"Bohnenstange": Versehrte Seelen

22.10.2020, 11:35 Uhr

© eksystent

Eine von ihnen ist Iya (Viktoria Miroshnichenko), die titelgebende Bohnenstange, die man wegen eines Schädeltraumas als Pflegerin von der Front nach Leningrad geschickt hat.

Gleich zu Beginn von "Iya", so der russische Originaltitel des Films von Regisseur Kantemir Balagov, wird die Heldin, in Sepiafarben getaucht, mit ihrem Kriegstrauma vorgestellt. Eine erstarrte junge Frau, die nur noch Klicklaute von sich geben kann. Eine Behinderung, die wenig später zum Tod eines kleinen Jungen führen wird, dem Sohn ihrer Freundin Masha (Vasilisa Perelygina), die an der Front von ihrem gefallenen Geliebten schwanger wurde. Sie vertraute das Kind ihrer nach Leningrad zurückkehrenden Freundin an und blieb selbst bis zum Ende bei den Kampfeinheiten. Die Rückkehr zu ihrem Kind und ihrer Freundin sollte den Sieg des Lebens besiegeln. Statt dessen entwickelt sich eine Tragödie.

Der junge Filmemacher Balagov ließ sich für seinen zweiten Film nach "Closeness", beide in Cannes preisgekrönt, vom Buch "Der Krieg hat kein weibliches Gesicht" der weißrussischen Nobelpreisträgerin Swetlana Alexjiewitsch inspirieren. Tatsächlich gab es im Zweiten Weltkrieg mehr Frauen an der Front als je zuvor. Interessanterweise sind Iya und Masha die einzigen Kriegsteilnehmerinnen in Balagovs Tragödie, die geschundene Bevölkerung bleibt eher Kulisse.

Hier sind die Männer mal brav

Dafür sind die männlichen Helden in den Lazarettbetten unglaublich brav, Blut und Verstümmelung bleiben im sepiagetönten Farbrausch fast unsichtbar. Richtig dramatisch wird es erst wieder, als Masha, durch eine Kriegswunde unfruchtbar geworden, sich in den Kopf setzt, die sie liebende Freundin müsse schwanger werden. Das wäre sie ihr schuldig. Die wird daraufhin vor Ekel starr, und das Thema Homosexualität rückt dezent ins Bild.

Doch das Pflichtbewusstsein der täppischen Bohnenstange treibt sie verzweifelt auf die Suche nach einem Befruchter. Schauplatz ist nun eine Gemeinschaftsunterkunft, wo Masha einen Verehrer zappeln lässt, um an Essen zu kommen, bis sie der Affäre ein Ende macht, indem sie seine offenbar adligen Eltern im entmöbelten Palais vor den Kopf stößt. Ein kritischer Schlenker in die feudalen Überbleibsel der Nachkriegszeit.

Balagovs farbsattes Drama mit sehr kargem Text für die tolle Besetzung ist genau besehen nur an den beiden Freundinnen interessiert. Und die kriegen sich am Ende. Wieder. Irgendwie. Russlands opulenter Beitrag zum Wettbewerb um den Auslands-Oscar. (137 Min.)


In diesen Kinos läuft der Film.

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