"Diego Maradona": Diego gegen Maradona

5.9.2019, 08:00 Uhr

© Alfredo Capozzi/DCM/dpa

Dass er es tatsächlich gemacht hat, weiß man nur, weil er es in einem Podcast der BBC erzählt hat. Und dass man in "Diego Maradona" keine einzige Szene aus diesen Interviews sieht, die Kapadia mit dem alternden Argentinier in Dubai geführt hat, ist einer der vielen Gründe, warum dieser Film so großartig geworden ist.

500 Stunden Videomaterial soll es von Maradona geben. 500 Stunden aus seiner Zeit in Neapel, als ihn zwei argentinische Kameraleute überallhin verfolgen durften, in die Katakomben des Stadio San Paolo, auf die Partys mit Carmine Giuliano, jenem Sprössling eines Camorra-Clans, der Maradona mit Kokain versorgte, auf die Kunststoffbahn mit seinem Fernando Signorini, seinem Fitnesstrainer und Freund.

Kapadia hatte von diesem einzigartigen Material erfahren und das Glück, dass Maradona seine Dokumentation über den Rennfahrer (Ayrton) "Senna" gefallen hatte und der Oscar für seinen Film über "Amy" (Winehouse) ihm die finanziellen Möglichkeiten gab, sich einem solch ambitionierten Projekt zu widmen. Kapadia unterhielt sich mit Maradona, mit Claudia Villafañe, dessen Jugendliebe und Ex-Frau, mit Journalisten und Mitspielern und mit Signorini, der aus dem Off den einprägsamsten Text beiträgt: "Mit Diego gehe ich bis ans Ende der Welt, mit Maradona keinen Schritt."

Der Collage von Kapadia folgt man vom ersten Bild an, der rasanten Verfolgung eines Fiats durch Neapel. Man sieht Maradona im Endspiel der Copa del Rey im Furor auf Gegner eintreten, es sind seine letzten Szenen im Trikot des FC Barcelona.

Man sieht ihn als 15-Jährigen in einer Villa Miseria am Rand von Buenos Aires dribbeln und bei seiner ersten Pressekonferenz als Spieler der bettelarmen SSC Neapel. Ob Maradona denn wisse, was die Camorra sei und dass sie in Neapel auch den Fußball bezahle, wurde er gefragt, sein Staunen darüber war das eines Kindes – dann wurde der Journalist vom Präsidenten hinausgeschmissen.

Man sieht immer wieder, wie ihm im harten italienischen Fußball zugesetzt wurde, wie er getreten und geschlagen wurde und sich doch stets wieder aufrappelte. Und man versteht, warum dieser Mann, der leider seit Jahren nurmehr als Karikatur eines gefallenen Helden auftritt, noch heute verehrt wird, warum sie noch immer singen: "Ho visto Maradona?" Hast du Maradona gesehen?

Dass die Doku fast ausschließlich die Phase zeigt, in der sich der charismatische und liebenswerte Diego zu Maradona entwickelte, dem drogenabhängigen Fußballer, der sie alle liebt, Claudia und Cristiana und das Pin-up über seinem Bett im Trainingslager der argentinischen Nationalmannschaft, und der allmählich die Kontrolle über sein Leben verliert, das ist die große Qualität dieses Films. Die Bilder sind grobkörnig und alt, was Kapadia daraus gemacht hat, ist spektakulär und modern und erinnert nicht nur einmal an die famose Netflix-Serie "Narcos".

Vor seinem Absturz führte Diego die SSC Neapel zu ihrem ersten Titel. "Ihr wisst ja nicht, was ihr verpasst", schrieben sie danach an die Mauern des städtischen Friedhofs. Das gilt auch für diesen Film. (GB/130 Min.)

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