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Hilfe, mein Kind schaut Pornos! Wie Eltern reagieren sollten

11.9.2021, 19:10 Uhr
Pornokonsum findet immer öfter auf dem Smartphone oder Tablett statt.

© Silas Stein/dpa Pornokonsum findet immer öfter auf dem Smartphone oder Tablett statt.

Am Abend sitzt Julian (15 Jahre) vor dem Computer in seinem Zimmer. Erst vorhin hat ihm Kumpel Marc einen Link geschickt, den er ausprobieren solle, wenn er alleine ist. Julian landet auf einer Seite mit erotischen Videos, er sieht nackte Frauen, steife Penisse und wild kopulierende Paare. Das erregt ihn, er fasst sich selbst zwischen die Beine. Plötzlich geht die Tür auf - seine Mutter steht in der Tür.

In dieser Situation würde Medienpädagogie Klaus Lutz der Mutter raten, das Zimmer sofort wieder zu verlassen. Julian fühle sich ertappt und peinlich berührt. Von der Mutter wäre es absolut falsch, nun Streit oder Widerstand aufzubauen. "Ich würde dem Jungen die Chance geben, diese sexuelle Erfahrung selbst zu beenden und anschließend den Dialog mit ihm suchen", erklärt Lutz, der in Fürth lebt und für das Nürnberger Medienzentrum Parabol arbeitet.

Das Internet spielt beim Entdecken der eigenen Sexualität eine wichtige Rolle. Das bestätigt eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem vergangenen Jahr: 56 Prozent der Mädchen und 62 Prozent der Jungen gaben an, sie hätten ihr Wissen über Körper, Verhütung und Sexualität aus dem Netz. Wie Lutz erklärt, erhoffen sich Jugendliche von dort vor allem praktische Anleitungen für sexuelle Handlungen. Die Aufklärung in Schule oder Elternhaus konzentriere sich hingegen häufig auf biologische Aspekte. Da blieben für viele Jugendliche eben Fragen offen, nach deren Antworten sie im Internet suchen. Dabei stoßen sie oft auf Pornos.

Fragwürdige Produktionsbedingungen

Das Problem dabei: In Pornos werden Kinder und Jugendliche mit heftigen Szenen konfrontiert. "Es gibt im Internet kaum Pornos, die ein reales Bild von Sex wiedergeben", sagt Professor Gunther Moll, Leiter der Kinderpsychiatrie in Erlangen. Pornografische Inhalte würde er zur sexuellen Aufklärung nicht empfehlen. Sie vermitteln oft ein frauenfeindliches Bild, nämlich, dass die Frau jederzeit die Beine breit zu machen habe. Außerdem seien die Produktionsbedingungen der Filme in vielen Fällen fragwürdig.

Auch aus medizinischer Sicht hat Moll Einwände gegen den Pornokonsum von Jugendlichen im Internet. "Sexualität ist ein Grundbedürfnis des Menschen, dessen Ausführung und Befriedigung wir erst erlernen müssen", erklärt er. Das passiere von klein auf, durch Nacktheit beispielsweise. Erste Erfahrungen im Bereich der Sexualität müsse man behutsam sammeln. "Beim Porno hingegen drücke ich auf zwei Knöpfe und habe alles an sexuellen Darstellungen, was es gibt."


Smartphone bringt Gewalt und Pornografie ins Kinderzimmer


Das aktive Erfahren von Sexualität bleibe beim Pornokonsum aus, erklärt Moll. Nur beim Sex mit dem Partner oder der Partnerin habe man die Möglichkeit, sich zu berühren und zu sagen, was man wolle und was nicht. Diese Offenheit müsse man sich gegenseitig beibringen. Auch Fantasie sei besonders wichtig, um guten Sex zu haben. Pornos bieten diese Möglichkeiten nicht. "Es ist ein Unterschied, ob Sie einen Baukasten haben oder mit einem Fertigspielzeug spielen."

Auf der Suche nach sexueller Orientierung seien Eltern ein wichtiges Vorbild. "Sie müssen vor ihren Kindern Zärtlichkeiten austauschen, schmusen, sich vielleicht auch einen liebevollen Klapps auf den Po geben", erklärt Moll. Dadurch erlernen Kinder Intimität und wie wichtig es ist, behutsam und liebevoll zu sein - sowie Geduld zu haben.

Ungewollte Konfrontation

Auf Behutsamkeit wird in Pornos selten geachtet. Das kann Kinder verstören. Immer früher werden sie mit sexuellen Inhalten im Internet konfrontiert, im Durchschnitt sind sie dabei 14,2 Jahre alt. Das belegt eine Studie der Universitäten Münster und Hohenheim aus dem Jahr 2017. Sie zeigt auch, dass 50 Prozent der jungen Nutzer ungewollt auf sexuelle Inhalte stoßen. Das deckt sich mit den Erfahrungen von Medienpädagoge Klaus Lutz. Erst ab der Pubertät würden Jugendliche bewusst nach Pornografie suchen.

Ähnlich wie in Julians Fall machen sich Jugendliche oft untereinander auf sexuelle Inhalte aufmerksam. In 40 Prozent der Fälle schauen sie Pornos sogar gemeinsam, wie die Studie von 2017 zeigt. Das verwundert Klaus Lutz nicht. In dem Alter finde der Austausch vor allem unter Gleichaltrigen (Peergroup) statt. "Viele Jugendliche haben keine Lust, dass die Eltern ihren Pornokonsum mitbekommen."

Früh Offenheit zeigen

Wie können Eltern frühzeitig Einfluss auf ihre Kinder nehmen? Eine drastische Variante: technische Hürden aufbauen. Jugendschutz-Einstellungen und -Apps empfiehlt Lutz für Kinder bis zu 12 Jahren. Bei Jugendlichen bringe das kaum etwas, denn die wüssten die Sperren zu umgehen. Lutz rät deshalb, Kinder früh beim Surfen zu begleiten und aufzuklären. Wichtig sei außerdem eine vertrauensvolle und offene Erziehung. Sex und Selbstbefriedigung sollten nie Tabuthemen sein. Deshalb sollten Eltern niemals die Moralkeule schwingen, wenn sie ihre Kinder beim Pornokonsum überraschen.

Fernab von Pornos können bestimmte Medieninhalte bei der sexuellen Aufklärung durchaus helfen. Lutz rät Eltern, sich zu informieren und ihren Jugendlichen passende Inhalte zu empfehlen. "Vielleicht lassen die Kinder sogar zu, dass man diese gemeinsam schaut", sagt der Medienexperte. Er empfiehlt den YouTube-Kanal "61MinutenSex".

Konsumiert das eigene Kind bereits Pornos, sollten Mütter und Väter auf Alarmsignale achten. Gunter Moll erklärt: "Sex kann wie alle Grundbedürfnisse zur Sucht werden." Er rät Eltern, einen Verdacht auf Pornosucht ganz offen anzusprechen. Damit es nicht so weit kommt, sollten Eltern auf soziale Kontakte ihrer Kinder achten. Auch Vereine und Sport können vor einer Pornosucht schützen. "Die Gefahr liegt in der virtuellen Welt, im echten Leben gibt es das Korrektiv der Gruppe und Gemeinschaft."

Eine Übersicht zu Beratungsstellen bei Pornosucht finden Sie hier. Weiter Informationen zum Thema Pornokonsum und wie Sie mit Ihrem Kindern darüber sprechen können, finden Sie hier.

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