"Der Bachelor": Das ironische TV-Lagerfeuer der Millenials

8.5.2018, 18:16 Uhr

© MG RTL D / Arya Shirazi

RTL hat einen neuen Höhepunkt im Rahmen seiner zahlreichen Fernseh-Kuppeleien erreicht. Gut, einige Beobachter des Kölner Privatsender würden diesen inhaltlich bei "Bauer sucht Frau" verorten, das mit dem Vorführen seiner Kandidaten schon lange moralische Grenzen überschreitet. Andere würden diesen zweifelhaften Titel dem Nackt-Dating "Adam sucht Eva – Liebe im Paradies" verleihen, das wirklich jegliches Schamgefühl vermissen lässt. Doch nun geht es auch für die Bachelor-Formate ins "Paradies", das RTL mit Südsee-Inseln gleichzusetzen scheint.

Für die Fernsehstation stellt die am Mittwochabend debütierende Sendung "Bachelor in Paradise" einen kleinen Meilenstein dar, hat es RTL doch immerhin geschafft, die Dating-Realityshows "Der Bachelor" und "Die Bachelorette" so lange am Leben zu halten, dass man aus deren Teilnehmerfeldern nun ein neues Format mit dem "Best of" aller Kandidaten zusammenstellen kann. Wobei viele Zuschauer sicher andere Worte für die Auswahl der Liebessuchenden wählen würden, die nun eine zweite Chance auf das Fernsehglück erhalten.

Die jungen Zuschauer zieht es zum Affektfernsehen

Dass bereits bestehende Fernsehformate neue generieren, stellt für einen Sender wie RTL einen Glücksgriff dar, schließlich müssen sich findige Redakteure dann nicht noch hanebüchenere Konzepte ausdenken, um die Zielgruppe endlich wieder von Netflix loszueisen. Doch damit dies gelingt, müssen die Mutterformate erst einmal erfolgreich laufen. Und das taten sie in mittlerweile zwölf Staffeln von "Der Bachelor" und die "Bachelorette". Je eine Staffel beider Sendungen strahlte RTL zuletzt jährlich aus. Die gerade erst abgelaufene Runde um den Enkel des gerade verstorbenen „Käpt’n Blaubär“-Sprechers Wolfgang Völz lockte pro Folge durchschnittlich über drei Millionen Zuschauer und mehr als 16 Prozent der 14- bis 49-jährigen Fernsehenden an, womit sich das Reality-Format gegenüber seiner Vorstaffel noch einmal deutlich steigerte und zu den beliebtesten Fernsehsendungen Deutschlands unter dem jungen Publikum zählt.

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Die Internetkommentare als Reaktion auf diesen außerordentlichen Erfolg schreiben sich von selbst. Gerne werden im Netz Formulierungen wie "Volksverdummung", "Niveau-Limbo" oder "TV-Trash" bemüht, um die Ablehnung gegenüber der mittlerweile beträchtlichen Anzahl an Reality-Formaten auszudrücken, deren Rezeption, um es freundlich auszudrücken, die Zuschauer intellektuell tatsächlich nicht gerade überfordert. Nur stehen diese Kommentare in krassem Kontrast zur nachweislich sehr hohen Aufmerksamkeit, die gerade junge Menschen für derlei Fernsehsendungen dieser Tage aufbringen. Der Erfolg von "Der Bachelor" und Co. ist Ausdruck eines neuen Zeitgeists und Produkt einer sich immer weiter diversifizierenden Medienlandschaft.

Die wirklich anspruchsvollen Formate, insbesondere Serien, konsumieren Zuschauer zwischen 14 und 29 Jahren, die das klassische Fernsehen immer seltener vor die Bildschirme bekommt, mittlerweile auf Streaming-Diensten. Reality-Sendungen im Fernsehen wurden zuletzt erfolgreicher als sie es sowieso schon waren. Die immer populärer werdenden Video-On-Demand-Angebote wollen mit diesen qualitativ minderwertigen Sendungen nämlich nichts zu tun haben. Doch der Bedarf an diesen so Formaten aus der Gattung Affektfernsehen bleibt erhalten. Den Begriff Affektfernsehen definierten die Medienpsychologen Gary Bente und Bettina Fromm im Jahr 1997 durch vier zentrale Merkmale eines Fernseh-Programms: Personalisierung, Intimisierung, Authentizität und Emotionalisierung. Der Begriff bezieht sich auf Formate, die in ihrem Programm Einzelschicksale und die emotionalen Befindlichkeiten der Protagonisten ins Zentrum rücken. Oft sind die Grenzen zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit dabei fließend. Die Formate erheben außerdem den Anspruch, Realität abzubilden und sich dabei auf vorwiegend nichtprominente Menschen zu konzentrieren. Meist trifft die Beschreibung auf Reality-Fernsehen zu.

Reality-TV erfüllt eine soziale Funktion

Früher waren es die ungemein populären Daily Talks im Mittagsprogramm der TV-Sender, heutzutage sind es "Der Bachelor", "Germany’s Next Topmodel" oder "Ich bin ein Star – holt mich hier raus!", drei der gegenwärtig meistgesehenen TV-Programme beim jungen Publikum. Heißt das, der Erfolg dieser Sendungen ist wirklich das Ergebnis kontinuierlicher Verdummung? Die Kritiker in den Internet-Kommentarspalten können durchatmen, davon ist aufgrund eines Mangels an wissenschaftlichen Befunden zumindest nicht auszugehen. Eine repräsentative Befragung ergab sogar, dass vor allem Zuschauer, die sehr viel Wert auf Sicherheit, Moral und Anstand legen, Affekt-TV-Sendungen häufig konsumieren.

© MG RTL D / Arya Shirazi

Das angesprochene Forscher-Duo Bente und Fromm interpretierte diese Befunde so, dass derartige Formate aus dem Bereich Affektfernsehen eine wichtige soziale Funktion erfüllen. Jede Geschichte in den Sendungen kann am nächsten Tag zum Gesprächsthema in der Schule, der Uni oder auf der Arbeit werden. Und wenn man mit Mitmenschen darüber diskutiert, finden die Gesprächspartner schnell eine gemeinsame Basis. Schließlich sind sich alle Zuschauer darüber einig, dass das, was dort wieder auf dem Bildschirm geschah, unter ihrer Würde, bemitleidenswert oder zumindest zum Schmunzeln war. Fernsehenden, die in ihrem Privatleben feste Moralvorstellungen haben, ermöglicht eine Sendung wie "Bachelor in Paradise" mit all seinen jetzt schon absehbaren Skandälchen die Auseinandersetzung mit Tabuthemen, über die überhaupt keine Gespräche mit Gleichgesinnten zu Stande kämen, würde sie ein Medienreiz nicht erst anstoßen.

Die nächste Generation des Lagerfeuer-Fernsehens 

Die "Bachelor"-Sendungen, Heidi Klums Topmodel-Suche und das Dschungelcamp entwickelten sich somit im Laufe der Zeit zu Lagerfeuer-Formaten der jungen Generationen, als "Wetten, das...?" schon in der Versenkung verschwunden war und der "Tatort" vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu bieder daherkam. Heutzutage werden neue Ausgaben von Formaten wie "Der Bachelor" zusammen mit ganzen Cliquen vor dem heimischen Fernsehgerät konsumiert. Alleine schaut sich dagegen kaum einer freiwillig die TV-Kuppelei an, wenn derjenige die Wahl hat. Dabei ist es keineswegs so, dass die Zuschauer vom Geschehen wirklich mitgerissen werden. Die Gruppenrezeption erfolgt durchgängig mit einer ironischen Distanz, zu der leidenschaftlich über die Datingshow-Teilnehmer gelästert wird. "Der Bachelor" und Co. sind eines der großen "Guilty Pleasures" der TV-Millenials.

Nicht nur der Voyeurismus lockt die jungen Leute heute also zu Sendungen wie "Bachelor in Paradise", sondern auch die Stärkung ihres Selbstbilds und ihrer sozialen Gruppe durch die moralische Abgrenzung zu den Realityshow-Teilnehmern. Kein Genre hat einen schlechteren Ruf als das der Reality - mit seinen zähneknirschend unangenehmen Zwischenmenschlichkeiten, den peinlichen Avancen seiner Möchtegern-C-Promis oder dem häufig unwürdigen Umgang mit Castingshow-Kandidaten. Doch wohl kaum ein Fernseh-Genre sitzt dieser Tage so fest im Sattel.

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