"Nur eine Frau": Ohne Recht auf ein eigenes Leben

9.5.2019, 08:00 Uhr

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"Danach feiern alle, dass ich den Besitzer wechsle", kommentiert die Erzählerstimme lakonisch aus dem Off. Sieben Jahre später wird Aynur auf offener Straße in Berlin von ihrem jüngsten Bruder erschossen, weil sie vor ihrem gewalttätigen Ehemann zurück nach Deutschland geflohen ist, weil sie ein freies, selbstbestimmtes Leben führen wollte und damit Schande über ihre Familie brachte.

Der Mord an der 23-Jährigen sorgte 2005 für ein enormes Medienecho. Um die Ereignisse, die dazu führten, zu rekapitulieren, verleiht Regisseurin Sherry Hormann der Toten selbst eine Stimme. "Nur eine Frau" nimmt die fiktive Sicht Aynurs ein und gibt ganz sachlich und ohne Pathos erschütternde Einblicke in archaische Strukturen, die Männern alles erlauben und Frauen nichts.

Als Aynur ein Jahr nach der Heirat vor der Hölle, die ihre Ehe ist, hochschwanger zu ihrer Familie flieht, empfängt sie kein Mitgefühl. Die Mutter, mehr noch als der schweigsame Vater, und die Brüder sehen die Ehre der Familie beschmutzt. Ihr Alltag besteht fortan aus Beten und niederen Haushaltsarbeiten. Mit ihren drei Schwestern muss sie sich ein Zimmer teilen. Als das Baby zur Welt kommt, wird die beengte Situation unerträglich und Aynur mit dem Kind in die Abstellkammer verbannt. Eine Gefangene im Haus ihrer Eltern ohne Rechte, die in höchster Not schließlich den Schritt nach draußen wagt.

Mit Hilfe des Jugendamts findet sie eine eigene Wohnung, jobbt im Supermarkt, macht die Schule zuende und beginnt eine Lehre als Elektroinstallateurin. Eine neue Freundin, mit der sie zum ersten Mal in ihrem Leben tanzen geht, ermutigt sie, das Kopftuch abzulegen. Dann verliebt sich in einen Deutschen. Für ihre Brüder ist Aynur nun endgültig die Hure, am Telefon wird sie von ihnen wüst beschimpft und mit Mord bedroht.

Ihr ältester Bruder Aram, der einzige, der zu ihr hält, rät ihr dringend, zu ihm nach Köln zu kommen. Doch das will Aynur nicht. Sie liebt ihre Familie trotz alle, besucht sie immer wieder, auch wenn ihr dort die bitteren Vorwürfe der Mutter und die Wut der Brüder entgegenschlagen.

Gemeinsam mit Drehbuchautor Florian Oeller und Produzentin Sandra Maischberger hat Sherry Hormann ihren Film auf Gerichtsakten und Gutachten sowie journalistischen Recherchen zum Fall Sürücü aufgebaut. Neben Homevideos der echten Aynur und Dokumaterial werden als Texttafeln die sechs Vergehen eingeblendet, die laut Bundeskriminalamt von sogenannten "Ehrenmördern" als todeswürdig erachtet werden. Demnach, so Aynur aus dem Off, habe sie sich mehrfach schuldig gemacht – weil sie die Trennung von ihrem Mann anstrebte, weil sie einen Beruf ergriff und damit seine Ernährerrolle in Frage stellte.

Es ist ein archaischer, frauenverachtender "Ehrenkodex", in dem vor allem Aynurs Brüder Sinan und Nuri von einem Hassprediger bestärkt werden. In seinen Sitzungen wird deutlich, wie unter dem Deckmantel der Religion eine Radikalisierung stattfindet, die vor Mord und Terror nicht zurückschreckt.

Was der Film aber auch offenlegt: Wie die Frauen das patriarchale System stützen, das sie zu Unmündigen macht. Die selbständige, lebensfrohe Aynur war nicht nur für die Männer in ihrer Familie eine Demütigung und Provokation. Ihr Schicksal steht beispielhaft für jährlich rund 5000 Frauen, die Opfer von "Ehrenmorden" werden. Shermann gelingt es mit ihrer wunderbar unkonventionellen Inszenierung und den großartigen Schauspielern – allen voran Almila Bagriacik – nachhaltig, an sie zu erinnern. (D/90 Min.)

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