Wie früher analog

Trend: Deshalb fotografieren viele junge Menschen wieder mit Film

26.7.2021, 11:05 Uhr
Nürnberg und seine Menschen fotografiert der Student David Schaller (links im Selbstporträt) am liebsten mit einer Spiegelreflexkamera. Mit seiner Passion ist er in seiner Generation keine Ausnahme.

© David Schaller Nürnberg und seine Menschen fotografiert der Student David Schaller (links im Selbstporträt) am liebsten mit einer Spiegelreflexkamera. Mit seiner Passion ist er in seiner Generation keine Ausnahme.

Auch wenn es nur für eine kurze Zeit ist: Menschen nutzen immer häufiger Möglichkeiten, aus ihrer digitalisierten Welt auszubrechen. Eine Untersuchung des Wiener Instituts für Jugendkulturforschung zeigte, dass vor allem auch junge Menschen zwischen 16 und 29 Jahren nach über eineinhalb Jahren Pandemie erst einmal genug vom Digitalen haben und in ihrer Freizeit die Flucht ins Analoge ergreifen.

Dass heute immer mehr junge Menschen die aufwändigere Analogfotografie der schnellen Digitalfotografie vorziehen, hält Basem Soliman für eine spannende Entwicklung: "Ich glaube, das ist eine bewusste gesellschaftliche Gegenbewegung." Er selbst arbeitet in der IT-Branche. Seine Leidenschaft, die Filmfotografie, wirkt auf ihn entschleunigend. "Heutzutage geht alles nur noch schnell." Es herrsche ein Zustand der sogenannten "instant appreciation": Wertschätzung erhält vor allem das, was sofort und ohne große Mühe zur Verfügung steht. Das aber nerve immer mehr Menschen.

Vor drei Jahren gründete Soliman das Analog:Kollektiv, eine Community speziell für junge Menschen, die sich für Filmfotografie interessieren. Der 34-Jährige gehört zu jener Generation, die die letzten Jahre der analogen Fotografie noch aktiv miterlebt hat. Für die Mehrheit der über 2000 Mitglieder des Kollektivs ist es aber genau andersherum: Aufgewachsen mit der digitalen Fotografie, fanden sie erst später zur analogen.

Von der Einweg- zur Spiegelreflexkamera

So auch David Schaller. Neben seiner ersten Digitalkamera reihen sich heute auch einige Analogkameras. Zur Filmfotografie fand der Design-Student aus Nürnberg über den heute üblichen Weg: Die ersten Probeschüsse mit einer Einwegkamera aus der Drogerie gemacht, dann mit der einfachen Point-and-Shoot-Kamera – wie sie in jedem Haushalt der 90er-Jahre zu finden war – auf den Geschmack des Film-Charmes gekommen und schließlich bei einer analogen Spiegelreflexkamera gelandet.

Dann aber heißt es erst einmal: sich gründlich einlesen. Denn diese übernimmt das Vordenken nicht für ihren Fotografen. Was ist eine Blende, was eine Brennweite? Wie wähle ich die richtige Belichtungszeit? – Fragen, die sich ein Anfänger erst einmal stellen muss. "Der Prozess, der dahintersteckt, macht das Ganze einfach spannend. Du musst viel ausprobieren und hast auch nicht immer die Sicherheit, dass die Technik dich hinterher rettet, und arbeitest daher gleich viel bedachter", erklärt Schaller.

Für die Analogfotografie nimmt man sich also Zeit. Die aber ist heutzutage für viele ein knappes Gut. Man tut es aber für sich selbst, findet der junge Nürnberger.

Das Physische wird zelebriert

Den aktuellen Trend der Filmfotografie vergleicht Soliman mit der Rückkehr der Schallplatte. Auch die analoge Musik erlebt ein Revival. Immer mehr Alben werden wieder auch auf Vinyl veröffentlicht. "Die Leute wollen auf etwas Physisches zurückgreifen und sich aktiv darauf einlassen." Nicht nur auf einen Musiktitel in einer unendlich langen Liste tippen, sondern die Platte aus dem Regal ziehen, auflegen und dem Knistern nach dem Aufsetzen der Nadel zuhören.

Bei der Fotografie ist es ähnlich: Statt in wenigen Sekunden Hunderte Fotos zu machen und sie im nächsten Moment auf dem Monitor zu betrachten, geht es darum, den Film einzulegen und vor jedem Auslösen kurz innezuhalten, bevor es kein Zurück mehr gibt. Ob die Fotos gelungen sind, erfährt man erst, wenn sie wieder aus dem Labor des Vertrauens zurück sind – oder nachdem man den Film selbst in der zu Hause eingerichteten Dunkelkammer entwickelt hat.

Die Grenzen sind fließend

Auch wenn der Kult immer beliebter wird: sein Nischendasein behält er trotzdem. Die beiden Teammitglieder des Analog:Kollektivs freuen sich deshalb über jeden Neuzugang, der seine Kreativität und individuelle Interpretation von Filmfotografie in die junge Gemeinschaft einbringt. Gerne dürfen diese von all den Normen und Klischees abweichen, die in den vergangenen Jahrzehnten die Analogfotografie bestimmt haben, erklärt Soliman. Für die jungen Film-Liebhaber sind die Grenzen zwischen analog und digital nämlich fließend. Ein analog geschossenes Bild kann also auch mal als digitaler Scan im Internet landen. "Ich muss nicht unbedingt in einer Dunkelkammer Abzüge erstellen, damit meine Arbeit Wertschätzung verdient", meint der Gründer des Kollektivs. Es gehe um den Spaß am Film und die Wirkung des Bildes.

Die Beliebtheit des Mediums sichert außerdem seine Zukunft: Denn je mehr Menschen sich mit ihm beschäftigen, desto geringer ist die Gefahr, dass Filmhersteller ihre Produktion einstellen. Auch gute Labore seien heute viel einfacher zu finden als noch vor einigen Jahren, stellt Soliman fest und beschreibt eine aktuelle Verschiebung, in der ältere Generationen ihre Labore an die jüngeren weitergeben. Der Markt blüht also wieder auf und sorgt dafür, dass der besondere Charme der Filmfotografie auch den nächsten Jahrzehnten noch erhalten bleibt.

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