Land Rover Defender: Nichts hält ihn auf

9.6.2020, 18:19 Uhr
Land Rover Defender: Nichts hält ihn auf

© Hersteller

Corona hat dem Defender buchstäblich die Show gestohlen. Groß sollte der Aufschlag des neuen Modells sein, Daniel Craig alias James Bond als "Testfahrer" agieren. Rund um den Streifen "Keine Zeit zu sterben" waren schon Werbespots gebucht, Kinovorstellungen geplant und auch abseits des Cineastischem publikumsstarke Events organisiert.

Dann kam das Virus und schickte erst Agent 007 in Kurzarbeit - die Premiere des neuen Films wurde auf November 2020 verschoben. Und auch der Marktstart des Defenders verzögerte sich. Ursprünglich für den 15. April geplant, findet er jetzt am 20. Juni statt.

72 Jahre Defender-Geschichte

Dabei haben die Fangemeinden schon sehnlichst auf die jeweiligen Premieren gewartet. James Bond und den Defender eint der jahrzehntelang gewachsene Status als urbritische Ikonen. Bereits 1948 kam die erste Generation des Gelände-Raubeins auf den Markt, zunächst als Serie I, II und III, ab 1990 dann als Defender. Als die Produktion anno 2016 nach fast 70 Jahren eingestellt wurde, weil die EU-Anforderungen zum Fußgängerschutz nicht mehr eingehalten werden konnten, war das Wehklagen unter den Defender-Getreuen groß.

"Es hat Jahre gedauert, bis wir diese Ikone neu auf den Markt gebracht haben", sagt Jan-Kas van der Stelt, Geschäftsführer von Jaguar Land Rover Deutschland. Und wie das so ist bei automobilen Legenden, bestand bei der Neuauflage das Kunststück darin, die Technologie grundlegend zu modernisieren, ohne gleichzeitig die besorgten Traditionalisten zu verschrecken.

Land Rover Defender: Nichts hält ihn auf

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Der Spagat ist gelungen: Obzwar ersichtlich modernisiert, ist der Defender nach wie vor als solcher zu erkennen. Es bleibt bei der vertrauten Silhouette mit den kurzen Karosserieüberhängen, nur behutsam wurden die Kanten gerundet, noch immer prangt an der seitlich angeschlagenen Hecktür das Reserverad, noch immer gibt es die "Alpine-Fenster" im Dach, noch immer hebt sich dieses farblich ab.

Auch die Inneneinrichtung bleibt klassisch-reduziert, fein und doch funktional, nach fordernden Geländeausflügen einfach zu reinigen und mit Stilelementen wie den frei zutage liegenden Schrauben an den Türverkleidungen versehen.

Auf Distanz zu den SUVs

Die Gattung der SUVs war noch nicht erfunden, als der erste "Landy" 1948 das Licht der Nachkriegswelt erblickte. Und noch heute distanziert sich der Defender ausdrücklich von den Softies unter den Offroadern. Die Karosserie sei zehn Mal steifer als die eines SUVs, lässt ein Firmensprecher wissen, dass die neue Architektur "D7x" heißt ist, kein Zufall, das "x" steht dabei für "extrem". Permanenter Allradantrieb, ein zweistufiges Verteilergetriebe und ein sperrbares Mittendifferenzial sind Ehrensache und immer Standard, optional lässt sich ein Hinterachs-Sperrdifferenzial ordern.

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Dass den Defender II selbst unter extremen Anforderungen kaum etwas aufhalten dürfte im Gelände, lässt sich selbst auf einem Offroad-Parcours wie dem im mittelfränkischen Langenaltheim nur erahnen. Steil bergauf und bergab geht es dort, es gilt Verschränkungspassagen zu nehmen, das Fahrzeug in Schräglage zu bringen und schlammdurchsetzte Wasserlöcher zu durchpflügen. Durchaus anspruchsvoll, aber niemals dazu angetan, den Defender auch nur ansatzweise ernsthaft zu fordern.

Smalltalk statt Schweißperlen

Keine Schweißperlen auf der Stirn also, stattdessen entspannter Smalltalk mit dem Beifahrer, während der Defender unangestrengt das geröllige Gelände durchklettert. Der "Auto"-Modus des "Terrain Response"-Systems passt die Einstellungen selbstständig an den Untergrund an, daneben gibt es verschiedene Spezialprogramme und auch die Möglichkeit einer freien Konfiguration.

Als segensreich erweist sich die Fähigkeit der Kameraaugen, die Motorhaube buchstäblich zu durchblicken und Bilder vom Untergrund auf den Touchscreen am Armaturenträger zu übertragen. Beim Durchqueren von Wasserläufen helfen die Wattiefe von 90 Zentimetern und ein spezifisches Wat-Programm; zudem lässt sich der Defender zu einer Bodenfreiheit von fast 30 Zentimetern hochpumpen, genug, wie es herstellerseitig heißt, um folgenlos über eine aufrecht stehende Weinflasche fahren zu können.

Was aber vor allem auffällt: Der Haudegen hat jetzt auch eine sanfte Seite. Es liegen Welten zwischen dem gnadenlos puristischen Benimm des Vorgängers auf Asphalt und der ungemein komfortablen Vorgehensweise des Nachfolgers, die durchaus Lust auf Langstrecke macht.

Im Defender 110 ist die neue Luftfederung serienmäßig. Die knapp über fünf Meter lange mittelgroße Daseinsform des Briten ist in drei Sitzkonfigurationen erhältlich, entweder als Fünfsitzer, als Sechssitzer mit "Jump Seat" statt einer Mittelkonsole oder als Siebensitzer mit dritter Sitzreihe. Der später im Jahr nachgeschobene dreitürige Defender 90 (4,58 Meter) mit kürzerem Radstand fährt als Sechssitzer vor. Zum Jahresende ist außerdem der nutzfahrzeugartige Defender "Commercial" avisiert. Und 2022 folgt dann wohl die Langversion 130.

Plug-in-Hybrid in Planung

Das Motorenportfolio umfasst vorerst vier Optionen. Benzinerseitig besteht die Wahlmöglichkeit zwischen dem Zweiliter-Vierzylinder mit 221 kW/300 PS im P300 und dem mildhybridisierten Dreiliter-Sechszylinder mit 294 kW/400 PS im P400. In Deutschland dürfte freilich eher der Diesel eine Rolle spielen: Den Zweiliter-Vierzylinder gibt es in den Leistungsstufen 147 kW/200 PS im D200 sowie 177 PS/240 PS, dann im D240. Vermutlich 2021 folgt ein Plug-in-Hybrid.

Trotz der strömungsgünstigen Karosserie (cW-Wert 0,38) muss mit einem gewissen Durst auf Kraftstoff gerechnet werden. Selbst der kleine Diesel verbraucht schon nach Norm 7,5 l/100 km, nach unserer ersten Ausfahrt mit dem gleichermaßen kultivierten wie kraftvollen großen Selbstzünder (Norm ebenfalls 7,5 l) vermeldete der Bordcomputer den zweistelligen Wert von 11,2 l/100 km.

Land Rover Defender: Nichts hält ihn auf

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Auch im digitalen Zeitalter ist der Defender angekommen: Premiere feiert das neue Infotainmentsystem namens "Pivi Pro", das Software-Updates „over the air“ erlaubt, auch ansonsten vielerlei Konnektivitätsfunktionen bietet und sich einfach bedienen lassen soll. Wir neigen dazu, dies als glaubwürdig einzustufen, ohne allerdings bei unserer ersten Bekanntschaft mit dem Defender in die Tiefen von Pivio Pro eintauchen zu können.

Der neue Defender ist fraglos ein exzellentes Fahrzeug geworden, im Gelände nahezu unerreicht souverän, andererseits aber auch auf der Straße von tollem Fahrkomfort. Für den Käufer wird das allerdings teuer. Der Defender 90 startet bei 49.700 Euro, der Defender 110 bei 55.600 Euro. Dabei wird es in den seltensten Fällen bleiben, denn die Liste der Extras ist ellenlang, sie reicht vom Kühlschrank über den Bordkompressor bis hin zur Seilwinde und zum Dachzelt. Das Spezialequipment eines James Bond braucht es da gar nicht, um preislich nahe an die Sechsstelligkeit zu geraten.

Ulla Ellmer

 

Land Rover Defender in Kürze:

Wann er kommt: Beim Händler am 20. Juni

Wen er ins Visier nimmt: Am ehesten die Mercedes G-Klasse, in niedrigeren Preissegmenten Toyota Land Cruiser oder Jeep Wrangler

Was ihn antreibt: Vierzylinder-Benziner mit 221 kW/300 PS, Reihensechszylinder-Benziner mit Mildhybrid-Technologie und 294 kW/400 PS, Vierzylinder-Diesel mit 147 kW/200 PS sowie 177 kW/240 PS

Was er kostet: Defender 90 ab 49.700 Euro, Defender 110 ab 55.600 Euro

Was noch folgt: Plug-in-Hybrid (wahrscheinlich 2021), Langversion 130 (wohl 2022)