Chöre im Umbruch: Die jungen Sänger fehlen

15.2.2016, 12:40 Uhr
Chöre im Umbruch: Die jungen Sänger fehlen

© Foto: Cosima Vogel

Singen macht Spaß, Singen befreit die Seele, gilt als idealer Stressabbau und weitet die Horizonte. Noch immer wird in Deutschland außerordentlich viel gesungen. In der Europäischen Union sind rund 22,5 Millionen Menschen in Chören aktiv, das entspricht 4,5 Prozent der Bevölkerung. Das ergab eine Langzeitstudie im Zeitraum zwischen Juni 2013 und Mai 2015 unter der Federführung der European Choral Association.

Spitzenreiter sind demnach die Österreicher, wo sich jeder Neunte in Chören einreiht, gefolgt von den Niederländern (10,7 Prozent) und den Slowenen (8,3 Prozent). Deutschland erreicht mit dem Wert von 6,3 Prozent noch einen Platz unter den vorderen Fünf und setzt sich sogar noch vor traditionelle Chorländer wie Irland, Litauen, Lettland und Estland. Die sangesunlustigsten Nationen sind der Studie zufolge Dänemark (2,6 Prozent), die Spanier (2,4 Prozent) und Schlusslicht Polen (2,3 Prozent).

Allein im Gebiet des Fränkischen Sängerbundes (FSB), zu dem neben den fränkischen Regierungsbezirken auch die nördliche Oberpfalz zählt, sind 1700 Laienchöre organisiert. Dort begegnet man dem Wandel im Freizeitverhalten eher defensiv. FSBPressesprecher Erich Hiltl aus Kümmersbruck erkennt die Probleme, aber seine Organisation sieht ihre Hauptaufgabe darin, die bestehenden Chöre zu ermuntern, weiterzumachen. „Natürlich zwackt es besonders bei den reinen Männerchören, aber wir wollen die Tendenz zu den Leistungschören nicht weiter anheizen.“

Jugendliche haben die Wahl

Will meinen: Die Jugendlichen, die sich tatsächlich für das kollektive Singen begeistern, suchen ihr Feld meistens nicht im örtlichen Gesangsverein oder im Kirchenchor, sondern wählen sich genau jenen Chor aus, der zu ihnen altersmäßig, stilistisch und vom vokalen Anspruch her passt. Ein Beispiel wäre hier der Nürnberger Jazzchor „Singin‘ off beats“, der für sein künstlerisches Engagement schon einige Auszeichnungen einheimsen konnte und der sich gezielt auf die 20- bis 30-jährigen Sänger konzentriert.

FSB-Mann Hiltl hat mit seinen Vorstandskollegen festgestellt: „Der Freitag ist als Probentag völlig obsolet geworden, weil er eindeutig schon zum Wochenende gerechnet wird und die jungen Leute am Samstag ausschlafen wollen.“ Eine Hoffnung setzt der Fränkische Sängerbund deshalb auf die Chorakademie im Kloster Weißenohe (Kreis Forchheim), die — wenn alles gut geht — ihren Betrieb 2018 aufnehmen soll. „Da sind dann auch Wochenend-Freizeiten möglich, die Jugendliche wieder anziehen“, meint Hiltl.

Dass das ehrgeizige Projekt tatsächlich machbar wird, verdankt der Sängerbund auch Unternehmen wie Siemens oder dem Nürnberger Flughafen, die an den Übernachtungs- und Tagungsmöglichkeiten in der Barockanlage am Rande der Fränkischen Schweiz bereits ernsthaftes Interesse signalisiert haben und damit ein wirtschaftliches Rückgrat für den Betrieb bilden könnten.

Konzertchöre, wie etwa der Nürnberger Hans Sachs-Chor (HSC), verfolgen da eine andere Strategie. HSC-Vorsitzender Michel Langer erläutert: „Wir wollen in unserem Repertoire vielgestaltiger werden und setzen deshalb nicht allein auf Oratorien und Chorsymphonik.“ Als nächstes hat Chefdirigent Guido Johannes Rumstadt ein Programm mit Frühlingsliedern erdacht und danach wagt man sich an die Oper: Nach über 60 Jahren will der HSC wieder Albert Lortzings „Hans Sachs“ in Nürnberg aufführen.

„Von dieser Mischung erwarten wir uns, dass einige jüngere Sänger auf uns aufmerksam werden“, unterstreicht Langer. Aber auch er beobachtet: „Einige unserer Mitglieder betreiben Chor-Hopping und singen auch anderswo mit.“

Als ein Mittel gegen die zunehmende Aversion, sich wöchentlich bei Proben einzufinden, gilt der Projektchor. Solch einen hat Wolfgang Riedelbauch gegründet: „Festival-Chor Musica-Franconia“ heißt sein jüngster Spross, mit dem er im Juli zweimal die deutsche Erstaufführung von Jean Paul Égide Martinis „Requiem“ stemmen will. Martini stammte aus Freystadt (Kreis Neumarkt) und starb vor genau 200 Jahren in Paris.

Einer der ersten Projektchöre in der Region ist der 1970 von Karl-Friedrich Beringer ins Leben gerufenen Amadeus-Chor, der sich einmal im Monat zu einem Probenwochenende in Neuendettelsau trifft. 3. Vorsitzender Holger Haushahn, der wie etliche andere dazu extra aus München anreist, will den Titel „Projektchor“ nicht ganz gelten lassen: „Wir haben immerhin eine feste Mannschaftsgröße von 35 Sängern.“

Manuel Ritter hält von solch temporärer Chorarbeit wenig. Der Kirchenrat, in der evangelischen Landeskirche zuständiger Referent für Spiritualität und Kirchenmusik, ist überzeugt: „Gute Qualität wächst miteinander. Deswegen halten wir am klassischen Kirchenchor fest. Für städtische Kantoreien mag die ein oder andere Aushilfe wichtig sein. Aber wir wollen auch in unseren Landgemeinden offen für jeden sein.“ Schließlich sei ein Chor nie nur ein künstlerisches, sondern auch ein soziales Gefüge.

Nichtsdestotrotz: Der Kampf um jede Stimme hat begonnen. Und dabei geht es diesmal nicht um Politik. . .

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