"Synonymes": Vergebliche Suche nach einem neuen Leben

5.9.2019, 08:00 Uhr

© Grandfilm

Kurz nach der Ankunft, als er in eine leere Wohnung eindringt und sich unter der Dusche aufwärmt, werden ihm seine wenigen Habseligkeiten gestohlen. Splitternackt läuft er durch das Haus, erfriert fast und wird von einem jungen Pärchen – Emile und Caroline (Quentin Dolmaire, Louise Chevillotte) – gerettet. Emile versorgt ihn mit neuen Klamotten, einem Handy und einem Bündel Geld (der Industriellen-Papa macht’s möglich) und lädt ihn ein, bei den beiden zu wohnen.

Doch Yoav sucht sich lieber eine schäbige Absteige, wo er sich jeden Tag das gleiche billige Essen kocht. Trotzdem bleiben Emile und Caroline seine Begleiter. Sie lauschen fasziniert seinen erfundenen und seinen wahren tragischen Geschichten, mit denen er Emile das Material liefert, das dem mondänen Möchtegernschriftsteller selbst nicht einfällt. "Die Langeweile ist meine Basis", gesteht der einmal.

Regisseur Nadav Lapid hat in seinen bitter-melancholischen, auch provokanten Film "Synonymes", dem diesjährigen Berlinale-Gewinner, viel von seiner eigenen Geschichte einfließen lassen, von der Unmöglichkeit, seine Wurzeln auszureißen. Je mehr Yoav spürt, wie fremd ihm das andere Land ist, je einsamer er sich fühlt, desto wütender und radikaler verhält er sich.

Einen Job beim Sicherheitsdienst der israelischen Botschaft ist er wieder los, als er die im Regen ausharrende Warteschlange eigenmächtig hereinlässt. Eine zeitlang zieht er mit einem Kollegen durch die Gegend, der die Menschen in der Metro aggressiv mit seinem Jüdischsein konfrontiert. Im Integrationsunterricht werden den Teilnehmern die Werte Frankreichs eher eingebläut als verständlich gemacht. In der verstörendsten Szene fordert ein Fetischfotograf den nackten Yoav auf, sich einen Finger in den Anus zu stecken.

Nicht alles erschließt sich dem Zuschauer, auch warum Yoav aus Israel weg wollte, bleibt unklar. Doch wenn er ziellos durch die Straßen läuft, sich die französischen Vokabeln einhämmert und die wacklige Kamera seinen subjektiven, zu Boden gerichteten Blick einnimmt, wird die Zerrissenheit eines Menschen spürbar, der etwas sucht, von dem er selbst nicht weiß, was es ist. Am Ende aber weiß Yoav, dem Tom Mercier in einer Mischung aus Trotz und Verletzlichkeit eine große Intensität verleiht, dass er es nicht finden wird. (F/IL/D/123 Min.)

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