Unterwegs in Unterleinleiter

Goethes Briefe im Altpapier

25.8.2021, 19:25 Uhr
„Es war ja alles kaputt“: Heute ist das Schloss Unterleinleiter, das auf Fundamente aus dem 14. Jahrhundert zurückgeht und dem Verfall preisgegeben schien, wieder ein Blickfang.    

© Hans Böller, NN „Es war ja alles kaputt“: Heute ist das Schloss Unterleinleiter, das auf Fundamente aus dem 14. Jahrhundert zurückgeht und dem Verfall preisgegeben schien, wieder ein Blickfang.   

Nur keine Angst vor den Hunden, ruft Reinhold Geck dem Besucher zu. Die Hunde warten schon am Tor des Schlosses Unterleinleiter, es ist ein netter Empfang – und so hat man beim Spaziergang durch den Park gleich drei liebenswürdige Begleiter, Herrn Geck sowie Wilma und Paul, die beiden hübschen Deutschen Doggen des Schlossherrn – eines Schlossherrn, über den man viele freundliche Worte hören wird.


Wilma und Paul, die Schlosshunde.   

Wilma und Paul, die Schlosshunde.   © e-arc-tmp-20210726_120237-1.jpg, NN

Knut Arndt, promovierter Kunsthistoriker, damals in Bamberg zu Hause, entdeckte dieses Kleinod im Leinleitertal im Landkreis Forchheim, als es, vornehm formuliert, allenfalls noch eine versteckte Schönheit war. Und eine verfallene. Der Kunsthändler Arndt ist ein freundlicher Mensch, die Öffentlichkeit, sagen die Leute im Dorf, sucht er aber ganz und gar nicht, und in dieser Geschichte will er auch nicht vorkommen, nicht persönlich – kommen Sie gerne, sagt Knut Arndt am Telefon, Herr Geck könne alles ganz wunderbar zeigen und erklären.

Kunst im Park


Das ist nicht zu viel versprochen. Reinhold Geck ist hier im Schloss Verwalter, Hausmeister, Gärtner, die gute Seele, von allem etwas, und was er zeigen kann, ist: ein Park voller Fantasie, eine der schönsten Gartenanlagen der Fränkischen Schweiz. Dass sich Johann Wolfgang Goethe hier wohlfühlte, kann man sich gut vorstellen – wenn er denn hier war, die Frage kann man mitnehmen auf den Spaziergang.


Mitten im Ort: Der schöne Dorfladen, dahinter die katholische Kirche.   

Mitten im Ort: Der schöne Dorfladen, dahinter die katholische Kirche.   © Hans Böller, NN

Der führt, über verschlungene Wege, vorbei an den Teichen, in denen Feuersalamander zu Hause sind, zum Obelisken, zum Heckentheater, zum Weißen Tempel, zum Teehaus – "die Stimmung", sagt Reinhold Geck, "ist immer irgendwie anders, je nach Lichteinfall.

Das Dorf hat viele schöne Ecken.   

Das Dorf hat viele schöne Ecken.   © Athina Tsimplostefanaki, NN

Und überall ist etwas versteckt". "Red Beauty" zum Beispiel, ein Farbtupfer im Grün des Hangwalds, eine lebensgroße Lipizzanerskulptur des renommierten burgenländischen Künstlers Sepp Laubner.

Ein Mausoleum der Seckendorffs


Der ganze Park, 17 Hektar groß, ist auch ein inspirierendes Museum für zeitgenössische Kunst, Stephen Solomon aus New York ist ebenso vertreten wie der große Franke Harro Frey. "Es ist ein Schmuckstück geworden", sagt Reinhold Geck, der nicht lange überlegen musste, als Knut Arndt ihn fragte, ob er den Ort zu seinem Arbeitsplatz machen wolle.


Mitten im Park steht ein neogotisches Mausoleum, neun Särge, zwei Urnen. Es ist eine Grablege derer von Seckendorff, denen das auf Fundamente des frühen 14. Jahrhunderts zurückgehende Schloss mit 28 Zimmern nach mehreren Besitzerwechseln seit 1732 gehörte – bis 1958, da hatte der Verfall längst begonnen. Der letzte Schlossherr vermachte das Gut dem Roten Kreuz, das es schließlich der Gemeinde Unterleinleiter überließ. Nur: Die konnte sich schon den Unterhalt gar nicht leisten.

Das Schloss: zu teuer

Vorübergehend genutzt als heilpädagogisches Kinderheim, stand das Schloss leer, als Knut Arndt es 1986 kaufte – blickt man auf alte Fotos, ahnt man, welches Wagnis das war. "Wie viel Zeit, Muse, Energie und Mittel Herr Doktor Arndt hier investiert hat, kann man sich kaum ausmalen", sagt Reinhold Geck, "es war ja alles kaputt" – schon den Wildwuchs an Fichten auszuholzen, dauerte mehrere Wochen. Heute spenden Buchen Schatten, es ist auch an Hochsommertagen angenehm kühl, und gerne stellt man sich jetzt den Geheimrat aus Weimar beim Lustwandeln vor.


Goethe in Unterleinleiter? Karl Siegmund von Seckendorff-Aberdar, das ist belegt, gehörte in Weimar zur Gesellschaft der Herzogin Anna-Amalia und damit zum Kreis um den jungen Goethe. Jene Briefe, die – davon erzählten Karl Siegmunds Nachfahren – Goethe nach einem Besuch im Leinleitertal geschickt haben soll, gibt es allerdings nicht mehr. Die Frau des damaligen Schlossverwalters verkaufte große Teile des Archivs als Altpapier nach Forchheim.

Musik im Park


Es alles der Fantasie zu überlassen, fällt hier aber nicht schwer, und neben der Bildenden Kunst ist auch die Musik im Schlosspark zu Hause – vier Mal im Jahr zu den Schlosskonzerten, "und dann", sagt Helmuth Ochs, "ist es traumhaft dort oben".


Helmuth Ochs ist der Schatzmeister des Vereins Kunst&Musik im Schlosspark, von seiner Terrasse aus geht der Blick hinüber auf das Schloss, das seine Tore auch zum Tag des offenen Parks und für das Kindertheater aufsperrt.

Das Leben ist zurück


Der 2015 verstorbene Rolf Pätschinsky war der Motor der Idee. Als das große Jugend-Kurheim der DAK, dessen Leiter er war, 1991 endgültig schloss, war das ein schwerer Schlag für die Gemeinde, aber Pätschinsky blieb, gewann Arndt für seine Pläne, "und jetzt ist, an solchen Tagen, wieder so viel los wie früher, als die Jugendlichen aus dem ganzen Land da waren", erzählt Ochs. Bis zu 2500 Besucher sind dann zu Gast im Park, etwas mehr doppelt so viele, wie das Dorf Einwohner hat, "und der Doktor Arndt", sagt Helmuth Ochs, "richtet alles perfekt her, ohne irgendetwas davon zu haben, er ist wirklich ein Glücksfall für den Ort".

Zwei Kirchen


Wie lange noch, das ist ein wenig die bange Frage; Knut Arndt ist 78 Jahre alt, er erwägt einen Verkauf des Schmuckstücks, ein paar Millionen Euro würde es wohl kosten. Und ob sich jemand findet, "der sich so einbringt wie er, das muss sich zeigen", meint Ochs, der immer schmunzeln muss, wenn Gäste nach dem Schlossherrn fragen – weil der, unerkannt, mitten im Publikum sitzt. Manchmal ist alles ein Zitterspiel, "wir sind ja", sagt Helmuth Ochs, "total vom Wetter abhängig", aber das gehört zum besonderen Reiz. Es gab Konzerte, die im Schlossgarten begannen – und in der evangelischen Bartholomäus-Kirche nebenan weitergingen.


Das schöne Gotteshaus, 500 Jahre alt, war lange eine Simultankirche, also Heimat für beide Konfessionen, "bis es ein bisschen geraucht hat", wie Ochs sagt – und sich die Katholiken 1841 eine eigene Kirche bauten, St. Peter und Paul. Die Statue des Heiligen Bartholomäus steht heute bei ihnen, "und wir sind wieder alle gut miteinander", versichert Ochs.

"Ohne Laden fehlte das Leben"


Man trifft sich: im Laderer Dorfladen mitten im Ort. Der eröffnete 2014, ein Jahr, nachdem Elise Och, die bis zu ihrem Lebensende ein kleines Edeka-Geschäft betrieb, verstorben war. Es ist, genossenschaftlich organisiert, ein bezaubernder Laden mit einem erstaunlich breiten Angebot an regionalen Lebensmitteln – und mehr, es gibt: fast alles, Haushaltswaren, Bücher, Textilien, sogar Kunsthandwerk aus dem Dorf. Geöffnet ist der Laden ab sechs Uhr früh, täglich außer sonntags.


"Ohne einen Laden fehlte dem Dorf das Leben", sagt Sylvia Baumann vom Vorstand der Genossenschaft, "aber ohne Idealismus wäre das alles nicht möglich." Wenn eine Verkäuferin ausfällt, hilft spontan schon einmal eine Kundin aus. Für 50 Euro kann jeder einen Anteil erwerben, "und wir sind für jeden dankbar, der das tut, und auch für jede Zuwendung", erklärt Sylvia Baumann.

Aus Liebe nach Franken


Helmuth Ochs gehört zu den ehrenamtlichen Helfern, die Bestellungen ausfahren, aber, sagt er und lacht, "auch die alten Leute gehen lieber selbst einkaufen" – der Laden ist ein Treffpunkt für alle, der Kindergarten kauft hier ein, die Grundschule, und im Sommer kommen die Wander- und Radtouristen. "Viele füllen noch den Kofferraum bei uns auf, bevor sie heimfahren", erzählt Sylvia Baumann, die vor elf Jahren aus dem Mainspessart ins Leinleitertal kam – "der Liebe wegen", was ja immer ein guter Grund ist, und bestätigt sah sie sich in jeder Hinsicht. "Ich bin richtig gut aufgenommen worden", sagt sie.


Hier gibt es fast alles: der Laderer Laden.   

Hier gibt es fast alles: der Laderer Laden.   © Athina Tsimplostefanaki, NN

Wer auf einer der Bänke vor dem Laden, eine kleine Mittagspause macht, bleibt nicht lange allein, man ist mitten in einem lebendigen Dorf- und Vereinsleben. "Es fehlt uns eigentlich an nichts", findet Helmuth Ochs – außer vielleicht an einem Dorfwirtshaus, aber immerhin sind die Aussichten ganz gut, dass das alte Gasthaus an der 1968 stillgelegten ehemaligen Bahnlinie von Ebermannstadt nach Heiligenstadt, die heute ein schöner Radweg ist, neu eröffnet wird.

Nur keine Angst


Jetzt sieht man auch Reinhold Geck noch einmal wieder – er holt die Wochenration an Hühnchen für Wilma und Paul im Dorfladen ab. Einmal hat sie Sylvia Baumann selbst zum Schloss hinaufgefahren – bloß, leider, "ich habe riesige Angst vor Hunden", sagt sie. Es ist aber sicher nur eine Frage der Zeit, bis sie auch Wilma und Paul liebgewinnt.

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