Artistik, Schatten und Tischgeschichten

27.5.2019, 11:13 Uhr
Artistik, Schatten und Tischgeschichten

© Foto: Georg Pöhlein/PR

Ist das nun Artistik? Ist es Kunst? Oder ist es beides? Egal: Was auf dem Oberdeck eines Parkhauses direkt neben dem Erlanger Hauptbahnhof zu sehen ist, fasziniert das Publikum. Fünf junge Frauen der französischen Gruppe "Rhizome" hangeln sich mit Präzision durch eine Stahlkonstruktion aus drei aufeinanderfolgenden Schlaufen. Angstfrei, elegant und scheinbar unangestrengt bewegen sie sich bei "La Spire/Die Windung" zu Elektro-Beats und Saxofon-Klängen in sieben Meter Höhe durch eine Choreographie, die davon erzählt, wie Menschen Nähe suchen, dann wieder auf Distanz gehen und doch im Team am besten vorankommen.

Eine Inszenierung, die bestens zum diesjährigen Vorsatz passt, dass das Figurentheater-Festival verstärkt den öffentlichen Raum erobern soll. Wenn zudem die spektakulären Bilder via Medien und soziale Netzwerke verbreitet werden, wächst von Aufführung zu Aufführung die Besucherzahl auch an eher ungastlichen Orten wie diesem vergammelten und baufälligen Parkhaus zwischen Bahnlinie und Frankenschnellweg.

 

Artistik, Schatten und Tischgeschichten

© Foto: Georg Pöhlein/PR

Die idyllische Alternative im Schlossgarten: Estelle Clément-Béalem und Raphaël Defour sind ein Paar, das auf einer Fläche, die jederzeit zu kippen droht, zueinander finden will. Mit kleinen Bewegungen arbeiten sich beide voran. Der Lohn folgt nach ungefähr zehn Minuten, wenn beide vereint und entspannt auf zwei Stühlen am Tisch im Zentrum sitzen. Die permanente Unsicherheit des Lebens und des Miteinanders ist zumindest für einen kurzen Moment besiegt.

 

Es ist stets eine Herausforderung, sich mit den Gedichten T. S. Eliots zu beschäftigen. Wenn sich aber eine Theater-Truppe von einem seiner Verse zu einem kompletten Stück inspirieren lässt, wird’s fürs Publikum richtig anstrengend. Trotz all der schönen Bilder und poetischen Momente, die Tänzerin Julie Nioche in der Inszenierung von Renaud Herbin zwischen unzähligen, ständig in Bewegung versetzten, kleinen Beuteln erzeugt: Die gute Stunde rund um "At the Still Point of the Turning World" im Erlanger Markgrafentheater ist eher ein sperriger Auftakt ins Festival.

 

Karl Marx – ein Titan. Dem Autor des "Kommunistischen Manifests" widmete seine Geburtsstadt Trier im vergangenen Jahr anlässlich seines 200. Geburtstags eine umfangreiche Ausstellung. Diese nahmen sich die Mitglieder des Schattentheaters der Levana-Schule Schweich, eine Förderschule mit dem Schwerpunkt auf ganzheitlicher Entwicklung, vor und entwickelten daraus eine Art Revue, deren Stil und Gepräge fleißigen Festivalgängern nicht unbekannt ist: Seit 2009 regelmäßig beim Festival in Erlangen zu Gast, inszenieren die Schweicher Akteure ihre Stoffe stets als Schattentheater – und bringen so einen ganz eigenen Ton, eine ganz eigene Stimmung ins Spiel. In 13 mehr oder weniger kurzen Szenen nähern sich die Spieler im Oberen Foyer des Erlanger Markgrafentheaters, begleitet von einer Sprecherin, die Hintergrundwissen live einbringt, dem Marx’schen Zeitalter an – hinter ihrem von hinten beleuchteten Vorhang. Video, Modelle, personales Spiel, Accessoires sind die Mittel, die in dem dialoglosen Spiel zum Einsatz kommen. Keine bloße Biografie wird hier bebildert, vielmehr ist den Schweichern daran gelegen, eine Ahnung von damaligen Zeitläuften atmosphärisch ins Bild zu rücken. Das berühmte "Gespenst", das "umgeht in Europa", läuft hier ganz sprichwörtlich durchs Bild, dem handschriftlichen Verfassen des Manifests kann zugeguckt werden, der Aufruhr der Massen ist hübsch choreografiert. Zeitgeschichte als beinahe poetischer Bilderbogen.

 

Einfallsreich startet Eva Meyer-Kellers Performance "Some Significance", das muss man ihr lassen: Die Spielerinnen versenken Äpfel in die Füße von Nylonstrumpfhosen, verknoten diese dann auf ziemlich komplizierte Art an ihren Körpern und fangen schließlich an, sich auf der Bühne des Erlanger Experimentiertheaters im Kreis zu drehen. Das sieht dann aus wie irgendwas Physikalisches, dabei müssen die "Tänzerinnen" Fragen beantworten. Die Sache dreht sich im Folgenden lose um Physik, es werden, gefühlt stundenlang, Versuchsanordnungen in Labor-Manier aufgebaut, um damit diverse naturwissenschaftlichen Phänomene auf ein weißes Leinentuch zu projizieren. Dazu wird manchmal gebügelt, gelächelt, werden erfindungsreich Äpfel geschält. Irgendwie scheint da was durch, so eine Art Sitz der Physik im wirklichen Leben – und das Nichtverstehen von all dem. Hier das Leben, dort die Wissenschaft, die popularisiert wird mit Gegenständen des Alltags. All das ist zwar hübsch, mäandert aber in einem derart lähmenden Gestus vor sich hin, dass man sich in unselige Physikstunden zu Schulzeiten zurückgeworfen wähnt, in denen man die vertane Lebenszeit bedauerte. Als hochtourig gespielte, wilde Farce hätte das Ganze vielleicht hingehauen.

 

Als ich so klein war wie ihr", beginnt Tristan Vogt seinen flotten Halbstünder "Daheim in der Welt" (ab 4 Jahren) in der Nürnberger Tafelhalle, "da hatte ich ein Lieblingsspiel: Sachen sammeln!" Eine Auswahl dieser Fundstücke hat der Nürnberger Puppenzauberer mitgebracht und spielt mit ihnen Theater.

Dabei setzt Vogt, der zusammen mit Joachim Torbahn seit 1990 die Gruppe "Thalias Kompagnons" bildet, ganz auf die Magie des Geschichtenerzählens. Sein neckisches Close-up-Stück besteht aus drei reizenden Kurz-Märchen, die auf den ersten Blick recht simpel daher kommen, in denen unterschwellig aber ganz schön philosophisch der beliebten Frage nach Heimat nachgespürt wird. Und auf die gibt es bekanntlich viele Antworten ...

Faszinierend ist das gewählte Format: Unmittelbar vor seinem Publikum hockt Vogt auf einem Schemel und fischt nach und nach Fundstücke wie ein Schneckenhaus, Steine vom Strand oder auch eine gemütliche kleine Kapitänsfigur aus einer Kiste, die er auf dem Hocker vor sich platziert, herumschiebt oder flugs wieder in den tiefen Taschen seines Hoodies verschwinden lässt. So wird der Hocker zur Bühne und diese zur Welt, in der die Abenteuer warten – getreu der alten Weisheit "Daheim, da sterb’n die Leut’". Tosender Applaus für das kleinste Theaterformat im großen Festival. ("Thalias Kompagnons" sind beim Figurentheaterfestival noch mit drei weiteren Stücken zu sehen)

Mehr Inforamtionen unter: www.figurentheaterfestival.de

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