"Lieber Thomas"

Neu im Kino: Der große Poet Thomas Brasch lebte kompromisslos

11.11.2021, 13:27 Uhr
Immer auf der Suche nach dem Überschäumenden: Albrecht Schuch als Thomas Brasch.

© Peter Hartwig/Wild Bunch Immer auf der Suche nach dem Überschäumenden: Albrecht Schuch als Thomas Brasch.

Thomas Brasch war ein Dagegen-Schreiber. Ein Radikaler, der sich mit dem Gewöhnlichen nicht zufrieden gab und ständig das Neue ersehnte. "Hier wird Brot nicht mit dem Messer geschnitten, sondern mit dem Beil abgehauen." Bereits im Vorwort seiner einzigen in der DDR veröffentlichten Gedichtsammlung "Poesie-album 89" zeigt sich die maßlose Wucht des deutsch-deutschen Dichters Thomas Brasch.

Fulminantes Schwarz-Weiß-Biopic

20 Jahre nach dessen Tod kommt nun mit "Lieber Thomas" ein fulminantes Schwarz-Weiß-Biopic ins Kino – angelehnt an das Leben des Schriftstellers, Drehbuchautors, Übersetzers und Regisseurs. Albrecht Schuch, der jüngst glänzende Rollen in "Fabian" oder "Schachnovelle" hatte, zeigt den rebellischen Dichter mit heftiger Verve.

Als erdenden Gegenpol spielt Jella Haase ("Fack ju Göhte") mit wunderbarer Ursprünglichkeit seine Partnerin Katarina (im wahren Leben die Schauspielerin Katharina Thalbach).

Der 1945 in England als ältester Sohn jüdischer Eltern geborene Brasch ist einer, der stets aneckt. Während sein Vater (im Film: Jörg Schüttauf) in der DDR Karriere macht, gerät der Sohn ins Visier der Stasi. Die Mutter (Anja Schneider) verkümmert derweil in der Berliner Plattenbauwohnung an der Kleinheit des sozialistischen Staates. "Die Welt ändert sich, aber nicht, wenn man sich damit zufrieden gibt", sagt Brasch. Das Verhältnis zum Vater ist zeitlebens zerrüttet.

Mit der Filterlosen im Mundwinkel und offenen, zuweilen manischen Augen spielt Schuch seinen Brasch als einen wahrhaft Besessenen. Als einen Unbeugsamen, der das Überschäumende sucht – in der Literatur, in der Liebe, im Leben.

"Man darf das Publikum nicht langweilen, man muss es mit der Axt erwecken", sagt er. Weil sein Buch "Vor den Vätern sterben die Söhne" in der DDR nicht erscheinen kann, reisen Thomas, Katarina und deren Tochter 1976 nach West-Berlin aus.

"Abschied von morgen, Ankunft gestern, das ist der deutsche Traum", sagt Brasch dort. Das Koks zieht er sich durch einen 100-Mark-Schein mit dem Konterfei von Karl Marx. Im Wechselspiel aus Literaturbetrieb und Schreibarbeit findet der Dichter jedoch auch im Westen keine Erfüllung.

Ein Getriebener

Unterbrochen wird die Handlung von Traumsequenzen, in die sich teils Motive aus Braschs Werken wie dem Film "Engel aus Eisen" oder der Geschichte vom "Mädchenmörder Brunke" flechten. Was ist real, was passiert im Kopf? "Lieber Thomas" nimmt sich viele Freiheiten heraus und folgt nicht starr der gesicherten Biografie.

Die Kamera bleibt nah an den Protagonisten. Mit unterlegten Jazz-Variationen fängt Regisseur Andreas Kleinert ("Tatort") die Stimmung eindrucksvoll ein. Immer wieder werden Brocken aus Braschs Gedichten rezitiert. Sie zeigen, welch bedeutender Schriftsteller er bis heute ist. Mit "Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin" endet eines davon. Bis zum Ende bleibt er ein Getriebener. (150 Min.)


Andreas Kleinert und Drehbuch-Autor Thomas Wendrich kommen am Freitag zum Filmgespräch ins Nürnberger Casablanca und am Samstag in die Erlanger Lamm-Lichtspiele (jeweils nach der 19.30 Uhr-Vorführung). Die Moderation im Casablanca hat Katharina Erlenwein vom Literaturhaus Nürnberg.

In diesen Kinos läuft der Film.

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