Kommentar: Eine Verkehrswende muss Autos ausbremsen

20.9.2020, 06:00 Uhr

Das hat viel mit den nackten Zahlen zu tun. Laut Bundesumweltministerium sorgt in Deutschland der Verkehr für 19 Prozent der CO2-Emissionen, wofür 60,6 Prozent der Pkw verantwortlich sind. Autos schaden aber nicht nur der Umwelt, sie kosten Platz. Aktuell kommen auf 1000 Deutsche 575 Fahrzeuge – weiter mit steigender Tendenz. Doch 23 Stunden am Tag steht ein Auto im Schnitt ungenutzt herum. In Städten meist am Rand, wo das geparkte Blech anderen Verkehrsteilnehmern im Weg steht und eine attraktive Gestaltung blockiert.

Ein echtes Ärgernis. Kein Wunder, dass in immer mehr Städten die Verantwortlichen merken, dass sie umdenken müssen, damit sie nicht am motorisierten Verkehr ersticken. In Kopenhagen kann man erleben, um wie viel leiser und sauberer Mobilität stattfindet, wenn die Hälfte der Menschen das Fahrrad benutzt: auf breiten Radwegen, getrennt von Fahrbahn und Gehsteig.


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Dahinter steckt ein konsequenter Prozess von gut 25 Jahren, in denen viel Geld in die Hand genommen wurde, um den öffentlichen Raum neu aufzuteilen und Alternativen zum Auto zu schaffen. Sicher, schnell und zuverlässig, das sagen Experten, muss eine Fahrradinfrastruktur sein. Und das kostet: Geld und Mut zum Ausbremsen der Autofahrer-Lobby, die gern beim ersten Abknapsen einer einzigen Spur aufschreit.

Allen sollte klar sein: Einschnitte sind notwendig, um ein kränkelndes Mobilitätssystem in Städten und Ballungsräumen zu verändern. Autos müssen nicht überall auf dem schnellsten Weg hinkommen. Schön gestaltete "Begegnungszonen" in Wien zeigen, wie heilsam autofrei sein kann. Und wenn man die Leute ernsthaft zum Umsteigen bewegen möchte, dann müssen Radweglücken beseitigt und gefährlich schmale Radstreifen entschärft werden. Dass Berlin dabei rechtliche Probleme mit seinen Pop-up-Radwegen hat, spricht nicht gegen das Instrument. Es muss nur richtig eingesetzt werden.


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Erfreulich ist derweil, dass München Prioritäten setzt und teure Autotunnelprojekte verschiebt, um viel Geld in die Radinfrastruktur stecken zu können. Für Druck auf Stadträte und Verwaltung hat in der Landeshauptstadt eine erfolgreiche Radentscheid-Initiative 2019 gesorgt, wie sie gerade in Nürnberg läuft. Auch hier ist das Ziel klar: Man will die Kommune dazu verpflichten, die Prioritäten beim Verkehr zu verlagern. Dass dies bitter nötig ist, beweisen auch die Staus, die nach der kurzen Corona-Pause schon wieder an der Tagesordnung sind.

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