Generation Tinder

Kino über weibliche Lust: "Wo in Paris die Sonne aufgeht"

7.4.2022, 10:55 Uhr
Der attraktive Französischlehrer Camille (Makita Samba) hat leichtes Spiel bei Emilie (Lucie Zhang, li.) und Nora (Noémie Merlant) – zumindest am Anfang. Szene aus Jacques Audiards neuem Film "Wo in Paris die Sonne aufgeht".

© Neue Visionen Filmverleih/dpa Der attraktive Französischlehrer Camille (Makita Samba) hat leichtes Spiel bei Emilie (Lucie Zhang, li.) und Nora (Noémie Merlant) – zumindest am Anfang. Szene aus Jacques Audiards neuem Film "Wo in Paris die Sonne aufgeht".

Camille gleicht seinen Frust als Gymnasiallehrer durch intensiven Sex aus. Emilie (Lucie Zhang), die ihr Studium der Politikwissenschaften geschmissen hat, arbeitet in einem Call-Center und hat schnelle One-Night-Stands. Nora (Noémi Merlant) hat ihren Job in der Provinz als Immobilienmaklerin aufgegeben und will in Paris ihr Jura-Studium wieder aufnehmen. Und Amber Sweet (Jehnny Beth) bietet im Internet erotische Dienstleistungen an.

In "Wo in Paris die Sonne aufgeht" erzählt Jacques Audiard die Geschichte von Mittdreißigern, deren Wege sich im wenig glamourösen 13. Arrondissement kreuzen. Sie werden Freunde oder Liebhaber, und manchmal sogar beides.

Auf der Suche nach Liebe

Der französische Regisseur ist bekannt dafür, dass er sich gern neu erfindet. Nach seinem Western "The Sisters Brothers" und dem Flüchtlingsdrama "Dämonen und Wunder" erzählt er nun die Geschichte junger Erwachsener, die zwischen Fragen sexueller Orientierung in Zeiten von Dating-Apps auf der Suche nach Liebe sind – und vor allem nach sich selbst.

Emilie ist Chinesin. Zu ihrer Familie hat sie kaum Kontakt. Weil sie ihren Job im Call-Center verliert, sucht sie jemanden, der mit ihr die Wohnung teilt. Auf ihre Anzeige meldet sich der attraktive Camille (Makita Samba). Er ist ein gefrusteter Gymnasiallehrer, der keine feste Beziehung will, sondern nur unkomplizierten Sex.

Kaum, dass er sich vorgestellt hat, wird er zu Emilies Liebhaber und zieht bei ihr ein. Doch ebenso schnell zieht er wieder aus. Denn Emilie beginnt, eifersüchtig auf seine neuen Bettbekanntschaften zu reagieren, darunter auch Nora. Mit Anfang 30 ist sie aus der Provinz nach Paris gekommen, um ihr Jura-Studium wieder aufzunehmen, nachdem sie jahrelang als Immobilienhändlerin für ihren Onkel tätig war.

Als Hure gemobbt

Doch ihren Jura-Traum muss sie bald aufgeben. Bei einer Party wird sie mit ihrer blonden Perücke mit dem Camgirl Amber Sweet verwechselt. Sie willigt in ein Selfie ein, das in den sozialen Medien die Runde macht. An der Uni wird sie als Hure verschrien und gemobbt. Nora nimmt über das Internet Kontakt zu Amber auf. Zwischen beiden beginnt ein Online-Dialog – und eine lesbische Liebe.

Wechselnde Jobs, Mobbing und Einsamkeit: Audiard zeichnet das Porträt einer Generation, die mit traditionellen Codes bricht und nach anderen Formen von Beziehung und Liebe sucht. Der Film basiert auf drei Comics des bekannten New Yorker Autors Adrian Tomines.

Bislang tendierte Audiard zu männlichen Filmhelden. Diesmal schrieb er das Drehbuch zusammen mit Léa Mysius ("Ava") und Céline Sciamma, deren feministischer Kostümfilm "Porträt einer jungen Frau in Flammen" über die Liebe zweier Frauen im 18. Jahrhundert mehrfach ausgezeichnet wurde.

Ihr Einfluss ist deutlich zu erkennen. "Wo in Paris die Sonne aufgeht" ist weit entfernt von den normalerweise mit Gewalt aufgeladenen Werken Jacques Audiards. Diesmal verblüfft der Franzose durch den Humor und die Leichtigkeit, mit der er das unstete Liebesleben der Generation Tinder in Szene setzt. (105 Min.)

In diesen Kinos läuft der Film.

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