Brisant: Das deutsche Politdrama "Und morgen die ganze Welt"

29.10.2020, 14:29 Uhr
Brisant: Das deutsche Politdrama

© Foto: Alamode

"Wer mit unter dreißig nicht links ist, der hat kein Herz. Und wer mit über dreißig noch links ist, hat keinen Verstand." Diesen Satz hört die 20-jährige Luisa (Mala Emde), Tochter aus wohlhabendem Haus, von ihrem Vater. Ausgerechnet jetzt, wo sie sich von ihrer Rundum-sorglos-Familie emanzipieren und in eine antifaschistische WG ziehen will. Denn dass etwas gegen die immer stärker werdende rechte Szene unternommen werden muss, ist der Jurastudentin spätestens klar, seit in der Vorlesung von Artikel 20 des Grundgesetzes die Rede war.

"Die Bundesrepublik Deutschland ist ein sozialer und demokratischer Bundesstaat", heißt es dort. Und: "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist." Die "andere Abhilfe", das ist für Luisa die Polizei, die den Neonazis im Film nicht viel entgegenzusetzen hat.

Regisseurin Julia von Heinz ("Ich bin dann mal weg"), die mit "Und morgen die ganze Welt" zum Filmfestival in Venedig eingeladen war und die Hofer Filmtage eröffnete, ließ sich für die Geschichte von ihrer
eigenen Jugend-Etappe in der Antifa-Szene inspirieren. Sie erzählt von der politischen Initiation und Radikalisierung einer jungen Frau, ohne dabei die ganz und gar unpolitischen, sondern eher emotionalen Aspekte außen vor zu lassen, die dazu führen, dass sich ein junger Mensch mit einer bestimmten Gruppe identifiziert.

Auch für Gewalt zu haben

Für die höhere Tochter Luisa, die schon mal die Hasen häutet, die ihre Mutter bei der Treibjagd erlegt hat, ist die linksautonome Kommune in einem besetzten Haus, zu der auch ihre beste Freundin Batte (Luisa-Céline Gaffron) gehört, erst mal eine Art Abenteuerspielplatz. Man diskutiert, entscheidet basisdemokratisch, malt Plakate. Doch es gibt auch Gegensätze. Während Batte lieber Torten auf die Sprecherin einer Rechtspartei wirft, die unverhohlen Assoziationen zur AfD weckt, sind der attraktive Heißsporn Alfa (Noah Saavedra) und der nachdenkliche Lenor (Tonio Schneider) auch für Gewalt zu haben.

Julia von Heinz, die das Drehbuch mitgeschrieben hat, macht sich den Konflikt innerhalb der Gruppe zunutze, um die Frage nach einer wirksamen und richtigen Art des Widerstands zu stellen. Dass ihr Film darauf keine eindeutigen Antworten anbietet, sondern offen bleibt, kann man ihr nicht vorwerfen. Stattdessen zeigt sie noch einmal bildhaft auf, was nicht ganz neu ist: dass sich Sprache und Gewalt auf der linken und rechten Seite oft gefährlich ähnlich sind. Und dass eigentlich nur klar ist, wogegen, aber nicht wofür Luisa, Alfa und Lenor auf die Straße gehen.

Spannendes Kino

Als Clou des Ganzen verarbeitet von Heinz ihr Anliegen zu einem emotionalen und spannenden Kinofilm, der im Hier und Heute spielt, der mit jungen, erfrischend lebensecht agierenden Darstellern und mit der Handkamera eingefangenen Szenen dauernd in Bewegung ist. Und so auch das aufgewühlte Innenleben seiner Hauptdarstellerin transportiert.

Als Ruhepol im Durcheinander tritt ein Veteran der linken Szene auf. Dieser Dietmar (Andreas Lust) hat die wilde Zeit hinter sich. "Nazis verkloppen ist Kosmetik", meint er. Doch auch wenn am Ende ganz konventionell Freundschaft vor Aktionismus steht: Ohne Feuerwerk geht es nicht aus. (111 Min.)

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