Rentenantrag abgelehnt: Video chronisch kranker Nürnbergerin geht viral

14.4.2020, 22:34 Uhr

Sarah Bärschneiders Krankheitsgeschichte begann mit einer Blinddarmentzündung, als sie acht Jahre alt war. Es folgten ein Ärztemarathon, mehrere Operationen und Darmverschlüsse. 2018 musste ihr ein Großteil des Darms entfernt werden. Seitdem ist die 25-Jährige regelmäßig auf Infusionen angewiesen, die sie sich über einen zentralen Zugang unterhalb ihres Schlüsselbeins legen muss.

Beim Kurzdarmsyndrom ist ein durchstrukturierter Tagesablauf Pflicht. Alle vier Stunden muss sie etwas essen und darf nur maximal eineinhalb Liter trinken. Müdigkeit, Übelkeit, Gewichtsverlust - an schlechten Tagen hat sie Schwierigkeiten, in den dritten Stock zu ihrer Wohnung zu kommen.

Obwohl viele Betroffene mit dem Kurzdarmsyndrom nicht mehr arbeiten, kämpfte sie sich zurück ins Leben. Im August 2019 begann sie ihre Wiedereingliederung, seitdem arbeitet die Kinderkrankenschwester fünfzig Prozent auf einer Intensivstation für Frühgeborene.


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Im vergangenen August stellte sie einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Laut eines medizinischen Gutachtens steht Bärschneider bei ihrer Krankheitsgeschichte eine volle Erwerbsminderungsrente zu. Da sie weiterhin ihren Beruf ausüben wollte, entschied sie sich für die teilweise Erwerbsminderungsrente. "Ich wollte mir das Arbeiten nicht nehmen lassen, nicht in meinem Alter", sagt sie. An vier Tagen der Woche arbeitet sie für viereinhalb Stunden, teilweise unter Schmerzen, seit Beginn der Corona-Pandemie sogar unter erhöhtem Infektionsrisiko. Doch sie macht weiter, weil es ihr gut tut und sie ablenkt, sagt sie. Außerdem komme ihr Arbeitgeber ihr sehr entgegen. "Ich muss nicht mehr im Schichtdienst arbeiten und kann immer eine Pause einlegen, wenn ich eine brauche", erzählt sie.


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1100 Euro netto verdient sie derzeit. Zu wenig, um neben der Miete für ihre Wohnung auch ihre Medikamente und die teuren Infusionen bezahlen zu können. Eine teilweise Erwerbsminderungsrente würde ihre finanziellen Sorgen ein Stück weit nehmen, dachte sie.

Letzte Woche kam die Antwort der Rentenversicherung - die Erwerbsminderung werde ihr zwar anerkannt, allerdings bekomme sie keine Rente ausgezahlt, "weil ich die Voraussetzungen dafür nicht erfülle", so Bärschneider. Ein Urteil, das sie fassungslos und wütend macht - denn es fehlen ihr nur zwei Monate der Wartezeit.

Das System der Erwerbsminderungsrente ist kompliziert. Für eine teilweise Erwerbsminderungsrente müssen Betroffene 60 beitragspflichtige Monate einbringen, damit ihnen die Zahlungen zustehen - Sarah Bärschneider kommt auf 58. Dabei zahlte sie bis zum heutigen Tag sogar 78 Monate ein. Doch vom Stichtag der Erwerbsminderung im Juli 2018, an dem sie krank wurde und von dem aus die Beitragszahlungen zurück gezählt wurden, sind es nur 58 Monate, die sie in die Rentenversicherung einzahlte. "Wäre ich zwei Monate später krank geworden, hätte ich dieses Problem nicht", sagt sie. Ausnahmen gibt es zwar, die würden aber nur greifen, wenn sie sich für eine volle Erwerbsminderungsrente entschieden hätte. "Das Sozialsystem ist für junge, arbeitswillige, chronisch kranke Menschen unfair", sagt sie.

"Ich werde also dafür bestraft, dass ich arbeiten möchte", sagt Bärschneider. Sie entschied sich bewusst gegen eine volle Erwerbsminderungsrente, denn dann könnte sie ihrem Job nur auf 450-Euro-Basis nachgehen. "Ich möchte nicht auf dem Sofa sitzen. Ich brauche einen geregelten Alltag um gesund zu bleiben", sagt sie. Die Entscheidung der Rentenversicherung kann sie nicht verstehen. Ein Anruf dort brachte keine weitere Klärung. "Die Mitarbeitern meinte, sie können in meinem Fall nichts machen, so sei das Gesetz", erzählt Bärschneider.

Auf ihrer Facebook- und Instagram-Seite teilte daraufhin ein emotionales Video, in der sie ihre Lage schilderte und das seine Wirkung nicht verfehlte. Nach gut einer Woche sahen es bereits über 100.000 Menschen, über 5500 Mal wurde es geteilt, unter anderem von Comedian Enissa Amani und Jennifer Weist, Frontfrau der Band Jennifer Rostock, die ihre Hilfe anboten.

Die Idee zum Video kam ihr spontan. "Ich konnte nicht weiter meinen Mund halten", sagt sie. Die Reichweite des Videos überrascht sie. Es zeigt eines: Alleine ist Bärschneider nicht. Neben unzähligen aufmunternden Nachrichten meldeten sich auch viele Menschen mit ähnlichem Schicksal und Erfahrungen.

Ihr Wunsch ist es, dass das Video bis in die Politik vordringt. "Ich möchte verstehen, warum dieses Gesetz erlassen wurde und die Ausnahmeregelungen nur für die volle Erwerbsminderungsrente gelten, jedoch nicht für die teilweise", sagt sie. "Ich möchte nicht zuhause rumsitzen. Die Politiker sollen sehen, was dieses Gesetz für Auswirkungen hat". Sie hat sich bereits Hilfe von einem Fachanwalt für Sozialrecht geholt und Widerspruch bei der Rentenversicherung eingelegt. "Ich habe schon für so vieles gekämpft, das werde ich jetzt erst recht tun", sagt sie.

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