind wir unterwegs.

Bei Überholvergängen hilft der Boost-Modus, acht Sekunden lang stellt der Sportback 55 dann 300 kW/408 PS und sein volles Drehmoment von 664 Newtonmetern bereit. Erstaunlich, wie leichtfüßig und agil das zweieinhalb Tonnen schwere Trumm dem Kurvengeschlängel folgt. Hier zahlt es sich aus, dass der Schwerpunkt vergleichsweise niedrig liegt, gewichtige Bauteile wie der Akku sind in der Fahrzeugmitte konzentriert, die Achslastverteilung ist mit 50 : 50 perfekt ausbalanciert.

446 Kilometer Norm-Reichweite

Wie lange aber geht die elektrische Fahrfreude gut, ohne eine Ladestation ansteuern zu müssen? Audi gibt für den 55 quattro eine Normreichweite von maximal 446 Kilometern an. Um den Wahrheitsgehalt dieser Angabe auszuloten, fehlt uns beim ersten Kennenlernen die Zeit, 370 Kilometer halten wir bei moderater und vorausschauender Fahrweise für möglich, wirklich berauschend ist das nichtund wirft durchaus die Frage auf, ob Elektroantrieb in dieser Gewichtsklasse Sinn macht. Immerhin rekuperiert das SUV-Coupé erfolgreich. Bei einer Bremsung aus Tempo 100, sagt Audi, könne der Sportback mit bis zu 220 kW/300 PS Energie zurückgewinnen und so bis zu 30 Prozent seiner Reichweite erzielen.

Den Sprint von 0 auf 100 erledigt der große Stromer in 6,6 Sekunden (Boost 5,7), bei 200 km/h regelt die Elektronik den Vortrieb ab. Auf der corona-bedingt spärlich frequentierten Autobahn A3 probieren wir die Höchstgeschwindigkeit aus. Auch bei schneller Fahrt geriert sich der Sportback als überaus komfortabler Cruiser, in nahezu perfektem Schwebezustand filtert er Störstellen im Asphalt weg.

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Die Luftfederung mit adaptiven Dämpfern senkt bei hohem Tempo die Karosserie ab, eine Maßnahme, welche die Umströmung verbessern und die Reichweite erhöhen soll. Dennoch schmilzt sie unter Highspeed im Nu dahin, schnell lassen wir das rasante Fahren sein. Dillberg und Ruine Wolfstein kommen in Sicht, wir wissen, der Autohof Berg bei Neumarkt und somit auch die nächste Schnellladestation sind nicht fern. Der e-tron beherrscht Gleichstrom-Laden mit bis zu 150 kW. Wir docken an. Während ein ob der unerwarteten Beute für seine Kamera hocherfreuter Elektro-Fan den Sportback rundum abfilmt, holen wir uns einen Kaffee und lassen laden. Nach einer halben Stunde sind die elektrischen Reserven wieder zu 80 Prozent aufgefüllt.

An der üblichen öffentlichen Wechselstrom-Säule zieht der e-tron Sportback mit bis zu 11 kW, noch in diesem Jahr wird es optional ein zweites Ladegerät geben für 22 kW.

Kein Fall für den Umweltbonus

Zum Schluss werfen wir noch einen Blick auf die Preisliste. Mindestens 83.150 Euro weist sie für den e-tron Sportback 55 quattro aus, damit ist er kein Fall für die Förderprämie mehr. Wer vom Umweltbonus profitieren will, kann aber auf die "kleine Lösung" zurückgreifen: Diese manifestiert sich im Sportback 50 quattro mit 71-kWh-Akku, 230 kW/313 PS und 347 Kilometern WLTP-Reichweite, ein Gesamtpaket, das auf 71.350 Euro kommt.

Ulla Ellmer

Audi e-tron Sportback in Kürze:

Wann er kommt: Im Mai 2020

Wen er ins Visier nimmt: Mercedes EQC, Jaguar I-Pace

Was ihn antreibt: Zwei Elektromotoren mit 230 kW/313 PS (50 quattro) beziehungsweise 265 kW/360 PS (55 quattro)

Was er kostet: Ab 71.350 Euro (50 quattro) bzw. 83.150 Euro (55 quattro)