Corona: Harte Prüfung auch für Lehrer

28.5.2020, 18:11 Uhr
Corona: Harte Prüfung auch für Lehrer

© Foto: Daniel Reinhardt, dpa

So hätte es sein können: Die Schulen schließen am 16. März wegen der Corona-Pandemie. Ab dem 17. März gibt es Video-Live-Unterricht, Erklärvideos, Arbeitsblätter, Kommunikation über Messengerdienste, gemeinsames Online-Arbeiten in einem Dokument, multimediale Blogs, Lernmodule, die Schüler im eigenen Tempo bearbeiten können.

Und so war es wirklich: Eine unberechenbare Menge aus Wochenaufgaben kommt, meist in Form von Arbeitsblättern per Mail, zum Selbstausdrucken ins Haus. Weil es an Rückfrage-Möglichkeiten und Live-Unterricht fehlt, müssen Eltern (oft parallel zum Home-Office) Lehrer ersetzen. Erschwert wird das Ganze durch sprachliche Hindernisse, aber auch durch fehlende Endgeräte und Internetverfügbarkeit. In solchen Fällen bringen Lehrer die Wochenaufgaben sogar zu Hause vorbei und versuchen, ihre Schüler per Telefon zu erreichen.

Inzwischen ist klar: Auf nicht absehbare Zeit werden Schüler ganz oder teilweise zu Hause lernen müssen – eine enorme Herausforderung. Auf der anderen Seite versuchen inzwischen mehr Lehrer, digitale Werkzeuge auszuprobieren. Auch für sie ist diese Zeit enorm anstrengend: Sie müssen den Präsenzunterricht, der für einige Klassen wieder startet, organisieren. Darüber hinaus werden sie für die Notbetreuung herangezogen, während sie ihre eigenen Kinder auch noch irgendwie betreuen müssen. Parallel dazu stellen sie Pläne fürs Zuhause-Lernen zusammen, wobei viele ihre bisherigen Vorlagen durch digitale Angebote ergänzen. Das machen sie übrigens auf ihren privaten Rechnern. Dienstgeräte gibt es bislang nicht.

Corona: Harte Prüfung auch für Lehrer

© Foto: privat

Eine dieser Lehrerinnen ist Katharina Schönemann. Die dreifache Mutter unterrichtet Englisch, Geschichte und Sprachtraining in sechsten und neunten Klassen an der Adam-Kraft-Realschule. Sie liebt ihre Schule. Auch, weil diese digitale Angebote schon länger im Blick hatte. Von Corona wurde aber auch sie überrollt. 

Für den Messenger mussten 150 Eltern angerufen werden

"Man hat das zu Beginn gar nicht einschätzen können", sagt Schönemann. "Es waren an unserer Schule alle Fortbildungen geplant", sagt sie. "Die erste wurde uns im Februar vom Orkan Sabine genommen. Und die neu angesetzten Termine von Corona." Als klar war, dass es auch ohne gehen muss, reagierte ihre Schule schnell. Damit alle Schüler erreichbar sind, installierten Lehrer und Fünft- bis Zehntklässler den Messenger-Dienst Untis auf ihren Handys.

Was sich leicht anhört, ist ein enormer Aufwand: "Bei den 150 Schülern der fünften und sechsten Klassen haben wir alle Eltern anrufen müssen, um das möglich zu machen." Viele Erklärungen waren nötig, in einigen Fällen wurde die Kommunikation durch Sprachbarrieren erschwert. "Wir haben in den folgenden Wochen dazugelernt", sagt Schönemann. Als anfangs Aufgaben immer an dem Tag versandt wurden, an dem das Fach in der Schule stattgefunden hätte, verloren die Kinder schnell den Überblick, also stellte man auf Wochenpläne um.

Die Kritik mancher Eltern kann Schönemann sogar nachvollziehen, gibt aber zu bedenken: "Mit dieser Situation war gar nicht zu rechnen." Bevor Corona kam, waren digitale Angebote wie die Youtube-Lernvideos musstewissen für Schüler ein schönes Zusatzangebot, zum Erreichen des Klassenziels aber nicht zwingend erforderlich.

Thomas Reichert

Thomas Reichert © Staatliches Schulamt Nürnberg

Grundsätzlich freut sich Schönemann, dass die Nutzung digitaler Angebote durch die Krise einen Riesenschritt gemacht hat, und hofft, dass vieles davon auch in die Zeit hinübergerettet werden kann, wenn alle Kinder wieder zum Präsenzunterricht in der Schule sind.

Schönemann ist ein großer Fan ihrer Schule, weil diese oft innovative Ideen umsetzt. Doch das war vor der Corona-Krise nicht an allen Bildungseinrichtungen der Fall. Deswegen hatte das Kultusministerium die Fortbildungsoffensive zur "Digitalen Bildung" ins Leben gerufen. Laut Ministerium fanden im Jahr 2018 an der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung Dillingen, im Bereich der Ministerialbeauftragten und Regierungen und auf lokaler Ebene, also im Bereich der Staatlichen Schulämter, circa 2400 Fortbildungsveranstaltungen mit über 73 000 Teilnehmern statt. Dazu kommen Selbstlernkurse und Fortbildungen der Schulen.

Das Problem an diesen Fortbildungen sei aber oft der sehr unterschiedliche Wissensstand der Teilnehmer und dass nicht alle die gleichen Plattformen und Anwendungen nutzen. Zudem berichten Lehrer, dass für bestimmte Online-Webinare der Akademie in Dillingen "ein Apple I-Pad von Vorteil ist", da einige Anwendungen für Android nicht verfügbar sind.

Lehrer nicht verpflichtet, digitale Angebote zu nutzen

Abseits von der Weiterbildung entwickelt das bayerische Kultusministerium seit acht Jahren "Mebis" als digitale Plattform für Lehrer und Schüler. Intensiv genutzt wurde "Mebis" jedoch erst mit Corona – mit der Folge, dass es in den ersten Tagen zusammenbrach.

Schlecht ist das Angebot von "Mebis" nicht. Unter anderem gibt es dort Informationen zu Medienerziehung und -didaktik, Video- und Audioangebote, ein Prüfungsarchiv und die Mebis-Tafel, die auf einem Whiteboard, PC oder Tablet genutzt werden kann. Vorausgesetzt, die Schulen verfügen über die nötigen Endgeräte und Internet-Infrastruktur. Und: Die Nutzung von "Mebis" ist nicht verpflichtend für Lehrer. Das ginge nur, wenn die Lehrkräfte mit Geräten ausgerüstet würden.

Das staatliche Schulamt reagierte vorbildlich

Corona: Harte Prüfung auch für Lehrer

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Geradezu vorbildhaft hat das Staatliche Schulamt reagiert, das für Nürnbergs rund 100 Grund- und Mittelschulen zuständig ist. Innerhalb von wenigen Tagen setzte eine Mannschaft aus zehn Lehrern die Plattform https://digitales.schulamt.info/ auf. Sie gibt eine Übersicht über digitale Lernangebote, und Lehrer können schnell lernen, wie sie digital eine Rückmeldung auf Schülerarbeiten geben oder ein Erklärvideo erstellen können, erklärt Amtsleiter Thomas Reichert. Hinterlegt ist auch ein Überblick zu Datenschutzfragen, die für Laien inzwischen fast undurchschaubar geworden sind.

Ein Vorteil sei derzeit, dass alle seine Schulen mit "Office 365 – Teams for Education" ausgestattet seien. Das Programm von Microsoft biete viele Funktionen, die man jetzt braucht, unter anderem Videokonferenz-, Cloud- und Chatfunktion. Wichtig ist Reichert und seinem Team, dass es für Lehrer und Eltern auch eine Telefon-Hotline gibt, unter der sie schnell Hilfe bekommen, sollte ein technisches Problem auftauchen.

Für Eltern bietet die Seite zahlreiche spielerische digitale Lernangebote, die sie mit ihren Kindern ausprobieren können. "Ziel ist jetzt, mehr Kinder mit einem Gerät auszustatten", sagt Reichert. Vor ein paar Tagen wurde zudem bekannt, dass das Kultusministerium nun auch weiterführende Schulen mit "Office 365" ausstatten will.

Letztlich hängt es aber am Engagement der Lehrer und Schulen, ob sie digitale Angebote einbinden. Bettina Gottschalk von der Staatlichen Berufsoberschule in Nürnberg (BOS) tut das, ganz selbstverständlich. Als absehbar war, dass die Schulen wegen der Pandemie geschlossen werden, hielt die BOS in der verbleibenden Woche zwei Fortbildungen zur Nutzung von Zoom, einem Video-Konferenz-Anbieter. Und unter den Schülern wurde abgefragt, ob alle ein Endgerät haben.

Mit Erfolg. Ab Tag 1 nach der Schließung fand der Unterricht online statt – live. Für Gottschalk, die nebenher noch zwei Kinder zu Hause betreuen muss, ein großer Aufwand. Alle Unterrichtsmaterialien für ihre Fächer Betriebswirtschaft/Rechnungswesen, Volkswirtschaftslehre und Französisch müssen online-tauglich umgearbeitet werden. "Dabei treten neue Probleme auf, weil Verlage vorhandene Schulbücher nicht kostenfrei in digitaler Form zur Verfügung stellen."

Aus ihrer aktuellen Erfahrung kristallisieren sich Ideen für die Zukunft heraus: "Ich denke, es wäre gut, wenn Schulen auch einen IT-Mitarbeiter hätten. Digital ist mehr, als eine interaktive Tafel ins Klassenzimmer zu stellen. Lehrer müssen mit Endgeräten ausgestattet werden und kontinuierlich geschult werden."

Schüler halten sogar Referate per Video-Plattform

Bei ihren erwachsenen Schülern kommt der Unterricht gut an, es wurde viel ausprobiert. Selbst Referate halten sie über Zoom. "Ich kann auch einen Aufsatz hochladen und ihn mit dem Schüler gemeinsam berichtigen. Das hat einen größeren Lerneffekt, als wenn ich ihn einfach korrigiert in Papierform zurückgebe." Den Schülern komme entgegen, dass sie bei einigen Programmen im eigenen Tempo arbeiten könnten.

Für jüngere Schüler sei die neue Art des Lernens zu Hause eine große Herausforderung, sagt indes Katharina Schönemann: "Es gibt neue Fälle von Desorganisation." Diesen Schülern helfen Coaching-Teams sowie zwei Sozialpädagogen der Adam-Kraft-Realschule. In Rückmeldelisten erfasst sie, ob die Schüler die Aufgaben selbstständig, erst auf Nachfrage oder gar nicht bearbeiten. "Man merkt: Die in der Schule nicht mitgearbeitet haben, tun es zu Hause auch nicht."

Es sei auch eine lehrreiche Zeit für Eltern: "Manche stellen fest, dass doch nicht immer der Lehrer das Problem war." Es habe alles zwei Seiten: Die Kinder hätten auf anderen Ebenen gelernt, manche das Kochen, manche die Selbstorganisation, manche in der IT-Nutzung. "Und wieder andere haben festgestellt, dass 24 Stunden lang ins Smartphone zu schauen auch doof ist."

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