Warum Mercedes weiblicher werden will

20.8.2019, 17:36 Uhr
Warum Mercedes weiblicher werden will

© Mercedes

In Graz geht es zur Sache. Draußen vor dem "G-Class Experience Center" kraxelt der unverwüstliche Unimog über den Geländeparcours, ein Männertraum bei der Arbeit. Drinnen tauschen sich indes die Frauen aus. Mercedes hat zum "Female Creators Day" geladen, weibliche Führungskräfte des Hauses berichten hier von ihrem Arbeitsalltag.

Dass sie dies öffentlich tun, hat auch handfeste wirtschaftliche Gründe. Mercedes will weiblicher werden und sich weiblicher präsentieren, denn Frauen gelten als wichtige Zielgruppe. Dabei haben die Schwaben noch Nachholbedarf: In den USA sind schon über 40 Prozent der Mercedes-Kunden weiblich, in China immerhin bereits 30 Prozent. Deutschland hinkt da mit rund 20 Prozent hinterher. Auch auf den Gesamtmarkt bezogen ist noch Luft nach oben, denn längst wird in Deutschland mehr als jeder dritte Neuwagen von einer Frau gekauft.

"Frauen sind das neue China"

Frauen stellen die Hälfte der Weltbevölkerung, ohne sie geht auch im Autogeschäft nichts mehr. "Frauen sind das neue China", hat der damalige Daimler-Chef Dieter Zetsche schon 2015 hellsichtig erkannt; wenn man in der Lage sei, von den weiblichen Kunden genauso zu profitieren wie von den männlichen, sei das Potenzial viel größer als das des Reichs der Mitte.

Warum Mercedes weiblicher werden will

© Mercedes

"Frauen sind die am schnellsten wachsende Kundengruppe der Welt", weiß auch Kerstin Heiligenstetter, speziell Luxusausgaben – also auch die fürs Auto - seien zu mehr als 80 Prozent weiblich beeinflusst. Heiligenstetter leitet die im Jahr 2015 etablierte Initiative "She's Mercedes", eine Plattform, die sich gezielt mit den Anforderungen von Frauen an die Mobilität auseinandersetzt.

Dass Frauen spezielle "Frauenautos" präferieren, hält Kerstin Heiligenstetter für eine Mär: "Die wollen nicht den Kleinwagen in Pink". Andere Kaufpräferenzen als bei den Männern gäbe es aber durchaus, Sicherheit beispielsweise, Design und Funktionalität.  

Mehr Geld in Frauenhand

Dennoch sind es hauptsächlich Klein- und Kleinstwagen, die von Frauen gekauft werden. Das Vergleichsportal Verivox hat für 2018 den Opel Adam als das Auto mit dem höchsten Frauenanteil (65,8 Prozent) identifiziert, gefolgt von Fiat 500 (63,4 Prozent) und Kia Picanto (62,4 Prozent). Also doch die typisch weibliche Vorliebe fürs niedliche Kindchen-Schema? Wohl eher nicht. Häufig fahren Frauen den Zweitwagen in der Familie, noch immer verdienen sie weniger als Männer und können sich die edle Limousine oder das teure SUV schlicht nicht leisten. Doch das dürfte sich ändern: "Seit 2009 ist das Einkommen von Frauen um fünf Billionen Dollar auf 18 Billionen Dollar angestiegen", sagt Kerstin Heiligenstetter.

Auch intern strebt Daimler mit seinen rund 300.000 Beschäftigten aus 120 Nationen ein weiblicheres Profil an. Speziell im achtköpfigen Vorstand sorgen Renata Jungo Brüngger (Integrität und Recht) sowie Britta Seeger (Vertrieb) für einen Frauenanteil von 25 Prozent. Und es sollen ganz generell mehr Frauen auf Führungsebene werden. "Bis 2020 will der Konzern im Management einen Frauenanteil von 20 Prozent erreicht haben", kündigt Dirk Jacobs an, Leiter des Global Diversity Office bei Daimler. Dabei liege man "voll im Plan", bereits heute seien 19 Prozent der leitenden Führungskräfte weiblich.

Vielfalt inspiriert

"Diversity" ist eines der neuen Zauberworte im Arbeitsleben, es geht dabei um eine vielfältige Belegschaft, nicht nur was das Geschlecht betrifft, sondern auch was Alter, Herkunft, Nationalität, sexuelle Orientierung oder die Inklusion von Menschen mit Behinderungen anbelangt. Das Schöne sei, sagt Sabine Scheunert, dass man trotz ganz unterschiedlicher Backgrounds am Ende "immer wieder geeint sei", wenn man sich um die Fragestellungen der zukünftigen Mobilität kümmere: "Dann ist es tatsächlich egal, ob Sie in Peking oder Shanghai, in London oder Paris die gleichen verstopften Straßen vorfinden".

Warum Mercedes weiblicher werden will

© Mercedes

Scheunert steht dem Bereich Digital und IT Marketing & Sales vor, sie schwärmt von den "vielen wunderbar talentierten Frauen" in ihrem Team, deren Anteil liegt bei 35 Prozent. Um weiblichen Nachwuchs für die technischen Studiengänge und Berufe zu begeistern, gilt es freilich Hemmschwellen abzubauen. "Man muss Frauen und Mädchen schon sehr früh adressieren", sagt Sabine Scheunert. Dass es einen "männlichen" und "weiblichen" Blick auf Technologie gibt, glaubt die Managerin nicht. Wohl aber, dass da Unterschiede sind, die Arbeitsabläufe positiv beeinflussen: "Ohne Klischees aufwärmen zu wollen: Frauen neigen dazu, offener für Zusammenarbeit und Teamwork zu sein. Sie haben eine andere Art, Fragen zu stellen, sie bringen Sensibilität sowie Empathie in die Problemlösungsprozesse“.

Warum Mercedes weiblicher werden will

© Mercedes

Mercedes-Frauen der Gründerjahre

Ohne tatkräftige Frauen gäbe es heute womöglich weder die Marke Mercedes noch den Konzern Daimler: Es war Bertha Benz, die 1888 mit ihrer mutigen 100-Kilometer-Fahrt von Mannheim nach Pforzheim bewies, dass die Erfindung ihres Mannes Carl funktionierte. Es war Lina Daimler, die den herzkranken Gottlieb pflegte und ihm seine Tatkraft bewahrte. Und es war Mercedes Jellinek, Tochter des österreichischen Kaufmanns Emil Jellinek, auf deren Vornamen anno 1902 das Warenzeichen "Mércèdes" angemeldet worden ist.

Ulla Ellmer

Keine Kommentare