Bob Dylan in Nürnberg: Licht und Schatten

9.11.2011, 16:00 Uhr
Bob Dylan in Nürnberg: Licht und Schatten

"Things have changed" heißt der passende Songtitel dazu. Ein Teil der Fangemeinde will das aber bis heute nicht wahrhaben. Auch der Dylan-Auftritt in der ausverkauften Nürnberger Arena zum Tournee-Abschluss teilte die Zuhörer in zwei Lager – anders als der Gitarrist Mark Knopfler (Ex-„Dire Straits“) im Vorprogramm.
Dabei muss dieses Konzert auf der nach unten offenen Dylan-Skala sicherlich zu den einsamen Höhepunkten gerechnet werden: Der Meister war ausgesprochen gut gelaunt, die Band über jeden Zweifel erhaben, die Songauswahl tadellos und der Sound erstklassig. Der Alte hat nach wie vor Biss. Von wegen Männer, die bellen, beißen nicht! 
Warum der unberechenbare Rock-Klassiker dem begeisterten Publikum keine Zugabe gönnte und abrupt aufhörte, bleibt sein Geheimnis. – Wir fragten prominente Besucher nach ihrer Meinung zu dem Konzertereignis.

Ulrich Maly (Oberbürgermeister, Nürnberg): Bei einer erfolgreichen Nachwuchsband würde man wohl schreiben müssen: "Man merkt den Jungs auf der Bühne die Spielfreude an." Aber geht das bei einem 70-Jährigen? Es geht!
Bob Dylan kommt – wie immer mit hervorragender Tourband – im korrekten Südstaatenlook, mit Hut, aber weitgehend ohne Stimme und treibt das Publikum fröhlich durch die Geschichte der Rockmusik. Beim gebellten "Baby Blue" zu Beginn meint man fast, es wäre tatsächlich schon "all over now", aber dann folgen Klassiker und neuere Werke, darunter eine fast schon werktreu zu nennende Variante von "Desolation Row".
Müsste man die berühmte Frage einer Schweizer Kräuterbonbon-Werbung ("Wer hat es erfunden?") auf die Rockmusik übertragen, dann wäre die Antwort klar: Bob Dylan, wer sonst?

Wolfgang Buck (Liedermacher, Erlau): Ich weiß, dass Dylan sein Publikum messiasmäßig scheidet: Man kann anscheinend nur für oder gegen ihn sein. Und so war es gestern auch. Die einen sind ihm zu Füßen gefallen, die anderen geflüchtet. Ich war diesmal bei der Fluchtgruppe. Leider muss ich sagen: Für mich war Dylan nicht zu ertragen. Vielleicht tut es auch jemandem, der selber singt, körperlich weh, wenn jemand bei Stimmbandentzündung nicht einfach schweigt. Ich bin schon lange nicht mehr bei einem Konzert vorzeitig gegangen. Mir hat von den ersten zehn Songs kein einziger gefallen, und dann hab’ ich mir aus Selbstschutz gesagt: Ist es das wert, einen Tinnitus zu riskieren? Und die Frage für mich eindeutig beantwortet. Aber Mark Knopfler hat Spaß gemacht, es war diesmal sehr keltisch und die Band hat gegrooved wie Sau.

Gerhard C. Krischker (Schriftsteller, Bamberg): ER war nicht schlechter oder besser als immer (eher besser), aber anders: "Another Side of Bob Dylan". Nicht publikumsfeindlich, nicht introvertiert und nur für sich selbst spielend und singend, sondern fast entertainerhaft, blickkontaktsuchend und (was man ihm bei jedem Song angemerkt hat): motiviert und spielfreudig, was vielleicht auch daran lag, dass er es dem "Langweiler" Knopfler zeigen wollte…

Julia Lehner (Kulturreferentin, Nürnberg): Sicherlich, eingedenk der Tatsache, Bob Dylan nicht mehr allzu häufig bei Liveauftritten erleben zu dürfen, noch dazu in Nürnberg, hat sich mein kleines Fanherz, das beim legendären Nürnberger Konzert im Jahre 1978 bereits dabei gewesen ist, im Allerinnersten ein paar alt-vertraute Songs von ihm gewünscht.
Doch nun das Alterswerk: kompakter Sound, eins mit seiner vorzüglich(st)en Band will Bob uns noch immer Geschichten erzählen... Und dies gelingt ihm wie sonst keinem nach wie vor!
Mark Knopfler dagegen will verzaubern... Für mein Empfinden zunächst mit einer Wirkung von „Niveacreme aus dem Lautsprecher“: ein bisschen zu soft, zu geschmeidig und einen Tick zu parfümiert. Allerdings, nachdem der erste leichte Duft verflogen war, funktionierte der alte Zauber aufs Neue mit einem nachhaltig starken Aroma!

Norbert Treuheit (Verleger, Cadolzburg): Wieder eines dieser unvergesslichen Konzerte (dabei meine ich nur den Bob-Dylan-Teil)! Superstarke Bandmusiker, ein prägnantes und ästhetisches Bühnenbild und ein scheinbar ewig junger und absolut überzeugender Rock-Messias. Wenn man nach dem Open-Air-Konzert auf dem Zeppelinfeld diesen Bob Dylan nach 33 1/3 Jahren wieder so unglaublich stark erleben darf, kann man sich schon auf das nächste Konzert mit ihm im Frühjahr 2045 freuen!

Klaus Brandl (Musiker, Nürnberg): Dylan hat sich als großartiger Song and Dance Man gezeigt, gut gelaunt und sehr beweglich auf der Desolation Row. Mich hat der alte Rattenfänger wieder voll überzeugt. Ich habe das Gefühl, der November ist sein Frühling. Und mit einem Augenzwinkern kann man sagen, dass er der zurzeit bestangezogene Pop-Musiker ist.

Martin Zels (Musikalischer Leiter des Theaters Pfütze, Nürnberg): Mark Knopfler, das Gitarrenidol meiner Jugend, hat mich zu Tränen gerührt. Das war ein feines Musizieren wie Kammermusik, da habe ich mich angesprochen gefühlt. Bei Dylan dagegen stand ich fassungslos als Zeuge da und bestaunte ein Stück Musikgeschichte, das eine Art einsames Hochamt feiert und sich selbst demontiert. Großartig und schauerlich.

Ernst Schultz (Musiker, Nürnberg): Diesmal war Dylan zu hundert Prozent ein Dichter, der sich immer mehr von der Melodie distanziert, sie abstrahiert. Ich hätte mir mehr Melodie gewünscht. Aber künstlerisch ist das konsequent, für mich hat sich da ein Kreis geschlossen. Davor habe ich Respekt. Doch es wird wohl mein letztes Dylan-Konzert gewesen sein.

Harald Riedel (Stadtkämmerer, Nürnberg): Mit Mark Knopfler verbinde ich eine starke Erinnerung an meine Abizeit mit den Dire Straits. Und deswegen finde ich ihn immer noch am besten, wenn er alte Songs spielt (diese Mal leider nur zwei) oder als Sologitarrist bei anderen mitmacht.
Zum Beispiel beim zweiten Dylan-Song "It’s all over now, Baby Blue" – das war ein starker Auftakt von Bob. Überhaupt fand ich, dass sowohl Bobby als auch die Band in echter „Nürnberg-Laune“ waren, schon lange habe ich die nicht mehr so spielfreudig gesehen. Bobbys Stimme ist definitiv "across the river", hat aber wunderbar gepasst zu fantastischen Versionen von "Mississippi" (einer meiner Dylan-Lieblingssongs), "Desolation Row" (großartig!) oder auch "Tangled up in Blue". Am Schluss dann wie immer eine Hammerversion von "Like a Rolling Stone"!
Fazit: Klasse-Konzert, gute Stimmung, tolles Publikum — ein echtes Familientreffen.

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