Regiedebüt mit "Nebenan"

Daniel Brühl über respektlose Fans: "Dann werde ich auch mal laut"

19.7.2021, 16:47 Uhr
Daniel Brühl, der Schauspieler und Regisseur bei der "Nebenan" Kinopremiere im Rahmen der 71. Berlinale.

© imago images/APress Daniel Brühl, der Schauspieler und Regisseur bei der "Nebenan" Kinopremiere im Rahmen der 71. Berlinale.

Überwachung, Gentrifizierung und: Berlin. Warum wollten Sie diese drei Themen in Ihren ersten selbstinszenierten Film fließen lassen?

Daniel Brühl: Für das Thema Gentrifizierung war es der perfekte Zeitpunkt. Ich habe auch viel mit Daniel Kehlmann darüber gesprochen...

...der nach Ihrer Idee das Drehbuch zu Ihrem Film schrieb...

Brühl: Er lebte eine Zeit in New York und meinte, dass man in New York oder London so einen Film gar nicht mehr erzählen könnte. Da leben die Menschen schon lange nicht mehr sozial "durchgemischt". In Berlin könnte das in fünf Jahren auch der Fall sein, dass im Osten der Stadt kein Ostdeutscher mehr lebt, und ein Stadtteil wie der Prenzlauer Berg für die meisten unerschwinglich wird. Natürlich kann ich das Problem der Gentrifizierung nicht lösen. Ich wollte auch keinen Film mit erhobenem Zeigefinger machen, sondern den Themen mit Humor begegnen.

Der "Prenzlberg" ist über Berlin hinaus ein Inbegriff für hippes Wohnen und Gentrifizierung geworden. Wie wohnen Sie, seitdem Sie Familie haben?

Brühl: In einem durchgemischten Haus, sehr international. Aber es gibt eben auch noch die Originale – eine Dame wurde sogar in dem Haus geboren. Interessanterweise war ich doch ein wenig verkrampft, wenn sich die Alteingesessenen im Hof treffen und ich dann doch der Kölner bin – nach über 20 Jahren in Berlin. Den Satz "Ich bin ein Berliner" werden Sie also nicht von mir hören. Ich bin in Berlin eher geduldet. (lacht)

Wie gut kennen Sie Ihre Nachbarn? Und wissen Sie, wie viel sie über Sie wissen?

Brühl: Ich kenne die meisten relativ gut. Wir haben ein tolles nachbarschaftliches Verhältnis. Gegenüber wohnt sogar ein Schauspielkollege. Wir sehen uns praktisch vis-à-vis. So entstand auch die Idee für "Nebenan": Ich bin am Prenzlauer Berg in eine coole Wohnung in einem Hinterhof gezogen. Ein wunderbares Setting für einen Film, wie man es von "Das Fenster zum Hof" kennt.

Bei wem würden Sie gerne mal "Mäuschen spielen"?

Brühl: Die Frage stellt sich mir nicht mehr, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie unangenehm das sein kann. Ich verbitte mir das ja auch von anderen. Auch vom Kollegen gegenüber – natürlich nimmt man sich wahr, aber der Respekt gebietet, dass man elegant aneinander vorbeiguckt.

Wie sehr fühlen Sie sich als Person der Öffentlichkeit beobachtet, überwacht oder überprüft?

Brühl: Längst nicht so, dass wie in "Nebenan" ein Leben komplett auseinandergenommen wird. Aber wenn man in der Öffentlichkeit steht, muss man sich erst daran gewöhnen, dass man auch beobachtet wird. Angst macht mir, was im Internet alles über einen zu lesen ist. Was da für Informationen rausgekramt werden können, ist absurd.

Leben Sie längst auch in einem Glaskasten?

Brühl: Es gab mal zwei Situationen, in Italien und London, bei denen jemand mit dem Teleobjektiv heimlich Fotos von mir mit meinem älteren Sohn schoss und veröffentlichte. Das war ein ganz beklemmendes Gefühl. Das ist Spionage und man selbst ist das Opfer. Wenn die Fotos erst mal existieren, tauchen sie im Netz immer wieder auf.

Wird es als Celebrity immer schwieriger, seine Familie vor ungewollten Indiskretionen zu schützen? Zwei Klicks – und ein Foto geht viral.

Brühl: Klar, gerade bei meinen Kindern reagiere ich allergisch. Letztens habe ich im Urlaub gemerkt, wie jemand mich und meine Kinder heimlich filmt. Da gehe ich echt an die Decke. Dann werde ich auch laut. Das darf dann ruhig jeder mitkriegen.

Wie haben Sie sich ganz konkret gewehrt?

Brühl: Ich sprach den Herrn direkt an, was das soll. Der versuchte tatsächlich sein Handy in seinem Brusthaar zu verstecken – absurd! Wenn man mich nach einem gemeinsamen Foto fragt, mache ich gerne mit. Aber wenn jemand die Distanz und den Respekt verliert, macht mich das wütend. Ich habe den Eindruck, dass es in den letzten Jahren immer hemmungsloser zugeht.

Weil die digitale Welt auf beiden Seiten voller Verführungen und Verheißungen ist und für ein paar "Likes" schnell Grenzen überschritten werden?

Brühl: Wenn andere ihre Kinder offensiv ins Netz stellen, ist das deren Sache. Bei den wenigen Fotos, die ich poste, achte ich penibel darauf, dass man meine Kinder nur von hinten sieht. Auch meine Frau Felicitas möchte ich nur bei öffentlichen Auftritten "mitreinziehen".

Gehen Sie dann juristisch vor?

Brühl: Es reicht meist zu verlangen, dass die Fotos gelöscht werden. Ich habe jemanden, der sich damit auskennt.

Kennen Sie das: Sie reden mit Ihrer Frau, sagen wir, über Gummistiefel. Kurz darauf wird Ihnen Werbung für Gummistiefel auf dem Smartphone angezeigt...

Brühl: Ja, total. Das passiert mir immer wieder. Ich stelle schon fest, dass wir im Internet immer perfider beobachtet werden. Daher versuche ich, mich bewusster durchs Netz zu bewegen.

Denken Sie, dass die smarten Alexas und Siris uns gründlicher abhören als einst die Stasi?

Brühl: Hundertprozentig. Das Schlimme ist, dass wir alle mitmachen, vermutlich aus Bequemlichkeit. Wir reden uns ein, dass es kein Problem ist, solange nur langweilige Daten abgegriffen werden. Irgendwann ist es einem egal, dass mitgehört wurde, wenn man über Gummistiefel spricht. Ich war immer zu faul, die ganzen Funktionen abzuschalten. Inzwischen sind die Möglichkeiten der Überwachung so raffiniert geworden, dass es als Konsument fast unmöglich ist, keine Spuren zu hinterlassen. Das fühlt sich oft an wie in George Orwells "1984". Und es wird immer bedenklicher.

Man sollte sich als Schauspieler nicht zu wichtig nehmen

Sogar Angela Merkels Handy war nicht abhörsicher, sie wurde von der Regierung Obama abgehört. Trotz Ihres Misstrauens überwiegt Ihre Leichtigkeit und Gutgläubigkeit, warum?

Brühl: Na, ich bin ja auch nicht Angela Merkel. (lacht) Man sollte sich als Schauspieler nicht zu wichtig nehmen. Wir neigen eh dazu, uns narzisstisch als das Zentrum der Welt wahrzunehmen. Mein Gott, was sollen die Leute über mich wissen wollen? So wahnwitzig spannend ist mein Leben nicht.

Werden Ihnen auch mal Frechheiten an den Kopf geworfen? In "Nebenan" ist Daniel mit dem Trolley unterwegs und hört ein "Na, wieder auf Weltreise, Tom Kruse?"

Brühl: Die unvergesslichste Boshaftigkeit ist mir mal auf einer Party passiert. Da sagte eine Frau zu mir: "Du bist ja eh nicht der, der sich irgendwas erspielt". Da dachte ich mir auch: "Häh? Bei all den Sachen, die ich in den letzten 20 Jahren gemacht habe, war nichts dabei?" Das war so pampig und respektlos, dass ich sprachlos war. Total vor den Kopf gestoßen. Ich habe noch ausgetrunken und bin dann von der Party verschwunden.

Die Hauptfigur in Ihrem Film heißt Daniel, ist Schauspieler, eine Art Negativ Ihrer Selbst – ein ziemlich eitler Fatzke, egozentrisch und empathielos. Was bewahrt Sie davor, so zu werden?

Brühl: Ich behaupte nicht, dagegen gefeit zu sein! Gerade soziale Medien suggerieren uns, dass wir makellos, fehlerfrei und moralisch einwandfrei sind. Aber Menschen haben nun mal Fehler.

Ich weiß, dass ich sehr aufbrausend sein kann. Beruflich bedingt kreise ich in bestimmten Phasen sehr um mich selbst. Bei der Filmfigur habe ich das natürlich überspitzt. Der Mann hat sich an Beruf und Karriere verloren und besitzt einfach kein Gefühl mehr für sein Umfeld.

Womit erhalten Sie sich Ihre gesunde Bodenhaftung?

Brühl: Ich glaube, mich erdet meine Herkunft. Meine Eltern haben uns ein klares soziales und politisches Bewusstsein mitgegeben. Deshalb mache ich mir wenig Sorgen, komplett abzudriften. Ich gehöre nicht zu den Menschen, auch Kollegen, die sich beim Aufwachen fragen, was sie heute posten. Die halten sich für so wichtig, dass sie die ganze Welt teilhaben lassen an ihrem Frühstück, ihrem Infinity-Pool und dass sie im Fitnessstudio ein Gewicht mehr an die Hantel hängen. Das ist so unsinnig. Unser Beruf ist sehr verführerisch und der Wunsch, im Scheinwerferlicht zu stehen, kann zum Problem werden. Da braucht man unbedingt ein Korrektiv.

Ist Windeln zu wechseln auch so ein Korrektiv?

Brühl: (lacht) In jedem Fall.

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