Großes Kino mit Anthony Hopkins

Aus der Sicht eines Demenzkranken: Der meisterhafte Film "The Father"

26.8.2021, 18:39 Uhr
Wenn einem das eigene Leben zwischen den Fingern zerrinnt: Anthony Hopkins als "The Father".

© imago images/ZUMA Press/Sony Pictures, NN Wenn einem das eigene Leben zwischen den Fingern zerrinnt: Anthony Hopkins als "The Father".

Schon drei Pflegekräfte hat Anthony (Anthony Hopkins) vergrault, die letzte, behauptet er, habe seine Armbanduhr gestohlen und sei sogar handgreiflich geworden. Seine Tochter Anne (Olivia Colman) weiß, dass das nicht stimmt. Sie findet die Uhr, die eine unverhältnismäßig große Bedeutung für ihn hat, dort wieder, wo er sie immer versteckt.

Doch ohne Hilfe geht es nicht, bereits im Alltag fordert der demenzkranke Vater die ganze Aufmerksamkeit von Anne. Und jetzt hat sie einen Mann kennengelernt, zu dem sie nach Paris ziehen will. "Du lässt mich im Stich?", fragt Anthony mit Tränen in den Augen. Später sieht man ihn allein in der Küche seiner großzügigen Londoner Wohnung, er lauscht einer Opernarie, wirkt orientierungslos, ruft nach Anne.


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Vielleicht aber ist alles ganz anders. Am nächsten Tag entdeckt Anthony einen Mann im Wohnzimmer – Paul (Mark Gatiss), mit dem Anne seit zehn Jahren verheiratet ist. Anthony erkennt ihn nicht, sagt ihm aber, seine Tochter wolle ihn loswerden, um an seine Wohnung zu kommen. Sichtlich genervt erklärt ihm Paul, dass das nicht seine, sondern ihre Wohnung sei, in die sie ihn aufgenommen hätten, nachdem es keine Pflegekraft bei ihm aushalte.

Als Anne kurz darauf zurückkommt, erkennt er auch sie nicht. Anne wird in dieser Szene von Olivia Williams gespielt, und mehr und mehr wird klar, dass der französische Autor und Regisseur Florian Zeller, der mit "The Father" sein eigenes Theaterstück verfilmt hat, uns die Geschichte eines demenzkranken Mannes ganz aus dessen Sicht erzählt. Der Zuschauer erlebt seine Verwirrung als wäre es die eigene.

So kann man nie sicher sein, was Wirklichkeit, Trugbild oder täuschende Erinnerung ist, wenn sich in Anthonys Kopf Vergangenheit und Gegenwart beständig überlagern, sich einzelne Situationen in verschiedenen Versionen wiederholen oder mit Rufus Sewell ein anderer Schauspieler als Paul auftritt.

Hopkins, zu Recht mit dem Oscar ausgezeichnet, spielt sensationell. Anfangs wirkt sein "Father" fast zu agil, als dass man ihm die Krankheit glauben möchte. Doch wird das Tragische seiner Figur dadurch nur umso eklatanter. Mit größtem Feingefühl zeigt Hopkins die unberechenbaren Stimmungsschwankungen Anthonys, der stur darauf beharrt, allein zurecht zu kommen und doch immer weniger begreift, was vor sich geht. Als Anne noch einmal eine Pflegekraft engagiert – die junge, hübsche Laura (Imogen Poots) –, kehrt er den Charmeur heraus, flirtet mit ihr, führt ein Tänzchen vor, um unvermittelt in Hasstiraden und Bosheiten auszubrechen.


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"The Father" spielt fast nur in einer Wohnung, in der es immer wieder kleine Veränderungen gibt, sich Türen manchmal ins Ungewisse zu öffnen scheinen. Ganz ohne laute Effekte entstehen dabei subtil unheimliche Momente. Und wenn der Film doch die Perspektive der von Olivia Colman ebenfalls großartig gespielten Anne einnimmt, die sich aufopferungsvoll um ihren Vater kümmert, während er sie beleidigt und abkanzelt, wird nicht nur ihre Verzweiflung deutlich.

Es zeigt auch die furchtbare Ausweglosigkeit der Situation, mit der allein in Deutschland Millionen Angehörige konfrontiert sind: Einen geliebten demenzkranken Menschen ins Heim zu geben, bricht einem das Herz, ihn allein zu betreuen, bedeutet die Aufgabe des eigenen Lebens. Eindringlicher, ergreifender als in "The Father" kann man das Thema Demenz kaum darstellen.

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