Alles ist nur ein Spaß auf Erden

10.6.2013, 16:00 Uhr
Alles ist nur ein Spaß auf Erden

© Olah



Ach ja, das Wirtschaftswunder. Es steht für weitgehenden gesellschaftlichen Optimismus, für unkritischen Fortschrittsglauben und das Vertrauen darin, dass weitere Demokratisierung auch für all jene Teilhabe am Wohlstand bedeutet, die zuvor so lange krabbeln konnten, wie sie wollten, und doch nicht voran kamen.

Und so macht es durchaus Sinn, den Prolog zu „Platée“, der die Entstehung der Ballett-Komödie thematisiert, zwischen Nierentischchen und zeitgenössischer Küchenzeile anzusiedeln. Denn genau das will dieses Sumpfgeschöpf Platée, das da aus dem Wand-Aquarium hüpft: gesellschaftliche Anerkennung, mehr als nur einen Rockzipfel vom Petticoat-Glück und natürlich den reichsten, mächtigsten Kerl unter der Sonne. In diesem Fall ist das eben Jupiter.

Bühnen- und Kostümbildnerin Julia Hansen beschwört mit viel Liebe zum Detail den Geist der Endfünfziger in den Staaten, als das Telefon endgültig den Brief als Kommunikationsmittel Nummer eins ablöste, als das Fernsehen laufen lernte und Fastfood der Esskultur den Garaus machte.

Zwischen Cornflakes und Dunlop-Aschenbecher, zwischen Crackern und Salzstangen, zwischen Halbstarken-Lederjacken und Esther-Williams-Badelook sausen hübsch gedauerwellte Weibchen umher, die den Spagat als staubsaugende Putzmamsell, mondäne Gastgeberin und aufreizende Liebhaberin unter einen Hut bringen wollen. Sie: Marilyn Monroe. Er: Superman. Das wär‘s...

Olympische Götter-Camorra

Doch rauschhafter Konsum lässt nur Einsamkeit zurück, und so endet alles im Desaster: Platée muss erkennen, dass sie nur als Versuchsobjekt für die olympische Götter-Camorra diente. Der Plot ließe sich in drei Minuten erzählen. Jean-Philippe Rameau jedoch machte daraus ein barockes Vergnügical, einen andauernden Tanz auf dem Vulkan, er badet in Harmonie- und Rhythmuswechseln und entlarvt die beständige Bewegung als Drehung um den je eigenen Fetisch.

Hervé Niquet hat diesen speziellen Sound, dem schon so ein bisschen von der ewigen Melodie innewohnt, mit Fingerspitzengefühl und Akribie mit der Philharmoniker-Auswahl erarbeitet: Nur erste Kräfte hinter den Pulten! Sowas ist man einer Rundfunk-Übertragung einfach schuldig. Da quaken Frösche, da schwirren Glühwürmchen und wird zum Menuett schon mal ne Polonaise oder ein Streetdance vom sprungfreudigen Tanzensemble hingelegt, das ein Großteil der Szenen trägt (Choreografie: Joshua Monten).

Doch den meisten Beifall heimst die barbusige, hässliche, einfältig-selbstverliebte Platée ein: Tilman Lichdi zelebriert in seiner Abschiedsrolle feminines Falsett, gekonnte Travestie und seine darstellerische Klasse auf dem schmalen Grat zwischen „nicht zu viel“ und „nicht zu wenig“. Seine große Wandlungsfähigkeit und sein lyrischer, durchaus maskuliner Tenor haben in den letzten acht Jahren für hohe Vokalkunst am Haus gesorgt.

Tragische Komik

Der gelernte Trompeter war ein forscher Tamino, ein kämpferischer Aramande des Grieux in Henzes „Boulevard solitude“, sein David in den „Meistersingern“ gelang ebenso überlegen wie sein Almaviva im „Barbier von Sevilla“ sinnlich strahlte. Auch da, wo er stimmlich an Grenzen geht, dient das der Profilierung der jeweiligen Rolle. Als tragische Komische und im Petticoat macht er nun eine hinreißende Figur und kostet die Situation in alle Richtungen aus.

Das koloraturengesättigte Prinzip Wahnsinn verkörpert Leah Gordon, die im Vorspiel als Unterhaltungsgöttin Thalia aus dem Eisschrank auftritt. Einen tollen Job in Gesang und spielerischer Raffinesse macht auch Martin Platz als intriganter Luftikus: Thepsis, der Erfinder des Dramas, spinnt genau jene Fäden, an denen er später als telefonierender Götterbote Merkur sein Nymphenopfer sowie Jupiters Gemahlin Juno (Lussini Levone) so wunderbar zappeln lässt.

Satyr (Taehyun Jun) war auf der Kellnerfachschule. Und Jupiter (Randall Jakobsh) entpuppt sich als machistisches Schwer- und moralisches Leichtgewicht, dem irgendwann zum Verhängnis wird, dass eine Hose schneller aus- als angezogen ist.

Im Vergleich zu Calixto Bietos Stuttgarter Inszenierung, die erst für Jugendliche ab 16 Jahren freigegeben war, fallen die prallen sexistischen und sexuellen Verweise bei Mariame Clément artiger aus. Dafür besitzt ihre Regie größeren parodistischen Drive (gerade auch bei den Choristen, die dafür im Französischen zuweilen etwas schwächeln) und filtert das Tänzerische als konstitutives Moment heraus. Nichts als ein Spaß also. Ein barockes Musical mit durchaus zwiespältigem Ausgang.

Weitere Vorstellungen: 10., 16. und 30. Juni, 16. und 26. Juli; Karten: Telefon 01805/231600.

 

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