Corona-Krise: Soforthilfen gehen an Freiberuflern vorbei

18.4.2020, 05:50 Uhr
Auch die Nürnberger Tafelhalle, wichtigste Bühne für die freie Szene, ist derzeit wie alle Kulturhäuser bundesweit geschlossen.

© Foto: Stefan Hippel Auch die Nürnberger Tafelhalle, wichtigste Bühne für die freie Szene, ist derzeit wie alle Kulturhäuser bundesweit geschlossen.

Die Corona-Pandemie hat das Kulturleben zum Stillstand gebracht – mit gravierenden Folgen vor allem auch für die freischaffenden Künstlerinnen und Künstler. Sie stehen ohne Aufträge und Engagements da. Und damit ohne Einnahmen.Marco Steeger etwa, seit seinem Abschied vom Nürnberger Staatstheater freiberuflich als Schauspieler, Regisseur und Sprecher tätig, sind bis Sommer alle Projekte weggebrochen. Ein Regie-Vertrag mit dem Gostner Hoftheater ist unterschrieben, aber ob die Proben wie geplant im Juni beginnen können, ist ungewiss.

Die für gestern angesetzte Premiere der neuen Tanztheaterproduktion von Barbara Bess in der Nürnberger Tafelhalle wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Gelder aus der städtischen Impulsförderung, die sie dafür bekam, will sie, obwohl ohne finanzielles Polster und derzeit auch ohne Unterrichtshonorare, unangetastet lassen – "die sind für die Tänzer vorgesehen".

Antrag auf die Soforthilfen blieb bis heute unbeantwortet

Der in Fürth lebende Musiker Pawel Zalejski, vielfach preisgekrönt und mit seinem Apollon Musagete Quartett weltweit unterwegs, ist von der Coronakrise komplett auf Null heruntergefahren worden. Sein Antrag auf die Soforthilfen von Bund und Freistaat blieb bis heute unbeantwortet. Auf einen positiven Bescheid wird er kaum hoffen können. Geld gibt es nur wenn laufende Betriebskosten nicht mehr bezahlt werden können. Doch Musiker, Tänzer oder darstellende Künstler haben oft keine betrieblichen Fixkosten. Sie brauchen die Honorare, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren – und werden nun in die Grundsicherung verwiesen und damit zum Sozialfall.

Die Geigerin Miria Sailer, in einer ähnlichen Situation wie Zalejski und ebenfalls bis jetzt ohne Antwort auf ihren Soforthilfe-Antrag, weiß: "Nach der aktuellen Gesetzeslage haben wir keine Chance, obwohl die Situation für uns eine Katastrophe ist." Die 30-Jährige macht auch das Unwissen der Politiker um die Lebenswirklichkeit freischaffender Künstler dafür verantwortlich, dass diese komplett durchs Raster fallen. "Viele haben keine Ahnung wie unsere betriebswirtschaftliche Realität aussieht. Wir sind unsere eigenen Arbeitgeber. Meine Wohnung ist zugleich mein Arbeitsplatz, an dem ich mich auf Konzerte vorbereite. Alle Kosten, die für meine berufliche Tätigkeit anfallen, bezahle ich aus meiner privaten Kasse. Aber Geld verdiene ich nur, wenn ich auftrete." Anders als bei großen Unternehmen, wo das Gehalt des Firmenchefs Teil der Betriebskosten ist, gelte das für Freiberufler nicht, kritisiert Sailer.

Ein Umdenken ist nicht zu erwarten

Ein Umdenken ist nicht zu erwarten. Anspruch auf die Soforthilfen des Bundes haben Kleinst-Unternehmen (ein bis zehn Mitarbeiter) und Soloselbstständige, die Büromieten, Kredite oder Leasingraten nicht mehr zahlen können. Wer nur private Kosten geltend macht, geht leer aus. Bayern reicht die Bundeshilfen lediglich weiter und zahlt selbst ausschließlich an Betriebe mit elf bis 250 Mitarbeitern.

Über die Vergabe der eigenen Soforthilfen entscheidet jedes Bundesland selbst. Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hamburg hatten Künstlern zunächst Hilfen für den Lebensunterhalt gezahlt. Anfang April versiegte der Geldfluss, weil die Töpfe leer waren. In Bayern führt der Weg in der Not dagegen von vornherein in die Grundsicherung. Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums erklärte, man sei sich der Härte der Maßnahme bewusst, die Rechtsprechung lasse aber nichts anderes zu.

In Baden-Württemberg offenbar doch. Dort erhalten Freiberufler ohne feste Betriebskosten seit Ende März einen fiktiven Unternehmerlohn von monatlich bis zu 1180 Euro. Bis 8. April wurden laut Silke Walter, Pressesprecherin des Wirtschaftsministeriums in Stuttgart, fast 160.000 Anträge bewilligt und über 1,5 Milliarden Euro ausgezahlt. Für die Soloselbstständigen bedeuteten die Vergaberegeln des Bundes eine große Ungerechtigkeit, so Walter, "sie brauchen das Geld zum Überleben".

Das Beispiel Baden-Württemberg könnte Schule machen

Das Beispiel Baden-Württemberg könnte Schule machen. Die Wirtschaftsministerkonferenz der Länder hat jetzt die Bundesregierung aufgefordert, allen durch die Coronakrise in ihrer Existenz bedrohten Soloselbstständigen ein Grundeinkommen von 1000 Euro monatlich zu zahlen. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung wurde der Vorstoß einstimmig gefasst – "mit großen Bedenken nur aus Bayern". Entsprechend knapp fällt die Auskunft des bayerischen Wirtschaftsministeriums auf eine zweite Anfrage dieser Zeitung aus: Man habe keine Kenntnis von einem solchen Vorstoß, hieß es nur. Korbinian Wagner von der Pressestelle des Bundeswirtschaftsministeriums allerdings bestätigt die Initiative der Länderminister.

Angesichts der "harten bayerischen Praxis" (so ein Würzburger SPD-Landtagsabgeordneter), ist derzeit kaum zu hoffen, dass all die Petitionen von Künstlern und Verbänden im Freistaat Gehör finden. Der Selbstständigenrat der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Mittelfranken hat jetzt an die Stadt Nürnberg appelliert, sich für eine "umgehende Nachbesserung" der Soforthilfe einzusetzen, um die Soloselbstständigen vor dem "finanziellen Ruin" zu bewahren.

In dem offenen Brief wird auch das von der Stadt auf den Weg gebrachte "Bündnis für Kultur" als "untaugliches Mittel" kritisiert. Wer aus der Not heraus bereits Hartz-IV beantragt habe, bekomme von der Künstler-Nothilfe nichts. "Die Spendeneinnahme muss dann nämlich mit der Grundsicherung verrechnet werden."

Kritik an der Stadt

Manchen stieß das von Sparkasse und Sponsoren finanzierte Bündnis noch aus anderem Grund sauer auf. "Die Stadt holt sich 25.000 Euro bei der Sparkasse ab und ruft die Bürger*innen zu Spenden für die Kulturschaffenden auf? Was ist das für eine Wertschätzung von Seiten der Stadt, die sich als Kulturhauptstadt bewirbt", postete Holger Watzka vom Erlanger E-Werk. Andere empörten sich ähnlich – was Kulturreferentin Julia Lehner zu der dringenden Klarstellung veranlasste: "Bei dem 'Bündnis für Kultur' handelt es sich um ein bürgerschaftliches Engagement, das nicht die städtischen Hilfsmaßnahmen ersetzt."

Bereits beschlossen ist laut Lehner, dass alle bewilligten Projektanträge ausbezahlt werden, auch wenn die Projekte derzeit nicht realisiert werden können. Außerdem werde sie sich um eine Erhöhung der Zuwendungstöpfe für die freie Szene bemühen. "Wir sind in Verhandlungen mit der Kämmerei, wo Mittel umgeschichtet werden können. Das soll so zügig wie möglich gehen."

Welche Folgen das Herunterfahren der Kultur für die Bewerbung Nürnbergs als Kulturhauptstadt 2025 hat, vermag Lehner schwer einzuschätzen. Positiv, auch mit Blick auf 2025, sei "die neue Erfahrung, dass so viele Kulturangebote die Menschen auch auf digitalem Wege erreichen. Da wird die enorme Kreativität der Künstler sichtbar."

Andererseits, so die Referentin, sei natürlich die Sorge da, "ob alles, was hier über Jahrzehnte aufgebaut worden ist, nach der Pandemie wieder an den Start gehen kann". Sollten bis dahin viele Künstler zu Hartz IV-Empfängern degradiert und um ihre unternehmerische Freiheit gebracht worden sein, wie Will Nemski von ver.di befürchtet, wäre Lehners Hoffnung auf eine größere Wertschätzung der Kultur in der "Post-Corona-Zeit" nicht mehr als ein frommer Wunsch, den die fehlende Unterstützung von Bund, Land und Stadt zunichte gemacht hat.


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