Das läuft auf dem Filmfestival Türkei/Deutschland

15.3.2014, 10:03 Uhr
Mario Adorf und Hannelore Elsner in dem Film "Der letzte Mentsch", der zur Festival-Eröffnung gezeigt wird.

© Farbfilm Mario Adorf und Hannelore Elsner in dem Film "Der letzte Mentsch", der zur Festival-Eröffnung gezeigt wird.

"Der letzte Mentsch"

Nach traumatischen Erlebnissen im KZ hat Marcus (Mario Adorf) seine jüdische Identität aus seinen Erinnerungen und seinem Leben verbannt. Außer der auf den Arm tätowierten Häftlingsnummer hat er keine amtstauglichen Nachweise mehr. Die braucht der alte Mann aber, als er sich wünscht, nach seinem Tod auf einem jüdischen Friedhof begraben zu werden. In seiner Heimat Ungarn hofft er, Beweise für seine Herkunft zu finden.

Eine rotzfreche junge Türkin fährt ihn kurzerhand im schicken BMW dorthin. Wie sich die beiden unterschiedlichen Charaktere auf ihrem Trip einander annähern, wirkt (wie einiges in dem Roadmovie) mitunter aufgesetzt. Das Thema - einer der letzten Zeitzeugen stößt bei der Suche nach seinen Wurzeln auf paradoxe bürokratische Hürden - ist wichtig, aber in der Inszenierung etwas betulich ausgefallen. Vorstellungen sind am 13. und 16. März.

"Woyzeck"

Büchners Drama "Woyzeck" im Berliner Kiez der Gegenwart? Dem türkischstämmigen, deutschen Regisseur Nuran David Calis ist diese gewagte Verortung verblüffend gut gelungen. Sein Woyzeck ist als Deutscher ein Außenseiter im Viertel. Die Gesetze bestimmt eine Migranten-Gang, deren geschniegelter, als Zuhälter reich gewordener Anführer (bei Büchner der Tambourmajor) schamlos die schöne Marie anbaggert - genau die Frau, mit der Woyzeck ein Kind hat, für die er sich aufreibt. Tom Schilling ("Oh Boy!") spielt großartig und unmittelbar diese geschundene, dem Wahnsinn nahe Verlierer-Figur, die nachts in U-Bahnschächten Müll zusammenklaubt und sich für medizinische Experimente missbrauchen lässt.

Ein nahegehender, sehenswerter Film, der den Theater-Background nicht verleugnet und zugleich ganz zeitgemäß das Thema Integration anspricht. Gezeigt wird er am 18. und 21. März.

Jesper (Ronald Zehrfeld) hat seinen Bruder während eines Afghanistaneinsatzes verloren. Dennoch meldet er sich erneut zum Dienst in das krisengeschüttelte Land.

Jesper (Ronald Zehrfeld) hat seinen Bruder während eines Afghanistaneinsatzes verloren. Dennoch meldet er sich erneut zum Dienst in das krisengeschüttelte Land. © Wolfgang Ennenbach/Majestic

"Zwischen Welten"

Der Abzug der Isaf-Truppen aus Afghanistan läuft bereits, dass das Land längst nicht befriedet ist, zeigt Feo Aladags vor Ort gedrehtes Kriegsdrama, in dem der Hauptmann Jesper (Roland Zehrfeld) mit deutschen Soldaten ein abgelegenes Dorf vor den Taliban schützen soll. Als Dolmetscher wird ihm der junge Tarik (Mohsin Ahmady) zugeteilt, dessen Vater von Islamisten erschossen wurde. Auch der Sohn wird als Kollaborateur bedroht. Während Jesper das Vertrauen der afghanischen Milizen gewinnen muss, versucht er zugleich, Tarik und dessen Schwester zu schützen.

Bei dem Hauptmann liegen bald die Nerven blank. Doch der Film zeigt nicht nur den Dauerstress der Soldaten, er schildert auch den Alltag der Einheimischen und fragt nach der Verantwortung, die sich aus dem Einsatz in Afghanistan ergibt. Dabei rückt ein brisantes Thema ins Blickfeld: Tarik hofft auf Asyl in Deutschland, weil er zuhause in Lebensgefahr schwebt, seine Anträge werden jedoch abgelehnt. Dieser Problematik wird sich auch die Bundesregierung noch stellen müssen. Der Film ist am 19. und 21. März zu sehen. ru

"Özür Dilerim - Vergib mir"

Selim (klasse: Güven Kiraç) ist über 40 und geistig behindert. Er lebt in der Wohnung seiner Eltern, wo auch sein kleiner Bruder Zafer Unterschlupf gefunden hat und ihn die Mutter mit viel Liebe pflegt und mästet. Ansonsten läuft Selim so mit. Die Mitglieder der modernen türkischen Mittelstandsfamilie haben vollauf mit ihren Problemen zu tun, jeder lebt in seiner kleinen Welt. Ausgerechnet auf Zafers Hochzeitsfeier büxt Selim aus, und die Familie sieht sich plötzlich mit Fragen, Träumen und Tatsachen konfrontiert, die sie all die Jahre weggedrückt hat...

Der Film von Cemil Agacikoglu ist einer der ersten Beiträge zum Thema Behinderung im türkischen Kino und fällt entsprechend bitter aus. Die Kamera ist dicht dran am Geschehen und verfolgt es dennoch distanziert. Überzeugend gespielt und handwerklich sauber gemacht, bleibt die Geschichte aber viel zu vage. Zumindest ist das Thema damit aber mal im Kino angekommen. Vorstellungen sind am 19. und 21. März. gnad

"Daire - Der Kreis"

Erbarmungslos webt das Schicksal seine Fäden, und mit ihm die Stadtverwaltung eines an sich recht malerischen türkischen Provinzkaffs, in das sich der Philosophieprofessor Feramus geflüchtet hat, um ein geerbtes Stück Land zu verkaufen. Gnadenlos lässt ihn ein Behördenleiter auflaufen, um sich selbst zu bereichern, während gleichzeitig ein neuer Flugplatz mit kompletter Besatzung nutzlos in der Sonne schmort. Schnell wird Feramus ein Teil jener kafkaesk dahingammelnden Belegschaft, während seiner Nachbarin, der Theaterleiterin, aus Kostengründen von der Stadt gekündigt wird.

Filmemacher Atil Inac landet mit seinem schwer zwischen Tragik und skurrilem Humor schlingernden Film schließlich bei allerlei Übersinnlichem, das durch die englischen Untertitel vermutlich noch kryptischer wird. Zu sehen ist der Film am 19. und 21.März. wu

"Die Makellosen"

Im Sommerhaus ihrer verstorbenen Großmutter in Cesme gönnen sich die stille Lale und die lebenslustige Yasemin eine kleine Auszeit vom Stadtleben in Istanbul. Die Schwestern sind sich eng verbunden, sie genießen die Sonne und das Meer. Zwei moderne, attraktive Frauen, zwischen denen von Anfang jedoch an eine latente Spannung zu spüren ist. Lale wurde offenbar vergewaltigt, Yasemin war nicht rechtzeitig da, um sie zu schützen und scheint selbst wiederholt gefährdet.

Regisseur Ramin Matin lässt in seinem intensiven leisen Thriller vieles in der Schwebe und schafft eine Atmosphäre subtiler Bedrohung durch männliche Gewalt, unter der auch das Verhältnis der Schwestern leidet. Ein spannender, sensibler Film, der zeigt, dass Frauen auch im aufgeklärten Teil der Türkei immer noch potenziell Opfer der fortwährenden patriarchalischen Strukturen sind und ihnen ein freies, gleichberechtigtes Leben verwehrt bleibt. Gezeigt wird der Thriller am 18. und 20. März.

Keine Kommentare