"Blade Runner 2049": Seelensucher in einer wüsten Welt

5.10.2017, 14:08 Uhr
In "Blade Runner 2049" sieht die Zukunft noch um einiges düsterer aus als in Ridley Scotts Kultfilm von 1982: Die Landschaft ist verwüstet, San Diego hat sich in eine riesige Müllkippen verwandelt. Inmitten des Untergangs sucht K (Ryan Gosling) ein Replikantenkind, das er töten soll.

© Sony Pictures In "Blade Runner 2049" sieht die Zukunft noch um einiges düsterer aus als in Ridley Scotts Kultfilm von 1982: Die Landschaft ist verwüstet, San Diego hat sich in eine riesige Müllkippen verwandelt. Inmitten des Untergangs sucht K (Ryan Gosling) ein Replikantenkind, das er töten soll.

Gerade einmal zwei Kalenderjahre sind wir von dem Zeitpunkt der Zukunftsvision entfernt, die Ridley Scott in seinem Science-Fiction-Film "Blade Runner" 1982 entwarf. Auch wenn sich glücklicherweise nur wenig von der düsteren Fantasie in unserer gegenwärtigen Welt bewahrheitet hat, die menschliche Existenz in keiner Konkurrenz zu künstlichen Replikanten steht, Autos nicht fliegen können und die Regenwahrscheinlichkeit in Los Angelas weiterhin sehr gering ist – auf der Leinwand hat Scotts frühes Neo-Noir-Meisterwerk auch heute nichts an Wirkung verloren.


Hier läuft der Film in der Region


Dabei war "Blade Runner" anfangs ein veritabler Flop an den Kinokassen. Erst im Laufe mehrerer Neustarts mit verschiedenen Fassungen vom "Director’s Cut" bis zum "Final Cut" entwickelte der Film jenen Kultstatus, den er bis heute genießt. Viele der dystopischen Visionen, die in den letzten 30 Jahren in Hollywood vom Band gelaufen sind, wären ohne die prägenden Einflüsse von "Blade Runner" nicht vorstellbar.

Nun wagt sich Denis Villeneuve mit "Blade Runner 2049" in Scotts Fußstapfen. Der frankokanadische Regisseur hat sich in den letzten sieben Jahren vom politisch engagierten Kunstkino ("Die Frau, die singt") kommend mit Genrewerken wie "Prisoners", "Sicario" und zuletzt mit dem brillanten Alien-Film "Arrival" als Vertreter eines höchst anspruchsvollen Mainstreamkinos etabliert, wie man es heute sonst nur noch von dem Briten Christopher Nolan kennt.

Deshalb ist es keine wirkliche Überraschung, dass sich Villeneuves "Blade Runner 2049" als großer Wurf erweist, der seiner Vorlage mit Liebe und Respekt begegnet, aber inhaltlich und künstlerisch auf eigenen Beinen steht. Die Zukunft des Jahres 2049 sieht hier noch um einiges düsterer aus: Gigantische Solarfelder erstrecken sich durch verwüstete Landschaften bis zum Horizont, die Stadt San Diego wurde in eine riesige Müllkippe verwandelt und das dauerverregnete Los Angelas schützt sich mit hohen Mauern gegen die heranbrandenden Meeresfluten. 

Jäger und Replikant 

Hier verrichtet K (Ryan Gosling) seinen Dienst beim LAPD. Genau wie seinerzeit Harrison Fords Deckard ist auch er ein Blade Runner, der menschenähnliche Replikanten einer frühen Serie mit unbegrenzter Lebenszeit aufspürt und gewaltsam in den "Ruhestand" versetzt. Was bei Deckard im Ungewissen blieb, ist im Fall von K sofort Gewissheit: Der versierte Jäger ist selbst ein Replikant. "Ihr neuen Modelle reißt euch um die Drecksarbeit, weil ihr noch nie ein Wunder gesehen habt", sagt ein Replikant alter Schule vor dem Ableben zu dem polizeilichen Vollstrecker.

Reste eines solchen Wunders finden sich in einer Kiste 30 Meter unter der Erde: Das Skelett eines weiblichen Replikanten trägt deutliche Gebärspuren. Dass diese sich selbst fortpflanzen und nicht auf die schöpferische Hochtechnologie der Menschen angewiesen sind, ist für die rigide Polizeichefin Joshi (Robin Wright) ein nicht akzeptabler Entwicklungsfortschritt. "Unsere Gesellschaft gründet darauf, dass es eine Mauer zwischen den Spezies gibt. Wenn man einer Seite sagt, dass es diese Mauer nicht gibt, führt das zum Krieg", so Joshis Überzeugung, die dabei ein wenig klingt wie die Abschottungspolitiker unserer Gegenwart.

Atmosphärisch dichte Erzählung

K wird beauftragt, das Kind zu finden und zu eliminieren. Seine Ermittlungsarbeit führt ihn nicht nur weit hinaus in die verwüsteten Gebiete jenseits der Stadtmauer, sondern vor allem in die undefinierten Zonen der eigenen Identität, wo sich implantierte Erinnerungen als mögliche Realität erweisen, die Gefühle für die synthetische Hologramm-Gefährtin Joi (Anade Armas) eine unbekannte Intensität erreichen und die eigene Existenz zum Spielball der schöpferischen Machtfantasien eines High-Tech-Giganten (Jared Leto) wird.

Wie jeder echte Held ist auch K auf der Suche nach sich selbst, forscht nach der Seele im Replikantendasein und der Enträtselung der eigenen Herkunft. Und wie Scotts Vorlage funktioniert auch das späte Nachfolgewerk nicht durch die Aneinanderreihung von Plotpoints, sondern durch eine atmosphärisch dichte Erzählung, die vieles nur andeutet.

Meisterhaft bauen Villeneuve und sein Kameramann Roger Deakins diese Assoziationsräume in ihren futuristischen Settings auf. "Blade Runner 2049" ist mit Abstand der bestaussehende Science-Fiction seit etlichen Jahren. Über zweieinhalb Stunden hinweg schafft er ohne Qualitätsverluste Bilder von düsterer, atemberaubender Schönheit, die auf der großen Leinwand eine nachhaltige, magische Wirkung entfalten. (USA/163 Min.)

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